In der Schweizer Tabakbranche herrscht Goldgräberstimmung. Immer mehr grosse und kleine Firmen, auch Onlineshops, steigen in den Verkauf von Snus ein. So nennt sich der skandinavische Mundtabak, den man sich in Bällchen oder Beuteln unter die Lippen klemmt. In der Branche gilt die Schweiz bereits als «neues Norwegen» – neben Schweden das einzige westeuropäische Land, wo Snus weit verbreitet ist.
Der wohl grösste Player im Schweizer Snus-Geschäft ist die Kioskbetreiberin Valora. Das Unternehmen verdient gutes Geld mit dem Mundtabak und hat sein Snus-Sortiment in den vergangenen Monaten sukzessive ausgebaut. «Der Grund ist, dass wir auf die grosse Kundennachfrage reagieren», sagt ein Sprecher.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist gar nicht glücklich über diese Entwicklung. Denn eigentlich ist Snus in der Schweiz seit Mitte der 90er Jahre verboten. Dass Unternehmen wie Valora Snus dennoch ungehindert verkaufen können, liegt an einer unglücklichen Formulierung in der Tabakverordnung: Diese untersagt nur «granulat- und pulverförmigen» Snus. Ausdrücklich erlaubt sind Erzeugnisse, die «zum Kauen» bestimmt sind, also Kautabak.
Die Valora nutzt die Rechtslücke, indem sie ihren Snus statt in der verbotenen Pulverform fein geschnitten als legalen Kautabak (siehe Bild oben rechts) verkauft und beschriftet. Faktisch handelt es sich bei dem Produkt aus Dänemark um Snus. Doch juristisch ist es nicht von Kautabak zu unterscheiden. Denn eine Definition, was Kautabak ist, fehlt in der Verordnung.
Das BAG versuchte das Schlupfloch erstmals im Juni 2013 zu stopfen. In einem Informationsschreiben an die Kantonschemiker und die Eidgenössische Zollverwaltung wies es darauf hin, dass Snus und Kautabak zwei verschiedene Dinge sind. Snus weise «Fasern im unteren Millimeterbereich» auf, beim Kautabak liege die Blattlänge jedoch «typischerweise im Zentimeterbreich».
Die Kantonschemiker liessen sich nicht überzeugen. Recherchen zeigen: Viele rechnen mit Rechtsstreitigkeiten bis vor das Bundesgericht, sollten sie versuchen, die Snus-Fabrikate wie jenes von Valora vom Markt zu nehmen. Christopher Hohl, Chemiker beim Kanton Basel-Stadt, sagt: «Wenn eine Firma ein Tabakprodukt als Kautabak bezeichnet, ist es sehr schwierig, das Gegenteil zu beweisen. Die Rechtslage ist zu wenig eindeutig.» Ändern könne dies nur eine verbindliche Weisung des Bundesamtes für Gesundheit. Ein Informationsschreiben alleine reiche nicht aus.
Auch die Eidgenössische Zollverwaltung sieht sich nicht in der Lage, die Snus-Importe aus eigener Kraft zu stoppen. «Der Schweizer Zoll vollzieht Rechtsgrundlagen, bestimmt aber nicht selbst Verbote oder Beschränkungen.» Da bis jetzt keine neue Weisung des BAG vorliege, habe es «keine gezielten Kontrollen oder Rückweisungen» gegeben.
Ein Blick in die Schweizer Importstatistik bestätigt dies: Die Einfuhren von Kau-, Rollen- und Schnupftabak aus Skandinavien (siehe Grafik links) nahmen auch nach dem Informationsschreiben des BAG unvermindert zu. Im Januar 2015 importierten Schweizer Unternehmen alleine aus Dänemark über drei Tonnen rauchfreien Tabak – im Juni 2013 waren es erst 215 Kilogramm.
Jetzt, knapp drei Jahre nach dem Informationsschreiben, empfängt das BAG die Zollverwaltung und die Kantonschemiker am 29. Februar zu einem Krisengespräch. Dabei sollen laut Sprecherin Catherine Cossy «aktuelle Fragen der Regelung und des Vollzugs» besprochen werden. Möglich auch, dass das Bundesamt bei dieser Gelegenheit ein Machtwort spricht und den Snus-Verkauf in der Schweiz per Weisung oder Rundschreiben unterbindet. Eine solche Massnahme würde laut BAG einen harmonisierten Vollzug in den Kantonen ermöglichen. Noch gibt sich die Behörde bedeckt: «Wir werden danach entsprechend informieren», so Cossy.
Langfristig wird der Streit um Snus ohnehin im Parlament entschieden, das noch dieses Jahr über das neue Tabakproduktegesetz entscheiden dürfte. Der Bundesrat möchte darin das Schlupfloch stopfen. Ob er damit durchkommt, ist fraglich: Die Lobby in den eidgenössischen Räten für den skandinavischen Mundtabak ist gross. 2013 haben 115 von 200 Nationalräten eine parlamentarische Initiative des St.Galler SVP-Nationalrats Lukas Reimann zur Legalisierung unterschrieben.
Auch der Appenzeller FDP-Ständerat Andrea Caroni zählt zu den Snus-Freunden: Der Anwalt erstellte vor kurzem für eine Tabakfirma ein Gutachten zur hiesigen Rechtslage. Wenig später stieg das Unternehmen in das Schweizer Snus-Geschäft ein.