Schweiz
Gesundheit

«Arena» Krankenkassen-Prämien

Brachten die Politiker-Garde in Bedrängnis: Rentner Bürkli, Unternehmer Fischer und Rentner Will.
Brachten die Politiker-Garde in Bedrängnis: Rentner Bürkli, Unternehmer Fischer und Rentner Will.bild: screenshot/srf

Krankenkassen-«Arena»: Der heilige Zorn der drei alten Herren und des Roboters feine Klinge

Seit 20 Jahren steigen die Krankenkassenprämien unaufhörlich, während die Löhne stagnieren. Man ist sich einig: Wenn es so weiter geht, laufen die Kosten im Gesundheitsbereich langsam, aber sicher aus dem Ruder. Nur, was tun? Während die Politiker in der «Arena» gescheit um das Problem herum diskutieren, reden drei ältere Herren Klartext. 
08.10.2016, 00:2514.02.2017, 10:37
William Stern
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Herrn Bürklis Augen sind gerötet, die Stimme bebt, der Brustkorb hebt und senkt sich in schneller Folge. Der 84-Jährige erzählt, wie die Schwester seiner Frau nach einem «x-fachen Rippenbruch» die letzten Stunden ihres Lebens im Spital verbracht hatte. Gelitten habe sie, «gelitten, gelitten, gelitten». Oder, um es noch ein wenig drastischer auszudrücken: «Hätte ein Mensch einen Hund so behandelt, man würde diesen Menschen sofort ins Chäfig sperren!»

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Rentner Bürkli, Altersflecken auf der Backe, schütteres Haar, schmale Lippen, sprach über die Selbstbestimmung im Alter. Und über zwei Gruppen von alten Menschen: Diejenigen, die – koste es, was es wolle – krampfhaft am längst nicht mehr lebenswerten Leben festhalten. Und diejenigen, die rechtzeitig eine Patientenverfügung verfasst haben – und so das soziale Gesundheitssystem nicht unnötig belasten.

Nach dem emotionalen Ausbruch des Rentners war es kurz so still im SRF-Studio, dass man fast den nahegelegenen Leutschenbach plätschern hörte. Die Schilderung der letzten Stunden im Leben von Herrn Bürklis Schwägerin berührte die Anwesenden nicht zu knapp. Herzchirurg Thierry Carrel schaute betreten drein, SVP-Nationalrat und Santésuisse-Präsident Heinz Brand kratzte sich verlegen am Kopf und die Grünen-Politikerin Christine Häsler wusste nicht so Recht wohin mit ihrem Blick. Im Zweifel Richtung Decke, dort drohte kein Ungemach.

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Damit war der Wendepunkt in dieser Sendung erreicht. Rentner Bürkli hatte – ob gewollt oder ungewollt – eine kleinere tektonische Verschiebung bewirkt. Weg von den technischen Details des Gesundheitssystems – hin zum Menschen. 

Zuvor wurde über Kostenexplosion, stagnierende Löhne, teure Geräte, unsolidarische Junge, Franchise-Jäger, demografische Verschiebung, ineffiziente Spitäler, Kantönligeist und Krankheits-Bagatellfälle diskutiert. Immer sachlich, immer höflich, nie auf der persönlichen Ebene, nie gehässig: «Nein, Sie bitte zuerst» – «Nach Ihnen, Ihr Argument ist sicherlich sehr valide» – «Da haben Sie allerdings recht, da bin ich ganz bei Ihnen» – «Bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung, das war jetzt unhöflich von mir».

Diese Arena war ein Musterbeispiel dafür, wie eine politische Debatte geführt werden kann, wenn sie nicht von emotionalisierten Statements vergiftet ist. Eben ruhig, sachlich, argumentativ – und ohne jeden Biss.

