August 2015, Botschafterkonferenz in Bern. Motto: «Die Schweiz in der Welt – Exzellenz im Dienst der Solidarität». Jacques Pitteloud, abtretender Botschafter in Kenia, und Bundesanwalt Michael Lauber stellen ein Beispiel erfolgreicher Zusammenarbeit von Bundesanwalt, Botschafter und Völkerrechtsdirektion vor: Die Kooperation im kenianischen Korruptionsfall Anglo-Leasing.
Ein Jahr später soll Pitteloud vor Gericht. Angezeigt von zwei mutmasslichen kenianischen Betrügern und Geldwäschern, gegen die die Bundesanwaltschaft im Anglo-Leasing-Fall ermittelt. Sie werfen Pitteloud unter anderem versuchte Erpressung vor. Er habe 55 Millionen Dollar von ihnen verlangt, damit das Verfahren eingestellt werde. Gemäss Entscheid des Bundesstrafgerichts in Bellinzona muss sich Pitteloud nun wegen versuchter Nötigung verantworten. Das Strafverfahren führen soll die Bundesanwaltschaft.
Pitteloud, ein Erpresser? Personen, die den Walliser kennen und in den Fall eingeweiht sind, zeichnen ein völlig anderes Bild. Das «eines hervorragenden Diplomaten, der im Auftrag der Schweiz den Mut hatte, das Richtige zu tun», wie es einer sagt. Und der, als Probleme auftraten, von der Justiz, für die er gearbeitet hatte, im Stich gelassen wurde.
Aber von Anfang an. Der 2002 aufgeflogene Anglo-Leasing-Korruptionsskandal um überteuerte Aufträge soll den kenianischen Staat mehrere hundert Millionen Franken gekostet haben. Die Deals liefen zu einem guten Teil über Briefkastenfirmen in der Schweiz, mindestens 170 Millionen landeten auf Schweizer Konten. Zu den mutmasslichen Betrügern gehören die beiden Mitglieder der Familie Kamani, die gegen Pitteloud klagen. Gegen sie ermittelt die Bundesanwaltschaft seit 2009 wegen Geldwäscherei.
Lange harzten die Ermittlungen. Kenia zeigte kein wirkliches Interesse an Aufklärung und Rechtshilfe. Laut kenianischen Medien war es 2014 Botschafter Pitteloud, der den Präsidenten Uhuru Kenyatta überzeugte, durchzugreifen. Die Schweiz würde ihn unterstützen. Eine Win-win-Situation: Kenyatta konnte seinen Ruf aufpolieren und sich als Korruptionsbekämpfer profilieren. Die Schweiz konnte zeigen, dass sie ihren Finanzplatz säubert und die Rechtsstaatlichkeit in Afrika fördert.
H.E. Uhuru Kenyatta with Jacques Pitteloud, the Swiss Ambassador to Kenya at his Harambee House office, Nairobi. pic.twitter.com/VakSL1uGK4
— State House Kenya (@StateHouseKenya) 14. Juli 2015
Kern des Plans war: Die Kamanis sollten von ihnen ergaunerte 55 Millionen Dollar zurückgeben. Im Gegenzug würde die Bundesanwaltschaft ihr Verfahren einstellen; die kenianische Justiz würde auf ein eigenes Verfahren verzichten. Formal wäre dieser Deal zwischen dem Bundesanwalt und den Anwälten der Kamanis gelaufen. Die 55 Millionen wären dem kenianischen Volk zugute gekommen: Die Schweiz wollte das Geld für gemeinnützige Projekte in Kenia einsetzen, beispielsweise für Schulen und Spitäler.
Der Plan war ein Produkt internationaler Zusammenarbeit. So waren auf kenianischer Seite laut Dossierkennern Präsident Kenyatta, die Anti-Korruptions-Behörde und der Generalstaatsanwalt beteiligt. Auf Schweizer Seite die Völkerrechtsdirektion im EDA, die Bundesanwaltschaft und die Botschaft in Nairobi. Aber auch das auf Rückführung gestohlener Gelder spezialisierte Basel Institute on Governance war involviert. Beteiligt war zudem England, etwa die Anti-Korruptions-Behörde Serious Fraud Office (SFO). Denn Gelder lagen auch in britischen Steueroasen.
