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Ex-Botschafter Guldiman zum Anti-Erdogan-Plakat

epa05870523 A banner reads; 'Kill Erdogan with his own weapons', as protesters march during a demonstration against the Turkish President Recep Tayyip Erdogan, in Bern, Switzerland, 25 March ...
«Kill Erdogan – with his own weapons!» – das umstrittene Plakat an einer Demonstration in Bern beschäftigt nun auch die türkische Justiz.Bild: EPA/KEYSTONE
Interview

Ex-Botschafter Guldimann: «Auch die Türkei hat Interesse an guten Beziehungen mit uns» 

Das Anti-Erdogan-Transparent, das an einer Demonstration in Bern mitgeführt wurde, sorgt weiter für rote Köpfe. Am Montag wurde bekannt, dass nun auch die Istanbuler Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnimmt – unter anderem wegen Beleidigung eines Staatsoberhaupts. Handelt es sich um eine diplomatische Krise, wie vielerorts behauptet wird? Ex-Botschafter und SP-Nationalrat Tim Guldimann relativiert im Interview.
27.03.2017, 15:0528.03.2017, 01:47
William Stern
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Der Schweizer Botschafter Walter Haffner wurde wegen des Transparents ins türkische Aussenministerium zitiert. Handelt es sich um eine «diplomatische Krise»?
Nein. Dass das Aussenministerium einen Botschafter zitiert, ist ein völlig normaler Vorgang auf der Basis des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen. Diese Einbestellung wird politisch überschätzt. Man muss deswegen nicht in Panik verfallen oder gar das Ende der diplomatischen Beziehungen herbeischreiben. Wenn das Aussenministerium den Botschafter einbestellt, muss er Folge leisten, ganz unabhängig davon, ob es um Politik oder Fussball geht.

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Tim Guldimann war Botschafter in Berlin und Teheran. Seit 2015 sitzt der Zürcher für die SP im Nationalrat.Bild: KEYSTONE

Jetzt geht es aber nicht um Fussball, sondern um ein Transparent mit dem Konterfei Erdogans und dem Aufruf: «Kill Erdogan – with his own weapons».
Das Plakat stellt einen öffentlichen Aufruf zu Gewalttätigkeit dar und richtet sich erst noch gegen den Staatschef eines anderen Landes. Die Staatsanwaltschaft Bern Mittelland ermittelt deshalb korrekterweise wegen Verletzung des Artikels 259 StGb.

Trotzdem: Spionagevorwürfe, abgesagte Wahlkampfauftritte von AKP-Politikern, jetzt das Anti-Erdogan-Transparent: Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Türkei sind doch ernsthaft gefährdet. 
Auch hier gilt: Man darf die aktuellen Reibereien nicht überschätzen. Auch die Türkei hat Interesse an guten Beziehungen mit der Schweiz. Und: Diese Auseinandersetzung hat für die Türkei in erster Linie innenpolitische Bedeutung.

Welche denn?
Ein Vorfall wie in Bern dient in erster Linie Erdogans Position auf dem Weg zum Referendum. Es ist Wasser auf die Mühlen seines Abstimmungskampfs, wenn Erdogan fälschlicherweise behauptet, in der Schweiz werde im Parlament zum Mord gegen ihn aufgerufen. Auf der anderen Seite – und da betreten wir klassisches diplomatisches Terrain – werden die türkischen Behörden natürlich fragen, warum man ein Transparent wie dieses nicht verhindern konnte.

Und?
Dann müssen wir darauf hinweisen, dass es in der Schweiz kaum möglich ist, im Vorfeld einer Demonstration alle mitgeführten Transparente zu kontrollieren. Auf einer Kundgebung mit mehreren Tausend Teilnehmer ist das ja auch logistisch unmöglich.

Am Montag wurde bekannt, dass die Istanbuler Staatsanwaltschaft  nun wegen «Mitgliedschaft in einer Terrororganisation», «Beleidigung des Präsidenten» und «Propaganda für eine Terrororganisation» ermittelt. Wie beurteilen Sie das Vorgehen der türkischen Justiz? 
Türkische Behörden können nicht in der Schweiz ermitteln, sie könnten allenfalls einen entsprechenden Antrag an unsere Behörden richten. Die Beleidigung eines Präsidenten könnte StGB Art. 296 verletzen. Dieser Artikel wurde aber speziell für Äusserungen gegen hohe Vertreter eines anderen Staates an internationalen Konferenzen geschaffen.

Und was ist von den Terrorvorwürfen zu halten?
Ich kann mir nicht vorstellen, wie man solchen Demonstranten die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation oder entsprechende Propaganda als Delikt nachweisen kann.

Türkei
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Sie sind Mitglied der inoffiziellen Parlamentariergruppe Schweiz-Türkei. Was haben Sie bis jetzt erreicht?
Wir haben die Parlamentariergruppe mit einer klaren Ansage wiederbelebt: es handelt sich um eine Dialogruppe, nicht um eine Freundschaftsgruppe. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit den Türken reden müssen. Eine Dialogverweigerung oder gar ein Dialogverbot ist aus unserer Sicht keine Option.

«Wenn Erdogan mit seiner Verfassungsänderung durchkommt, wird das Prinzip der Gewaltentrennung in der Türkei gravierend verletzt»

Was wurde denn konkret besprochen?
Wir haben bei einem Treffen mit dem türkischen Botschafter die aus unserer Sicht bedenkliche politische Lage in der Türkei thematisiert. Wir haben auch unsere Bereitschaft signalisiert, Mitglieder des türkischen Parlaments zu treffen, wenn diese wie wir verschiedenen Parteien angehören. Positiv war, dass man beidseitig den Wunsch zum Ausdruck brachte, zur Beruhigung beitragen zu wollen.

Die Stadt Bern will laut Sicherheitsdirektor Nause Strafanzeige wegen Verletzung der Auflagen zur Kundgebungsbewilligung einreichen. Die SP war Mitorganisatorin. Steht Ihre Partei auch in der Verantwortung?
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Organisatoren der Demo für eine Verletzung der StGb einer einzelnen Gruppe innerhalb von Tausenden Demonstrationen verantworlich gemacht wird. Was hätte das Organsiationskomitee denn tun sollen? Einen Spähtrupp organisieren, der sofort einschreitet, falls der Verdacht besteht, dass jemand innerhalb des Demonstrationszugs ein falsches Banner hochhebt?

Glauben Sie, der Sicherheitsdirektor ist auf Bestreben der türkischen Behörden tätig geworden, wie Medien kolportierten?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Herr Nause auf türkischen Druck gehandelt hat.

Sie äusserten sich in der Vergangenheit kritisch über die Bestrebungen Präsidents Erdogan und sprachen von einer «präsidialen Diktatur», in die die Türkei bei einer Annahme der Abstimmung abgleiten werde.
Ja, daran hat sich nichts geändert. Wenn Erdogan mit seiner Verfassungsänderung durchkommt, wird das Prinzip der Gewaltentrennung in der Türkei gravierend verletzt: Erdogan wird einen Machzuwachs bekommen, die Kompetenzen des Parlaments werden eingeschränkt, und die politische Kontrolle über die Justiz wird zunehmen.

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5 Kommentare
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kusel
27.03.2017 15:19registriert Januar 2015
Natürlich relativiert Herr Guldimann die gespannten Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei. Schliesslich war seine SP für diese Demo mitverantwortlich. Und am meisten erstaunt dass sich eine Schweizer Partei in die inneren Angelegenheiten eines befreundeten Staates mischt. Das war mal wieder eine nicht besonders überlegte SP-Aktion.
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