Glatter, kleiner und straffer soll es sein: Das Schönheitsideal der Barbie-Welt ist im Intimbereich angekommen, Schamlippenoperationen boomen. Gemäss der internationalen Gesellschaft für ästhetische und plastische Chirurgie (ISAPS) liessen sich 2016 weltweit mehr als 138’00 Frauen die Schamlippen operieren. Das sind 45 Prozent mehr Operationen als noch 2015. Die ISAPS spricht von dem am schnellsten wachsenden OP-Trend.
Die Schweiz ist in der Statistik der ISAPS nicht flächendeckend vertreten. Doch auch hiesige Schönheitschirurgen sprechen von einer Zunahme. Vor fünf Jahren führte Dr. Jürg Häcki, Facharzt für plastische Chirurgie an der Lucerne Clinic, 70 Schamlippenoperationen durch, letztes Jahr waren es rund 120. «Die Anfragen nehmen zu. Momentan führen wir ein bis zwei Eingriffe pro Woche durch», so Häcki.
Auch Dr. Christian Depner, leitender Arzt Plastische Chirurgie der Pallas Kliniken in Zürich, bestätigt die Zunahme und glaubt, dass der Boom auch bald in die Schweiz überschwappen könnte: «Wir spüren bereits jetzt einen leichten Anstieg.» Genaue Zahlen will er aber nicht nennen.
Wie er sich die Zunahme erklärt? «Das hat viel mit dem aktuell dominierenden Körperkult zu tun. Facebook, YouTube aber auch die Pornoindustrie haben diesen Kult gepusht. Kleider und Badehosen werden immer kürzer», erklärt Depner. Zudem sei auch die Hemmschwelle gesunken. «Die Offenheit war vor zehn bis 15 Jahren noch ganz anders. Aber heute leben viele nach dem Motto: You only live once.»
Günstig ist die Operation nicht. Jedoch seien die Kosten dank neuen Betäubungsmethoden gesunken – womöglich ein weiterer Grund für den Anstieg. Der Eingriff kann ambulant in örtlicher Betäubung oder im leichten Dämmerschlaf erfolgen. Ab 3500 Franken ist man laut Depner mit dabei.
Auch risikofrei ist das Ganze nicht. Schamlippenoperationen sind – wie alle operativen Eingriffe – mit gewissen Risiken verbunden. «Ein solcher Eingriff ist nicht komplett steril, wie beispielsweise eine Brust-OP. Es kann ein kleines Infektionsrisiko bestehen», erläutert Depner. Nach der Operation sollte man fünf bis zehn Tage wenig sitzen. Der plastische Chirurg rät seinen Kundinnen zudem für weitere vier bis sechs Wochen auf Geschlechtsverkehr und intensive sportliche Aktivitäten zu verzichten.
Ein seit 25 Jahren praktizierender Gynäkologe beschreibt den Trend als kranke Entwicklung: «In einer Welt, wo man nicht um sein Essen kämpfen muss, hat man Zeit, sich darüber Sorgen zu machen, ob die eigenen Schamlippen nun drei Zentimeter zu gross oder zu klein sind».
Wirklich nötig sei eine Verkleinerung nur in sehr seltenen Fällen, erklärt der Gynäkologe: «Eine Operation empfehle ich bei Fehlbildungen und übermässig grossen Schamlippen, die beim Radfahren aufscheuern oder beim Sex extrem stören.» Alles andere sei reine Geldmacherei. «Plastische Chirurgen sehen die Intimchirurgie als Geldquelle. Meiner Meinung nach sollten sie eher Geld dafür erhalten, wenn sie nicht operieren.»
Auch die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe steht dem OP-Trend sehr kritisch gegenüber. In einem Expertenbrief warnt sie vor unnötigen Operationen. «Gerade Frauenärztinnen und -ärzte sind aufgerufen, aufgrund ihrer umfassenden Kenntnissen um die Vielfalt des genitalen Erscheinungsbildes Frauen mit Wunsch nach Korrektureingriffen aufzuklären und vor unnötigen Operationen zu bewahren», heisst es in dem Schreiben.
Wichtig sei das vor allem dann, wenn die Schamlippen einer Patientin physiologisch ganz normal sind, sich die Patientin aber dennoch eine Korrektur wünscht. Dann könne nämlich auch eine seelische Störung hinter dem OP-Wunsch liegen. Solche Patientinnen seien dann erfahrungsgemäss auch mit dem postoperativen Resultat nicht zufrieden – und die mögliche seelische Beeinträchtigung könnte sich dadurch nur noch verstärken.
Solche seelische und psychischen Probleme müssen aber ernst genommen. Dazu ruft Dr. Ruth Draths, Gynäkologin der Frauenpraxis-Buchenhof auf. «Wenn man sich körperlich unwohl fühlt, kann das einen grossen Einfluss auf die Psyche haben», erklärt Draths und fügt hinzu: «Wir müssen aber vor allem auf die Aufklärung setzen.»
Viele junge Frauen würden sich bei ihr nach den Erscheinungsformen ihrer Brust und vermehrt auch ihrer Schamlippen erkunden. «Ich muss ihnen dann jeweils erklären, dass nicht alles symmetrisch ist am Körper und dass sie absolut normal aussehen – auch im Intimbereich. Und oft weise ich auch darauf hin, dass Frauen im Gegensatz zu Männern einfach auch einmal einen Spiegel zur Hand nehmen müssen, um sich selbst genauer anzuschauen», ergänzt Draths.
Ins gleiche Horn bläst auch die deutsche Sexualtherapeutin Bettina Kirchmann. In einem Interview mit dem Magazin «Neon» erzählt sie, dass sie jeweils zwei Versuche startet, um Frauen von einer OP «abzubringen». Zuerst rät sie ihnen, doch einmal ins Schwimmbad oder einen Wellnessbereich zu gehen, um zu sehen, wie andere Frauen aussehen. «Einigen Patientinnen hilft schon der ganz profane Realitätsabgleich», so Kirchmann.
Der andere Trick funktioniert laut der Sexualtherapeutin ähnlich: «Im Taschen Verlag gibt es diesen grossformatigen Bildband ‹The big Book of Pussy›. Der zeigt einfach nur Hunderte weibliche Geschlechtsteile. Ich gebe sie den Frauen mit nach Hause und die Reaktion ist daraufhin immer die Gleiche: ‹Ich bin ja gar nicht so falsch!›»