Dass der Nachrichtendienst derzeit in einen Spionage-Skandal verwickelt ist, dazu will weder der zuständige Verteidigungsminister Guy Parmelin noch NDB-Chef Markus Seiler etwas sagen. Lieber wird an der Jahreskonferenz der Nachrichtendienst gelobt und gehätschelt. Parmelin umschreibt die Tätigkeit des NDB mit den Worten: «Sicherheit und Souveränität in unsicheren Zeiten». Seiler spricht von der dschihadistischen Gefahr in der Schweiz und dass diesbezüglich derzeit neunzig Personen überwacht würden. Die Professionalität und Effizienz des NDB soll ein auf Youtube veröffentlichtes Video zusätzlich untermauern.
Die Pressekonferenz zum NDB-Jahresbericht kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn hinter den Kulissen brodelt es gewaltig. Laut dem «Tagesanzeiger» und dem «Sonntagsblick» soll ein 54-jähriger Schweizer jahrelang in Deutschland für den NDB spioniert haben. Er soll damit beauftragt worden sein, herauszufinden, wie CD's mit Steuerdaten nach Deutschland gelangt waren. Pikant ist, dass der Spionage-Agent früher selber gefälschte Bankdaten an Deutsche verkauft haben soll. Vergangene Woche wurde der 54-Jährige wegen «dringendem Verdacht, für den Geheimdienst einer fremden Macht spioniert zu haben», verhaftet.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Nachrichtendienst einen Fauxpas leistet. Hier die fünf gravierendsten Flops:
Am 1. August 2007 explodierte auf dem Rütli ein in der Wiese vergrabener Sprengsatz. Weil die offizielle Bundesfeier früher als geplant endete und sich niemand in der Nähe der Explosion befand, gab es keine Verletzten. Ende Januar 2008 wurde ein damals 36-jähriger Elektromonteur verhaftet. Der Mann galt fortan als der «Rütli-Bomber». Zehn Monate sass er in Untersuchungshaft bis die Bundesanwaltschaft das Verfahren am 11. Oktober einstellte. Der Beschuldigte erhielt 10'000 Franken Genugtuung. Gefloppt hatte jedoch nicht die Bundesanwaltschaft sondern der Nachrichtendienst. Es waren seine Agenten, die den Elektromonteur aufgrund einer Zeugenaussage zu Unrecht verdächtigt hatten.
Im Nachhinein schrieb die Bundesanwaltschaft, dass keine Beweise oder entsprechende Indizien erbracht werden konnten, die den Beschuldigten in die Nähe des Sprengstoffdeliktes brachte. Dass man sich bei den Ermittlungen nur auf einen Täter fokussiert habe, sei bedauerlich und fragwürdig. Vom wahren «Rütli-Bomber» fehlt bis heute jede Spur.
Im Frühling 2012 wurde eine grosse Menge hochsensibler Daten aus dem NDB-Gebäude entwendet. Ein Mitarbeiter kopierte eine Datenmenge von insgesamt 500 Gigabyte auf eine externe Festplatte. Darunter auch besonders geheime und detaillierte Informationen über die Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten. Der Mitarbeiter wollte die Daten daraufhin für hohe Geldbeträge verkaufen. Als er dies einem Angestellten der UBS erzählte, bei dem er ein Konto eröffnen wollte, informierte dieser den Nachrichtendienst. Die «Sonntags Zeitung» deckte den Fall auf. Der NDB-Mitarbeiter wurde verhaftet und im November 2016 zu zwanzig Monaten bedingter Freiheitsstrafe bei einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Der gravierende Vorfall wurde im Nachhinein von der Geschäftsprüfungsdelegation untersucht. Diese kritisierte den Nachrichtendienst scharf. Auch dafür, dass es offenbar kein Risikomanagement gegeben habe.
Der Nachrichtendienst hatte nicht aus der Datenklau-Affäre gelernt. Nur wenige Monate nach besagtem Vorfall, im Oktober 2012, enthüllte die Zeitung «Der Sonntag», dass die Handynummer von Geheimdienstchef Markus Seiler problemlos im Internet zu finden sei. Weil Seiler immer noch dieselbe Nummer in Betrieb hatte, wie zur Zeit, als er Generalsekretär von Bundesrat Samuel Schmid war, konnte jedermann mit wenigen Klicks zu seiner Handynummer gelangen. Dass Seiler seither seine Telefonnummer nicht geändert hatte, warf kein gutes Licht auf den obersten Geheimdienstler der Schweiz.
Die Viererbande, die im Juni 2014 auf Geheiss der Genfer Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft genommen wurde, hätte der Fantasie eines Drehbuchautors entspringen können. Die Verhafteten sind: Der Walliser Weinhändler Dominique Giroud, wegen Panscherei und Steuerhinterziehung ins Zwielicht geraten; ein Genfer Privatdetektiv und Rechtsaussenpolitiker; ein junges Computergenie, das als professioneller Hacker arbeitet und zuletzt ein Agent des NDB. Dieser Agent soll seinem Jugendfreund Giroud geholfen haben: Giroud wollte wissen, aus welchen Quellen welschen Journalisten vertrauliche Informationen über laufende Strafverfahren gegen ihn hatten.
Der Agent vermittelte seinem Freund Giroud die Dienste des Hackers und des Privatdetektivs. Sie zapften die Computer der Journalisten an. Nach zwei Wochen wurden die vier aus der U-Haft entlassen. Recherchen des «Tages-Anzeigers» zeigten: Der Hacker hatte bereits früher für den damaligen Auslandsgeheimdienst Hackerangriffe durchgeführt. Der Agent warb den Privatdetektiv als NDB-Informanten an. Kurz nach seiner Entlassung aus der U-Haft reichte der Agent seine Kündigung beim Nachrichtendienst ein.
Nach dem Ja zum neuen Nachrichtendienstgesetz im Herbst 2016 äusserte sich der Chef der Cyber-Abwehr in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» erstmals überhaupt in der Öffentlichkeit. Der NDB bestand beim Gespräch auf vollständige Anonymität. Doch eine einfache Google-Suche enthüllt die Identität des Mannes. Wie «20 Minuten» berichtete, erfuhr man Name und Funktion mithilfe des Programms einer öffentlichen Tagung zu Cyber-Risiken. Ein Blick auf das Profil des Cyber-Chefs bei der Karriereplattform Linkedin verriet die Hobbys, Ausbildung und den beruflichen Werdegang. Pikant: Es war ausgerechnet Qaasim Illi, Sprecher des Islamischen Zentralrats der Schweiz, der die Identität des NDB-Mannes mit wenigen Mausklicks aufdeckte und per Facebook-Post teilte.