Die Einheitskrankenkasse spaltet die Ärzteschaft, der Ärzteverband FMH hat Stimmfreigabe beschlossen. Ein Ärztekomitee für die öffentliche Krankenkasse engagiert sich aber für die Initiative – zum Wohl der Patientinnen und Patienten, wie es am Dienstag vor den Medien in Bern hiess.
Die Ärztinnen und Ärzte, die für die Initiative «Für eine öffentliche Krankenkasse» warben, kritisieren am heutigen System vor allem die Jagd der Krankenkassen nach guten Risiken und die ausufernde Schreibtischarbeit. Die Assistenzärztin und Aargauer SP-Grossrätin Anna Andermatt sprach von einem «Kassendschungel».
Obwohl das Produkt bei allen Versicherungen das gleiche sei, gebe es nicht weniger als 300'000 Prämien je nach Kasse, Alter, Geschlecht, Kanton oder Versicherungsmodell. Das bedeute für die Hausärztinnen und Hausärzte einen Berg von Papieren beim Kassenwechsel.
Bei der Rehabilitation würden systematisch Kostengutsprachen verzögert oder erst nach teils schikanösen Rückfragen beantwortet. Diese Bürokratie frisst laut Andermatt Zeit, die nicht direkt den Patienten zugutekommt.
Sie erinnerte an eine aktuelle Erhebung der FMH, wonach Spitalärztinnen und -ärzte mehr Zeit am Schreibtisch verbringen als mit den Patienten. «Der grösste Nutzen der Initiative für die Ärzte wäre, dass wir die unsägliche Bürokratie abstellen könnten», sagte der Richterswiler Hausarzt René Haldemann.
Patientinnen und Patienten dagegen sind vor allem betroffen von der Jagd der Krankenkassen nach sogenannten guten Risiken – jungen, gesunden Patientinnen und Patienten. Chronisch Kranke und ältere Menschen versuchten die Kassen dagegen wie den Schwarzen Peter loszuwerden, sagte Haldemann.
Dies steht im Widerspruch zur Idee der Versicherungspflicht: In der Grundversicherung muss jede Krankenkasse jeden Versicherten unabhängig von Alter und Gesundheitszustand vorbehaltlos akzeptieren. Gemäss den Vertretern des Ärztekomitees umgehen die Versicherungen dies aber mit verschiedenen Tricks.
Einige Kassen lassen ihre Versicherten die Medikamente in der Apotheke zunächst selber zahlen. Chronisch kranke Patientinnen und Patienten, die regelmässig teure Medikamente brauchen, kann dies in finanzielle Notlagen bringen. Faktisch schliesse die Kasse damit jene Versicherten aus, die auf teure Behandlungen angewiesen seien, sagte Michel Matter, Präsident des Genfer Ärzteverbandes.
Abgebrochene Maklergespräche mit chronisch Kranken, Präventionsangebote für Junge statt für Alte oder die obligatorische Telefonkonsultation vor dem Arztbesuch gehören gemäss dem Komitee ebenfalls zum Repertoire der Krankenkassen. Kosten würden dadurch keine gespart, sagte Haldemann. Für die Krankenkassen sei es aber einfacher, mit Risikoselektion Überschüsse zu erzielen als sich um echte Einsparungen bei den Behandlungskosten zu bemühen.
Eine öffentliche Krankenkasse würde dieses System gemäss dem Komitee einfacher und transparenter machen. Die Debatte um den Risikoausgleich wäre vom Tisch, dank einheitlicher Administration und besserer Koordination hätten die Ärzte wieder mehr Zeit für die Patienten. «Die kranken Versicherten rücken endlich ins Zentrum der Aktivitäten», sagte Haldemann.
Dem Komitee sind bis am Dienstag rund 450 Ärztinnen und Ärzte beigetreten. Eine Umfrage der FMH in der Ärzteschaft von Anfang Jahr hatte kein einheitliches Bild ergeben, viele Mitglieder wünschten aber Verbesserungen am System. Unterstützt wird die Initiative vom Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO).
Über die Volksinitiative «Für eine öffentliche Krankenkasse» wird am 28. September abgestimmt. Diese verlangt, dass die obligatorische Grundversicherung in Zukunft von einer einzigen Krankenkasse angeboten wird, einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung. Im Initiativkomitee vertreten sind SP, Grüne sowie Patienten- und Konsumentenorganisationen. (aeg/sda)