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Wie bringt man Junge an die Urne?  Zwei Berner wollen deren Wahl-Beteiligung auf 40 Prozent erhöhen

Easyvote auf dem Handy.
Easyvote auf dem Handy.
Bild: KEYSTONE

Wie bringt man Junge an die Urne?  Zwei Berner wollen deren Wahl-Beteiligung auf 40 Prozent erhöhen

Für gewöhnlich geht bloss ein Drittel der 18- bis 25-Jährigen wählen: Dies wollen Alexandra Molinaro und Nicola Jorio nun mit ihrem Projekt Easyvote ändern.
08.10.2015, 06:0608.10.2015, 07:53
Dennis Bühler / Aargauer Zeitung
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Mit roten Fahnen und Kartonschachteln voller Unterschriftenbögen überquert das gute Dutzend Jungsozialisten den Bundesplatz und platziert sich vor dem Eingang des Schweizer Parlaments, um dessen Präsidenten eine Petition zu übergeben. Gleichzeitig posieren, wenige Meter entfernt nur, Alexandra Molinaro und Nicola Jorio für den «Nordwestschweiz»-Fotografen. Wie die Juso engagieren sich die beiden jungen Erwachsenen politisch – und doch sind sie sichtlich bemüht darum, keinesfalls in die Nähe der Juso gerückt zu werden. Denn politische Neutralität ist ihr Kapital.

«Viele junge Erwachsene sagen uns, es sei egal, wer gewählt werde – in wichtigen Fragen könne sich die Stimmbevölkerung ja eh an der Urne äussern.»
Alexandra Molinaro

Rund 290'000 Schweizer können am 18. Oktober zum ersten Mal ihre Stimme bei National- und Ständeratswahlen abgeben. Doch erfahrungsgemäss wird dies nur rund ein Drittel tun – ausser, Molinaro und Jorio haben mit ihrem Engagement raschen Erfolg. Die 27-jährige Bernerin und der 26-jährige Berner sind die Köpfe hinter Easyvote, einem parteipolitisch unabhängigen Projekt des Dachverbandes Schweizer Jugendparlamente. Langfristig wollen sie die Wahl- und Stimmbeteiligung der 18- bis 25-Jährigen auf 40 Prozent erhöhen, in zehn Tagen sollen wenigstens 35 Prozent einen Wahlzettel in die Urne legen – drei Prozent mehr als vor vier Jahren.

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Viermal mehr Rentner

Molinaro und Jorio wollen nicht länger hinnehmen, dass sich ihre Altersgenossen viel weniger beteiligen als ältere Semester: 2011 wählten 57 Prozent der 55- bis 64-Jährigen, 61 Prozent der 65- bis 74-Jährigen und 70 Prozent der Über-75-Jährigen. Weil die Gruppe der Jungwähler bloss halb so gross ist wie jene der Rentner, bedeutet dies: Rund einer Million Alt- stehen 250'000 Jungwähler gegenüber.

Heute Donnerstag veranstaltet Easyvote einen nationalen Aktionstag. In Bern, Basel, Zürich, Luzern, Interlaken, Lausanne, Lugano und Mendrisio informieren Freiwillige junge Menschen, wie das Wählen funktioniert und welche Kandidaten zu ihnen passen. «Viele junge Erwachsene sagen uns, es sei egal, wer gewählt werde – in wichtigen Fragen könne sich die Stimmbevölkerung ja eh an der Urne äussern», sagt Molinaro. «Doch das stimmt nicht: Die Politik wird im Parlament bestimmt!»

Zwar seien viele ihrer Kollegen durchaus bereit, an Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen, sagt die Public-Management-Studentin. «Aber sie wollen sich fast keine Zeit nehmen, um sich zu informieren.» Noch deutlicher wird Jorio: «Viele Jugendliche sind mit der politischen Sprache überfordert.» Auf www.easyvote.ch bieten Molinaro, Jorio und ihre Mitstreiter deshalb einfach verständliche Informationen, die in kurzer Zeit eine sachverständige Wahl ermöglichen sollen.

«Die Jungen sind intelligent genug, um einen Wahlzettel korrekt auszufüllen.»
Thomas Milic

«Junge sind intelligent genug»

Der Zürcher Wahlforscher Thomas Milic hält Easyvote für eine gelungene Sache. Dem Befund, Wählen überfordere die jungen Erwachsenen, widerspricht er allerdings vehement: «Die Jungen sind intelligent genug, um einen Wahlzettel korrekt auszufüllen», sagt er. «Das Problem ist vielmehr das fehlende politische Interesse.» Studien hätten die entscheidende Bedeutung des Elternhauses zutage gefördert. «Wenn zu Hause nie über Politik diskutiert wird und auch die Eltern nicht abstimmen und wählen, nehmen auch die Kinder selten am politischen Leben teil.»

Jorio bestätigt diese Aussage – und Molinaro ist die passende Ausnahme. Während die Politikbegeisterung des Betriebswirtschaftsstudenten am heimischen Mittagstisch entfacht wurde, waren Molinaros Eltern gar nicht stimmberechtigt. Beide aber haben sie keine Abstimmung verpasst, seit sie 18-jährig sind. «Wir lassen uns die Unterlagen sogar ins Ausland schicken, wenn wir in den Ferien sind.»

Mitreden bei den grossen Fragen

Jetzt auf

2011 lautete die Devise des Easyvote-Teams, Wählen müsse Spass machen, und «jugendliche» Themen wie zum Beispiel die Legalisierung von Cannabis oder Musikdownloads wurden ins Zentrum gerückt. Diese Strategie aber spreche junge Erwachsene nicht an, so Molinaro. «Wenn sie wählen und abstimmen, wissen sie, dass sie eine Bürgerpflicht wahrnehmen.» Sie wollten mitreden bei den grossen Fragen: «Wie geht es weiter mit der AHV? Wie mit Europa? Und wie mit der Energiewende?»

Milic teilt diese Einschätzung. Und er hält fest: «Wer mit 18 nicht wählt, bleibt nicht sein Leben lang Nichtwähler.» Politische Partizipation sei vielmehr eine Frage des Lebenszyklus: Sobald man etwa selbst Steuern zahlen müsse, wolle man auch bei Steuerfragen mitbestimmen. «Ich kann beruhigen: Es rollt keine Welle von Nichtwählern auf uns zu», sagt er. «Die Demokratie ist nicht gefährdet.»

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