Wilhelm Tell kannte er nicht. Und auf mehr als 300'000 Franken Sozialhilfeschulden sitzt der libysche Zahnarzt auch. Trotzdem muss der mehrfache Familienvater jetzt mit seinen Kindern eingebürgert werden. Das hat das Solothurner Verwaltungsgericht entschieden – gegen den Willen einer Bürgergemeinde im unteren Kantonsteil. Sie hatte dem Mann, der seit 19 Jahren in der Schweiz lebt, die Einbürgerung verweigert – zum zweiten Mal. Der 46-Jährige wollte sich schon 2011 einbürgern lassen.
Ein Urteil, das eine Frage aufwirft: Wie viel Spielraum hat eine Bürgergemeinde überhaupt, wenn es um Einbürgerungen geht? Und ein Fall der zeigt, dass ein ungutes Gefühl einer Bürgergemeinde allein nicht reicht. Es gilt vor Gericht als Willkür.
Für die Bürgergemeinde war klar: Die Sozialhilfeschulden stehen einer Einbürgerung im Weg. 326'000 Franken hat der 46-Jährige, der in der Schweiz studiert hat, bis Ende 2009 bezogen. Zurückbezahlt sind sie nicht, obwohl der Mann als Zahnarzt inzwischen in günstigen Verhältnissen lebt.
Das Verwaltungsgericht urteilt anders. Wer Sozialhilfe bezieht, der erhält den Schweizer Pass zwar nicht. Die Rückerstattung von Sozialhilfekosten sei aber keine Voraussetzung für eine Einbürgerung. Der Mann habe sich schliesslich nicht geweigert, das Geld zurückzubezahlen. Der Kanton müsste das Geld zuerst einmal zurückfordern.
Für die Bürgergemeinde war klar: Der Mann ist zu wenig integriert. Er ist in keinem Verein und pflegt kaum Kontakt zur Schweizer Bevölkerung, abgesehen vom zufälligen Kontakt mit Patienten.
Das Verwaltungsgericht urteilte anders. Zwar habe der 46-Jährige keine Schweizer Freunde, die er regelmässig treffe. Er pflege aber Kontakte zu Schweizern: Bei der Arbeit, mit Kollegen aus dem Studium, bei der Teilnahme an Schulanlässen. Und er spricht sich mit anderen Familien ab, um die Söhne ins Sporttraining zu bringen. Dass der Mann seine Freizeit vor allem mit der Familie verbringe, dürfe ihm nicht negativ ausgelegt werden.
Die Bürgergemeinde habe dem Mann Treffen mit anderen libyschen Staatsangehörigen «an eher seltenen Anlässen wie Hochzeiten und Beerdigungen» einseitig stark negativ angelastet, gelegentliche Treffen mit Schweizern aber nicht ähnlich stark gewichtet. So einseitig zu entscheiden, sei willkürlich.
Für die Bürgergemeinde war klar: Die Frau des Mannes ist zu wenig integriert. Er hat sich nicht darum bemüht, dass sie einen Deutschkurs macht. Zudem habe er nicht immer klar geantwortet, ob seine Tochter einen Nicht-Muslimen heiraten dürfe.
Das Verwaltungsgericht fand: Es gebe keine Anhaltspunkte, dass der Mann für die schlechte Integration seiner Frau mitverantwortlich ist. Ein Einbürgerungsverfahren habe individuellen Charakter. Dass er die Gleichstellung nicht achte, sei nicht genügend protokolliert.
Für die Bürgergemeinde war klar: Der Mann kennt Wilhelm Tell nicht.
Das Verwaltungsgericht fand: «Der Umstand alleine, dass er Wilhelm Tell nicht kennt, kann nicht ins Gewicht fallen.» Der Mann bestand den Neubürgerkurs mit der Note 5,2. Damit habe der 46-Jährige gezeigt, dass er mit den in der Schweiz geltenden Grundwerten vertraut sei.
Für die Bürgergemeinde war klar: Der Mann akzeptiert die Schweizer Staatsform zu wenig. Er bewege sich in seiner Freizeit in «einer konservativen muslimischen Parallelgesellschaft». Er setzt sich in einer Stiftung für die Errichtung muslimischer Glaubensstätten und die Förderung muslimischer Schulen ein. Von der Scharia habe er sich zu wenig klar distanziert.
Das Verwaltungsgericht sah dies anders. Man dürfe dem Mann «im Rahmen der Religionsfreiheit» nicht verwehren, «sich für seinen Glauben und dessen Ausübung einzusetzen». Es seien schliesslich keine undemokratischen Ziele in den Statuten der Stiftung.
