Das Brot ist etwas hart, im Birchermüesli dagegen gibt es nichts Festes zu beissen. Die Milch für den Kaffee haben die Chinesen schon weggetrunken. Sie sind früher aufgestanden. Vom Küchentisch abgewandt an der Anrichte schiebt sich Franz Rueb Salami-Rädchen in den Mund. Fleischbeilagen sind wohl nicht im Preis inbegriffen. Bei 40 Franken pro Nacht mit TV, Wireless und Frühstück mitten im Herzen Zürichs beklagt sich keiner darüber. Die Wohnung riecht nach ihrem Alter. In den 28 Jahren seit Rueb hier wohnt, wurde sie nie saniert. Dennoch ist dieses kleine Hotel «ständig ausgebucht».
Irgendwie clever, Herr Rueb: «Ach was, das Wort ‹clever› mag ich nicht. Ich erzähle Ihnen die Geschichte von Anfang an», sagt der 80-Jährige.
Die Geschichte begann vor zwölf Jahren an eben diesem Küchentisch. Franz Rueb wohnt schon seit 1986 in dieser grossen Stadtwohnung im Kreis 5. Nachdem er sich von seiner Frau getrennt hatte, sie auszog und der Sohn zum Studieren nach Berlin ausflog, wurde die Wohnung für ihn zu gross – und das Geld etwas knapp. Die Idee, von der ihm kurz nach der Jahrhundertwende eine Freundin beim Kaffeeplausch erzählte, schien ihm perfekt für seine Situation: Die ältere Dame hatte in ihrem leer gewordenen Einfamilienhaus ein Bed and Breakfast (B'n'B) eingerichtet.
Nach Rücksprache mit einer befreundeten Anwältin beschloss Franz Rueb, sein Vorhaben nicht mit der Stadt abzusprechen. Dies obwohl er in einer Wohnung des gemeinnützigen Zürcher Wohnungsbaus von einer Miete von nur gerade 1900 Franken für fünfeinhalb Zimmer profitierte. Er meldete seine Wohnung bei Bed and Breakfast Switzerland an, schickte ein paar Fotos ein und einige Tage später klingelte ein erster Gast unten an der grossen Glastüre der städtischen Wohnsiedlung aus den 80er-Jahren.
Franz Rueb hat sich schon sein ganzes Leben lang irgendwie durchgewurstelt: Als Bub im Heim bei katholischen «vermummten Ungeheuern», später in der «Hölle selbstgerechter schwarzer Pädagogik» als Schwererziehbarer in der Pestalozzistiftung und dann als Jungpolitiker, Mitglied der Partei der Arbeit, späterer Kantonsrat und Gallionsfigur der 68er-Bewegung. Als er für seine eigene Partei zu unberechenbar wurde und sie ihn ausschloss, zog der Kommunist nach Berlin, als Dramaturg ans Deutsche Theater.
Fünf Jahre später kam er zurück nach Zürich und arbeitete als Publizist, Journalist und Autor. Zwölf Bücher, mehrere Hörspiele und dutzende Artikel publizierte er, darunter seine Autobiografie und – man glaubt es kaum – ein Buch über seine Zeit als Herbergsvater.
«Dass die Stadt nie darauf kam, dass ich hier ein B'n'B führe, ist fast schon amüsant», sagt Rueb mit einem verschmitzten Glanz in den Augen. Der alte Querschläger hat seine eigene Logik: «Als Publizist habe ich keine Pension, meine AHV ist tief. Ich musste mir also etwas überlegen», sagt er. Zusatzleistungen zu beziehen oder der Sozialhilfe auf der Tasche zu liegen, sei für ihn nie in Frage gekommen. «Dank dem B'n'B bin ich bis heute finanziell unabhängig», sagt er.
Seine Einnahmen – «ich mache alles cash» – versteuerte er aber wahrscheinlich nie: 21'100 Franken Einkommen weist sein Steuerausweis 2012 aus. Gegenüber der Stadt sprach er später von Einkünften von 10'000 – 13'000 Franken jährlich. Bei drei ständig ausgebuchten Zimmern zu 40 – 55 Franken pro Nacht kämen nach eigener Berechnung jedoch in einem Jahr rund 40'000 Franken zusammen.
Doch Rueb wollte seine Wohnung nicht aufgeben: «Wo sollen denn in einer kleineren Wohnung meine ganzen Bücher hin?», fragt er. Fast in jedem Raum stapeln sie sich, Ruebs Bücher: Im kleinen Zimmer, wo er schläft, im grossen Büro, wo früher das Wohnzimmer war, sogar im Flur des oberen Stocks, wo heute drei Zimmer mit Doppelbetten und Fernsehern für seine Gäste bereitstehen.
Seine Zeit als Herbergsvater dürfte dennoch bald der Vergangenheit angehören: Vor einem halben Jahr flatterte dann doch ein Brief der Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich ins Haus: «Um unseren Auftrag, preisgünstige Wohnungen für Familien bereit zu stellen, zu erfüllen, bitten wir Sie, in einen Umzug in eine kleinere Wohnung einzuwilligen», stand darin. Rueb antwortete mit drei langen Briefen, gibt heute aber zu bedenken: «Ich merke, dass ich nach zwölf Jahren langsam genug davon habe, täglich um 7 Uhr aufzustehen und Frühstück zuzubereiten.» Auch Querschläger werden irgendwann müde.
Ein Rentner der seine winzige Rente mit - zugegebenrmassen - nicht ganz sauberen Tricks aufbessert hier. Banken die Milliarden verzocken und und dabei munter Boni bezahlen dort. Spekulanten, die gute Häuser Luxussanieren und zum dreifachen Mietzins wieder vermieten...
Was ist also schlimmer?
Der Mann könnte sich für die Miete kaum eine kleinere Wohnung suchen, die wirklich günstiger wäre. Bliebe also der Gang zum Sozialamt.
Es gibt genug andere, Restaurant Millionäre zum Beispiel, die jahrelang der Stadt Zürich keine Steuern bezahlt haben. Mit gewieften Steuerberater sind solche Machenschaften möglich. Und wie war jetzt das mit Carlos, der dem Staat mit fast 30'000 Franken monatlich auf der Tasche lag, bzw. noch immer liegt? Hä?
Schlitzohr Franz Rueb hat NIE Sozialhilfe bezogen.