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Nach Urteil gegen Facebook-Abkommen «Safe Harbor»: Jetzt wittern Schweizer Netzaktivisten ihre Chance 

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass 
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass 
Bild: DADO RUVIC/REUTERS

Nach Urteil gegen Facebook-Abkommen «Safe Harbor»: Jetzt wittern Schweizer Netzaktivisten ihre Chance 

Die Ungültigkeitserklärung des «Safe Harbor»-Abkommens sei ein Zeichen, beim Datenschutz nun endlich vorwärtszumachen, sagen Netzpolitiker und Konsumentenschützer.
07.10.2015, 06:31
Remo Hess / Aargauer Zeitung
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Die Ungültigkeitserklärung des «Safe Harbor»-Abkommens durch den Europäischen Gerichtshof (EuGh) hat auch Auswirkungen auf die Schweiz. Das hierzulande gültige Abkommen orientiert sich stark an jenem der Europäischen Union. Also komme auch das Schweizer Abkommen unter Druck, sagte Francis Meier, Informationsbeauftragter des Schweizerischen Datenschützers Hanspeter Thür auf Anfrage.

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Das heisst, dass auch für die Übermittlung von personenbezogenen Daten von der Schweiz in die USA wohl künftig neue Kriterien gefunden werden müssen. Das solle in enger Zusammenarbeit mit der EU geschehen, so Meier.

Safe Harbor
Die «Safe Harbor»-Regelung, die den Rechtsrahmen für Datentransfers zwischen der EU und den USA festlegt, ist ungültig. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Private Daten sind in den USA nicht ausreichend vor dem Zugriff der Behörden und Geheimdienste geschützt.

Dass nun in Sachen Datenschutz «endlich etwas geht», findet Grüne-Nationalrat und Netzpolitiker Balthasar Glättli sehr gut. «Ich warte schon seit vier Jahren darauf», sagt Glättli. Doch er sei realistisch und wisse, dass sensible Daten von Schweizer Nutzern – auch mit einer Angleichung von «Safe Harbor» – weiterhin in den USA gespeichert werden können. Und so seien sie dem willkürlichen Zugriff der Behörden unvermindert ausgeliefert. «Wir brauchen endlich Kriterien, die diesen Zugriff einschränken», so Glättli.

Netzpolitiker Glättli.
Netzpolitiker Glättli.
Bild: KEYSTONE
«Die Amerikaner denken, mit «Safe Harbor» hätten sie sich der lästigen Verantwortung rund um den Datenschutz entledigt. Die Europäer denken, mit «Safe Harbor» ist eine effektive Kontrolle gewährleistet.»
Simon Schlauri

Ein politisches Signal

Dass der Entscheid des Europäischen Gerichtshof lediglich ein erster Schritt in Richtung verstärkter Datenschutz ist, bestätigt auch Simon Schlauri, Rechtsanwalt mit Spezialgebiet Internet. «Die meisten Unternehmen werden erst mal abwarten», so Schlauri, Die Kündigung von «Safe-Harbor» sei in erster Linie ein politisches Signal. Schlauri: «Die Europäer sagen den Amerikanern: «Ihr habt euch an unsere Gesetze zu halten.» Ob das etwas bringe, sei dahingestellt.

Eine handfeste juristische Konsequenz sei, dass bei amerikanischen Internet-Unternehmen der Datenschutz nun offiziell nicht mehr gewährleistet sei. Dass heisst, dass sich Rechtsansprüche bei den nationalen Datenschützern einfacher anbringen lassen, da sich diese nicht mehr auf das «Safe-Harbor»-Abkommen berufen können.

Allgemein weist Schlauri auf einen Mentalitätsunterschied beim Datenschutz beziehungsweise auf ein Missverständnis in der Wahrnehmung von «Safe-Harbor» zwischen Europa und den USA hin. Schlauri: «Die Amerikaner denken, mit «Safe Harbor» hätten sie sich der lästigen Verantwortung rund um den Datenschutz entledigt. Die Europäer denken, mit «Safe Harbor» ist eine effektive Kontrolle gewährleistet.»

«Gerade im Hinblick auf das neue Nachrichtendienstgesetz bringt es dann auch nichts, wenn die Daten nun in der Schweiz statt im Ausland gelagert werden. Der Zugriff ist beinahe uneingeschränkt möglich.»
Martin Steiger

Trotzdem freut der Etappensieg die Schweizer Netzaktivisten. «Es ist gut, dass der Datenschutz wieder thematisiert wird», sagt Martin Steiger von der Digitalen Gesellschaft Schweiz, die sich für die Rechte von Internetnutzern einsetzt. Ähnlich sieht es die Stiftung für Konsumentenschutz: «Es zeigt, dass endlich versucht wird, dem grenzenlosen Herumreichen von persönlichen Daten Einhalt zu gewähren», so Geschäftsleiterin Sara Stalder.

Profitieren Schweizer Anbieter

Wenn dieses «Herumreichen» eingeschränkt würde und Daten vermehrt lokal gespeichert werden müssten, käme das Schweizer Anbietern von Server-Dienstleistungen gelegen. Für sie ergäbe das Speichern von Datenmengen wie Facebook schöne Geschäftsaussichten: «Der Entscheid des Europäischen Gerichtshof ist positiv. Er zeigt, dass wir im Vergleich zu ausländischen Server-Anbietern einen Wettbewerbsvorteil haben», sagt Susanne Felice von Green.ch. Damit meint sie, dass die Daten ihrer Kunden ausschliesslich in der Schweiz gespeichert würden. Sie seien somit «sicher» und eine Zweckentfremdung aus Sicht der Nutzer weniger wahrscheinlich.

Für Martin Steiger von der Digitalen Gesellschaft bringt aber auch dieser «Daten-Nationalismus» nichts. Denn auch wenn der Stellenwert des Datenschutzes mit dem Urteil des EuGh tendenziell eine Aufwertung erhalten habe, so ändere dies nichts an der «Massenüberwachung», wie sie bereits praktiziert werde. Steiger: «Was in Sachen Überwachung möglich ist, wird gemacht. Und zwar weltweit.»

Und weiter: «Gerade im Hinblick auf das neue Nachrichtendienstgesetz bringt es dann auch nichts, wenn die Daten nun in der Schweiz statt im Ausland gelagert werden. Der Zugriff ist beinahe uneingeschränkt möglich.» Deshalb, sagten Steiger und Glättli deckungsgleich, sei es umso dringender, dass der Bundesrat die Revision des Datenschutzgesetzes (DSG), welche schon seit einigen Jahren nicht recht vorwärtskomme, endlich entschieden in Angriff nehme.

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