Niemand ist da zum gemeinsamen Abendessen, das Telefon steht still und die Wanderung am Wochenende wird alleine bestritten: Ein soziales Umfeld fehlt so manchem Senior. In Frankreich zeichnet sich im Kampf gegen Einsamkeit im Alter nun eine Lösung ab: Für abwesende Verwandte und Freunde springt der Postbote ein.
Seit Mai können unsere westlichen Nachbarn ab 19.90 Euro pro Monat den Briefträger ein- bis sechsmal pro Woche zum betagten Mami oder Papi schicken. Dieser verbringt dann rund 10 Minuten mit dem Senior, plaudert mit ihm, macht auf Wunsch hin auch beim Kafichränzli mit – fast wie in früheren Zeiten, als der Pöstler das an vielen Orten noch freiwillig tat.
Im Abo inbegriffen ist auch das Fragen nach Wünschen für den Einkauf, nach dem Befinden und das Mitteilen von Nachrichten der Familie. Um die jüngere Generation zu beruhigen, erfasst der Postbote anschliessend auf einer entsprechender App ein kurzes Resümee des Besuchs.
Der neue Service ist Teil der Diversifikationsstrategie des Unternehmens, da sich mit dem Zustellen von Briefen zunehmend weniger Umsatz generieren lässt. Die Pöstler, die nun in ihrem Job ihre soziale Ader ausleben, seien von Alters- und Pflegeheimen geschult worden, sagt die französische Post.
Auch die Schweizer Post dachte bereits über ein entsprechendes Angebot nach, wie Sprecherin Nathalie Dérobert Fellay sagt. «Wir haben im Jahr 2011 ein ähnliches Projekt getestet. Doch dieses konnte schlussendlich aufgrund mangelnden Pilotkunden nicht durchgeführt werden.»
Vojislav Todosijevic von der Stiftung für Betagtenhilfe hofft trotzdem, dass es auch hierzulande bald soziale Briefträger geben wird: «In unserem Land gibt es bei weitem nicht genug Angebotsformen, die gegen Einsamkeit im Alter ankämpfen.» Diese wenigen Strukturen würden zudem nur dank Freiwilligen funktionieren.
Todosijevic: «Ein Angebot wie in Frankreich wäre sowieso in allen westeuropäischen Gebieten nötig. Wo immer es viele alte Menschen gibt, die nur wenige Angehörige haben.» In Süd- und Osteuropa hingegen sei der soziale Postbote wohl überflüssig, weil dort die meisten Familien auch nach der Heirat im selben Haushalt leben. Mit Kosten ab 19.90 Euro pro Monat sei das Angebot ausserdem auch für finanziell schwächere Personen tragbar.
Dr. Hilde Schäffler, Projektleiterin bei Public Health Services, hat das Schweizer Angebot gegen Einsamkeit im Alter untersucht. Auch sie wünscht sich von der Schweizerischen Post einen ähnlichen Service wie in Frankreich. «Das wäre grundsätzlich eine gute Idee. Denn es gibt zwar Angebote, die potenziell gegen Einsamkeit wirken, aber die wenigsten gehen zu den Menschen nach Hause.»
Damit dieses Angebot aber etwas bewirke, bedürfe es einiger Voraussetzungen: «Ist der Postbote der älteren Dame, mit der er laut Auftrag jeden Tag 10-15 Minuten sprechen soll, ihr beispielsweise unsympathisch, dann wird das kaum klappen.»
«VEILLER SUR MES PARENTS», un service de visites régulières du facteur au domicile des #seniors @GroupeLaPoste https://t.co/ZTaBiisFJ6 pic.twitter.com/ky41x4czoG
— MalakoffMédéric55+ (@mm55plus) 27. April 2017
Beim Schweizerischen Roten Kreuz hingegen wäre man von einer solchen Dienstleistung nicht begeistert. Urs Frieden, Kommunikationschef, sagt: «Das sieht eher nach einer Diversifizierung mangels anderer, verschwundener, Dienstleistungen aus, also nicht zwingend empfängerorientiert. Das wäre auch für die Schweiz nicht ideal.»
Auch Betroffene äussern sich skeptisch. Marisa*, 75, zieht ein Telefongespräch mit den Angehörigen klar vor. «So etwas ist doch unnötig. Wollen meine Töchter wissen, wie es mir geht, sollen sie zum Hörer greifen.»
Der 75-jährige Peter* sieht das Problem eher bei der Post als Anbieter selbst: «Ich glaube nicht, dass die Pöstler ganz ohne Zeitzwang auf uns ältere Menschen eingehen können. Und ohne das bringt das Ganze wohl nichts.»
*Namen der Redaktion bekannt.