Mark Pieth, wie werten Sie die Sanktionen der FIFA-Ethikkommission?
Es zeigt, dass diese vielfach belächelte Institution eben doch mehr Zähne hat als gedacht. Sie hat einen gewissen Mut, geht aber gleichzeitig vorsichtig vor.
Wie meinen Sie das?
Die Suspendierung ist provisorisch – und das ist auch richtig, weil das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Bevor jemand verurteilt wird, soll er sich verteidigen können. Das wird auch in den Fällen Blatter und Platini passieren. Trotzdem gibt es gute Gründe für diese provisorische Sperre: Wer derart in eine strafrechtliche Untersuchung gerät, kann einen Verband wie die FIFA nicht mehr glaubwürdig vertreten. Die Ethikkommission könnte damit den Machtwechsel erzwingen. Und den Weg freimachen für einen radikalen Neustart.
Wie geht es jetzt weiter für die FIFA?
Es braucht dringend jemanden, der Ruhe in diesen Verein bringt. Vorerst übernimmt der Kameruner Issa Hayatou das Präsidentenamt, wobei er schwer krank ist. Es ist möglich, dass er doch noch verzichtet. Jedenfalls kann er sicher keine Macht ausüben, dafür ist er zu angeschlagen, nicht nur körperlich, auch was seine Integrität betrifft. Eine Lichtgestalt ist derzeit nicht in Sicht. Auch der Spanier Villar, der nach Hayatou an die Reihe käme, ist einer, der immer wieder durch sein Blockieren von Reformen aufgefallen ist.
Welche Lösung würden Sie vorschlagen?
Die unmittelbare Phase ist wahrscheinlich nicht einmal so wichtig. Aber ich würde es als sinnvoll erachten, baldmöglichst einen Übergangspräsidenten zu installieren. Am besten für zwei Jahre. Auf jeden Fall muss es eine starke Persönlichkeit sein, die keine Kompromisse eingehen muss, um die eigene Wiederwahl nicht zu gefährden. Mein Kandidat wäre der Deutsche Theo Zwanziger. Er hat zwar gesagt, dass er nicht zur Verfügung stehe – aber man muss ihn eben noch einmal fragen!
Werden die Probleme für die FIFA ohne Blatter weniger? Oder werden sie noch grösser, weil die FIFA nun praktisch führungslos ist?
Kurzfristig wird die FIFA ein Führungsproblem bekommen. Wobei das den Druck erhöht, einen geeigneten Kandidaten zu finden. Und danach Reformen einzuleiten. Deshalb sind die jüngsten Vorkommnisse langfristig nicht schlecht für die FIFA.
Welches sind die dringendsten Reformen?
Es muss eine Amtszeitbeschränkung geben. Es muss Ethiktests geben für alle, die in einer FIFA-Kommission mitarbeiten, nicht nur für die Präsidentschaftskandidaten und die Mitglieder des Exekutiv-Komitees. Eine weitere Idee, die derzeit vorangetrieben wird, ist die Aufteilung des Exekutivkomitees in eine operative Führung und eine Kontrollaufsicht – so, wie das bei einer funktionierenden Aktiengesellschaft der Fall ist.
Die Funktionärskarriere von Blatter scheint zu Ende. Wie schaut es mit jener von Michel Platini aus? Er hat sich gestern offiziell als FIFA-Präsident beworben. Wird er überhaupt zugelassen?
Ich denke, weil seine Sperre nur provisorisch ist, wird er auch als provisorischer Kandidat fürs FIFA-Präsidium zugelassen. Die Zeit drängt noch nicht. Klar ist: Bei einer definitiven Sperre – für mehr als nur ein paar Wochen – wären seine Ambitionen nicht mehr tragbar.
Moralisch gesehen, sind sie das ohnehin nicht mehr, oder?
Es wird jedenfalls sehr spannend sein, Platinis Begründung zu erfahren, warum er Geld bekommen hat von der FIFA, für welche Dienste genau, und vor allem, ob seine Aussage, dass die FIFA damals kein Geld hatte, wirklich stimmt. Eine weitere Frage ist auch, wie er mit dieser Sperre überhaupt umzugehen vermag.
Braucht es die FIFA überhaupt noch?
Ich denke schon. Nehmen wir das Boxen als Vergleich. Dort gibt es mehrere Verbände, jeder macht für sich eine eigene WM. Stellen wir uns also vor: Bald gäbe es drei Fussballweltmeister gleichzeitig? Oder gar keinen mehr. Ich denke, es braucht die FIFA als Organisatorin der Spiele. Die Frage ist, ob sie ein derartiges Mega-Unternehmen bleiben muss, das derart viel Geld verdient.