Zudem habe der Zahnarzt mehrmals explizit gesagt, dass er nicht für die Einführung der Scharia in Europa sei. «Nach dem Gesagten kann ihm die Zugehörigkeit zu den genannten Organisationen nicht negativ ausgelegt werden, zumal keine Hinweise vorhanden sind, wonach der Gesuchsteller als Mitglied dieser Organisation die schweizerische Rechtsordnung nicht beachtet.»
Das Fazit des Gerichtes: «Von einem Einbürgerungsbewerber wird keineswegs verlangt, dass er seine bisherige Identität ablegt und in eine andere Haut schlüpft.» Wer keine Straftaten begangen hat, kann seine Einbürgerung per Rechtsweg durchsetzen, wie der Fall zeigt. Die Gemeinde hat im System heute das Nachsehen, Integriert zu sein heisse nicht, «die angestammte kulturelle Eigenart preiszugeben».
Bleibt die Frage: Wie viel Spielraum haben Bürgergemeinden noch? Das Gericht sagt: Gemeinden hätten einen «weiten Ermessensbereich» und hinsichtlich der «einzelnen Voraussetzungen mehr oder weniger grosse Beurteilungsspielräume». Ein Einbürgerungsverfahren sei aber «kein rechtsfreier Vorgang».
Die Gemeinde lasse bei ihrem Entscheid positive Punkte vollständig ausser Acht und berücksichtige einzig die kritischen Punkte. Solche Entscheide seien nicht von der Gemeindeautonomie geschützt. Wenn jemand alle auf eidgenössischer und kantonaler Ebene statuierten gesetzlichen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt, gehe es nicht an, dass die Gemeinde die Person «trotzdem nicht einbürgert».
Sergio Wyniger hat das Urteil gelesen. Der Stadtsolothurner Bürgergemeindepräsident ist beim kantonalen Bürgergemeinde- und Waldeigentümerverband für das Dossier Einbürgerungen verantwortlich. Er sagt: «Wir Bürgergemeinden wünschen uns möglichst viel Freiheit, unsere Kompetenz anwenden zu dürfen. Aber es darf keine Willkür geben. Das ist die Schwierigkeit am Ganzen.» Wyniger kann beide Seiten verstehen.
Grundsätzlich sagt er: «Unser Spielraum ist relativ klein. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen und wird von Bürgergemeinden immer wieder auch kritisiert.» Die Rahmenbedingungen seien vorgegeben. Spielraum böten etwa Fragen der Integration, die kaum messbar seien. So wird etwa die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben verlangt.
Einfach sei diese Einordnung nicht immer. «Ist nicht integriert, wer an der Fasnacht nicht mitmacht?», fragt Wyniger. Damit alle Gesuchsteller einigermassen gleich behandelt werden, haben die Bürgergemeinden einen Frageraster erarbeitet. «Diese Gesamtbetrachtung ist wichtig, etwa wenn ein Gesuch auf der Kippe ist.» Denn ein Entscheid dürfe nicht den Eindruck erwecken: «Den wollen wir nicht.»
Auch wenn der Spielraum klein ist, ist Sergio Wyniger überzeugt, dass die Bürgergemeinden die richtige Institution sind für Einbürgerungen. «Sie sind näher bei den Leuten als der Kanton», sagt er. «Ob jemand integriert sei oder nicht, sieht eine Bürgergemeinde besser.»
André Grolimund leitet das Amt für Gemeinden. Grundsätzlich spricht er von einem Einzelfall. Auf 500 Einbürgerungen gibt es im Schnitt zwei bis drei Beschwerden. «Es sind Fälle im Promillebereich, und die machen Schlagzeilen.»
Grolimund betont: Dass der Kanton oder die Gerichte die Gemeinden korrigieren, sei nicht nur aufgrund der geringen Beschwerdezahl eine falsche Annahme. «Man kann die Ebenen nicht gegeneinander ausspielen. Wir arbeiten sehr eng zusammen.» Viele Fälle würden schon abgeblockt, bevor es überhaupt zu einem richtigen Einbürgerungsverfahren kommt. Grolimund spricht zwar von einem «Ermessensspielraum». Er betont aber: «Dieser muss auf sauber abgeklärtem Wissen bestehen.»
Die betroffene Bürgergemeinde wollte keine Stellung nehmen. Der Bürgerrat akzeptiert den Gerichtsentscheid und zieht ihn nicht weiter.
Logisch weigert er sich nicht. Er kann sich ja erst weigern, wenn der Kanton Forderungen stellt !
Item
-Er befürwortet die Scharia ausserhalb Europas.
-Er hat nicht klar geantwortet, ob seine Tochter einen Nicht-Muslimen heiraten darf.
- Er setzt sich für die Förderung muslimischer Schulen ein.
-326'000.- Schulden.
Es ist genau DAS, was den Bürgern so auf den Sack geht.
Aber bestens integrierte Kinder werden ausgewiesen.