Pitteloud übernahm den heiklen Part, den Geschäftsleuten Kamani diesen Deal vorzulegen. Eigentlich wäre das Sache der Bundesanwaltschaft gewesen. Doch der zuständige Staatsanwalt des Bundes, Jacques Rayroud, lag gerade mit eingegipstem Bein zu Hause. Zudem ist es üblich, dass Diplomaten im Ausland solche Botendienste übernehmen. Das kommt den Bund günstiger zu stehen und geht schneller.
Der Afrika-erprobte Ex-Geheimdienstler Pitteloud nahm Kontakt mit den mutmasslichen Betrügern auf. Er arrangierte ein Treffen in der Villa des einen. Er erklärte ihm den Deal. Aber Kamani zierte sich. Per SMS schob Pitteloud tags darauf nach: «Meine Partner haben eingewilligt, ihre Pferde bis Dienstag zurückzuhalten. So haben Sie genügend Zeit, die Situation richtig zu analysieren». Und am Tag, als die auf Wunsch von Kenyatta gesetzte Frist ablief: «Ich sehe meine Freunde heute Nachmittag, und sie drängen mich, Ihre Antwort so rasch wie möglich zu erhalten. Sie scheinen erpicht darauf zu sein, ihre Option zu starten, was ich persönlich sehr bedauern würde.» Mit «Option» war gemeint: juristische Schritte. Kenia wollte ein Strafverfahren eröffnen, falls die Kamanis nicht einlenkten.
Das geschah denn auch. Als die Kenianer nicht auf den Deal eingingen, eröffnete der kenianische Generalstaatsanwalt sofort ein Strafverfahren. Die Bundesanwaltschaft (BA) stellte umgehend ein Rechtshilfegesuch, dem Kenia wie vereinbart sogleich nachkam. Tage später konnte Pitteloud von Generalstaatsanwalt Muigai kistenweise Beweismaterial entgegennehmen.
Darauf hatte die Bundesanwaltschaft schon lange gewartet. Die Aktion war also trotz allem ein Erfolg, jetzt kam einfach Plan B zum Zug. Pitteloud erhielt Glückwünsche aus Bern.
Doch dann gingen die Kamanis und ihre Anwälte zum Gegenangriff über. Sie legten Pittelouds SMS als Erpressungsversuch aus. Mit Erfolg: Im Oktober 2014 teilte Staatsanwalt Rayroud, der mittlerweile Stellvertreter von Bundesanwalt Lauber ist, dem Anwalt der Kenianer schriftlich mit: Pitteloud habe weder einen Auftrag noch Instruktionen der BA gehabt, als er bei Kamani vorstellig wurde. Damit hatten die Kamanis einen Trumpf in der Hand, und Pitteloud sass in der Tinte. Aufgrund dieses Briefes befand das Bundesstrafgericht: Pittelouds Vorstoss sei rechtswidrig gewesen, da ohne Auftrag erfolgt.
Pitteloud hilft im Moment wenig, dass Dossierkenner sagen, sogar noch kurz vor seinem Besuch bei Kamani habe sich Pitteloud mit Staatsanwalt Rayroud ausgetauscht. Das Aussendepartement immerhin steht hinter seinem Mann. Informationschef Jean-Marc Crevoisier betont: «Botschafter Pitteloud hat in ständiger enger Zusammenarbeit mit Bern gehandelt.» Pittelouds Anwalt Claude Nicati verlangt jetzt, dass die Bundesanwaltschaft einen Sonderstaatsanwalt im Strafverfahren einsetzt. Denn die BA ist offensichtlich befangen. Wie sie nun vorgeht, wollte oder konnte die BA aber letzte Woche auf Anfrage nicht sagen.
Spitzendiplomaten sind wütend. «Künftig wird kein Botschafter mehr Botendienste für den Bundesanwalt machen», sagt einer. Pitteloud selbst, nun Ressourcenchef des EDA in Bern, schweigt. Einem Kollegen hat er gesagt: «Ich kann damit leben, als Draufgänger und 007 bezeichnet zu werden. Dass man aber meine Ehrlichkeit infrage stellt, ist schwer zu verdauen.»
Für Pitteloud wiederholt sich einmal mehr die Geschichte. Es ist nicht das erste Mal, dass er für den Bund eine schwierige Mission unternimmt und danach im Stich gelassen wird. 2009 etwa, als der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi zwei Schweizer als Geiseln festhielt, plante der Walliser im Auftrag von Armeechef und Bundesräten eine Rettungsaktion. Als die Sache aufflog, wusste der damalige Verteidigungsminister von nichts – und Pitteloud stand im Regen. Wie jetzt. Es gilt für alle Genannten die Unschuldsvermutung.