Wäre da nicht der heilige Zorn der drei alten Herren gewesen. Denn nach Rentner Bürkli kam Unternehmer Fischer an die Reihe. Und wie sein Vorredner setzte auch Unternehmer Fischer zu einer Brandrede an:

Unternehmer Fischer: «Man muss das System ändern»

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Man rieb sich verwundert die Augen: Da sprachen drei gestandene Politiker, ein Herzchirurg und ein Ökonom – Tilman Slembeck – während gut einer Stunde über die Gebrechen des Schweizer Gesundheitssystems, sezierten die Materie, gingen vom Grossen ins Kleine und fanden nicht mehr aus dem Dickicht heraus. Und dann will ein betagter Unternehmer kurzerhand die Revolution ausrufen. Weg mit dem alten System, weg mit den Scheinlösungen, hin zu einer nachhaltigen Reform des Gesundheitswesens.

Der Hinweis des Ökonomen Slembeck – aus der Expertenwarte mit klugen Einwürfen aufwartend – dass die Gesundheitskosten in der Schweiz sich noch immer in einem vernünftigen Rahmen bewegten, kümmerte Herrn Fischer nicht. 

«Natürlich kann es so weitergehen», sagt der Ökonom.

Video: streamable

Der «Herr Ökonom» solle doch bitte den zwei Millionen wenig verdienenden Menschen in diesem Land mitteilen, dass es für sie kein Problem sei, wenn sie monatlich 500 Franken Krankenkassen-Beiträge bezahlen, so die schnippische Replik von Unternehmer Fischer.

Und Rentner Will, der Dritte im Bunde der graumelierten Musketiere, setzte noch einen obendrauf. Er frage sich manchmal schon, ob im Bundeshaus eigentlich nur die eigenen Interessen verfolgt würden; ob die Herren National- und Ständeräte eigentlich an einer gütlichen Lösung für alle Bürger interessiert seien oder ob sie nur die eigenen Pfründe im Visier haben.

Die Lobbyisten im Parlament

Video: streamable

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung von einem, der laut eigenen Aussagen «durchaus ab und zu» am Bundesplatz anzutreffen sei. Und sie war an die Adressen von Heinz Brand, Präsident des Krankenversicherungsverbands Santésuisse, und Jean-François Steiert, Vizepräsident des Dachverbands der Schweizer Patientenstellen, gerichtet. 

Brand und Steiert liessen die Vorwürfe an sich abperlen. Lobbyismus sei im politischen Milizsystem ein notwendiges Übel, erklärte Brand sinngemäss. So ganz überzeugend kam das allerdings nicht rüber.

Eine feinere Klinge als Brand und Steiert führte da Vinci, wenn auch nur im Operationssaal und nicht auf der politischen Bühne. Der millionenteure Operations-Roboter war lange der letzte Schrei in der Chirurgen-Welt. Mittlerweile steht er synonym für die ausufernden Kosten im Gesundheitsweisen – und bekam in der Sendung dementsprechend sein Fett weg:

Ein Roboter als Prügelknabe

Video: streamable

Und, wie krank ist unser Gesundheitssystem nun tatsächlich? Wird es nur von einem leichten Schnupfen geplagt oder liegt es röchelnd in den letzten Zügen? Für Unternehmer Fischer gibt es eine ebenso knappe wie klare Antwort: «Schwer krank».

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Wupsie
08.10.2016 13:33registriert Januar 2016
Da ich im gesundheitssektor arbeite, bin ich auch der Meinung, dass das System schwer krank ist. Einheitskasse, weniger Spitäler, dafür mit spezialisierten Zentren, weniger Spa und mehr Spital. Damit meine ich eine Rückbesinnung auf eine solide medizinische Versorgung, ohne einer Weinkarte, die jedes 5 Sternehotel übertrifft.
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amore
08.10.2016 10:15registriert Februar 2014
Einheitskasse einführen.
Planung des Leistungsangebots auf Bundesebene einführen.
Leistungserbringer mit schlechter Qualität ausschliessen.
Kopfprämien abschaffen.
Und schon ist unser System auf das Beste renoviert.
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_kokolorix
08.10.2016 10:24registriert Januar 2015
Wie soll hier ein vernünftiges System entstehen wenn alle Kostentreiber so prominent mitreden können. Nur der Prämienzahler der fast nie Krank ist, wird nicht einbezogen. Logisch, dass es immer teurer wird
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