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Interview

«Im Agenten-Leben locken Geld, Sex und Alkohol»

Interview

«Im Agenten-Leben locken Geld, Sex und Alkohol»

Er gilt als Überwacher der Überwacher: Der Geheimdienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom über den Fall Daniel M., die Verlockungen im Spionage-Milieu und die grösste Schwäche unseres Nachrichtendiensts.
15.05.2017, 12:0615.05.2017, 21:23
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Spion Daniel M.
Löste einen Skandal aus: Daniel M.

Herr Schmidt-Eenboom, täglich kommen mehr pikante Details zur Spionage-Affäre um Daniel M. ans Licht. Wie sehr schadet die Posse dem Schweizer Nachrichtendienst?
Erich Schmidt-Eenboom:
Zunächst einmal muss man sagen, dass der Nachrichtendienst im Fall Daniel M. eigentlich gut rekrutiert hat. Der Mann hat eine polizeiliche Ausbildung, war im Sicherheitsbereich einer Bank tätig. Er hatte damit eine gute Vorbildung und eine ideale Legende, um seine Aufgabe als Agent zu erfüllen.

Allerdings begnügte sich M. nicht damit, Nachforschungen zu den Schweizer Steuer-CDs in Deutschland anzustellen. Ihm wird vorgeworfen, selber Bankkunden-Daten verkauft zu haben.
Die Gefahr, dass sich Agenten von Versuchungen verleiten lassen, ist immer da. Es wird mit Bargeld hantiert, es werden keine Quittungen ausgestellt, der Spitzel geniesst weitreichende Freiheiten. Ihn während der Operation zu kontrollieren, ist für den Nachrichtendienst fast unmöglich. Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung.

Erich Schmidt-Eenboom ist einer der bekanntesten deutschen Geheimdienstexperten, er publizierte zahlreiche Bücher zum Thema. Die «Zeit» bezeichnete ihn einst als «Überwacher der Überwacher».
Erich Schmidt-Eenboom ist einer der bekanntesten deutschen Geheimdienstexperten, er publizierte zahlreiche Bücher zum Thema. Die «Zeit» bezeichnete ihn einst als «Überwacher der Überwacher».bild:zvg

Aber vor der Mission wird der Agent doch gründlich durchleuchtet?
Ja, in der Sicherheitsüberprüfung wird die ganze Vergangenheit einer Person gescannt: von der Frage, wie viele Gläser Bier sie am Feierabend trinkt bis hin zu einer allfälligen Spielsucht. Es gilt, Punkte zu identifizieren, die jemanden erpressbar machen könnten. Früher gehörte da etwa auch Homosexualität dazu. Hat jemand den Prozess einmal erfolgreich durchlaufen, wird er mit Operationen betraut und bekommt dafür eine Art Freischein.

Gibt es gar keine Möglichkeit, dem Agenten danach noch auf die Finger zu schauen?
Doch: Die amerikanische CIA macht das, und zwar äusserst aggressiv: Sie setzt Abwerber auf die eigenen Leute an und vergewissert sich, ob sie nicht schwach werden. Ich kenne keinen anderen Nachrichtendienst, der auf diese Art und Weise Controlling betreibt. Ich erachte dies auch als heikel, denn dem Betriebsklima ist es nicht zuträglich, wenn sich die Agenten ständig beobachtet fühlen.

Was hat der Nachrichtendienst im Fall Daniel M. denn falsch gemacht? Warum ist die Affäre so peinlich für die Schweiz?
Zurzeit sind wir noch auf Vermutungen angewiesen, wie M. ins Visier der deutschen Abwehr geriet. Erst das Gerichtsverfahren wird Aufschluss darüber geben, ob er mit Spielmaterial hantierte, das einer Gegenprüfung nicht standhielt, oder ob es handwerkliche Fehler bei der Anwerbung einer Quelle in der nordrhein-westfälischenFinanzverwaltung gab. In beiden Fällen läge die Verantwortung nicht bei M. allein, weil es eines Genehmigungsprozesses durch seine Fallführer bedurft hätte.

Und wie beurteilen Sie es, dass die Schweiz ihren Spion selber ans Messer geliefert haben soll, indem sie Protokolle ungeschwärzt zur Akteneinsicht nach Deutschland schickte?
Das dürfte einerseits eine Retourkutsche für M.s umfassenden Aussagen sein, andererseits eine Reaktion darauf, dass M. offensichtlich aus dem Ruder gelaufen ist.

«Solche Vorfälle trüben das Vertrauen in einen Nachrichtendienst nachhaltig.»

Bereits wurden Befürchtungen laut, wonach ausländische Geheimdienste der Schweiz künftig wichtige Informationen vorenthalten könnten, weil diese in der Affäre eine solch schlechte Figur machte. Halten Sie diese Sorgen für berechtigt?
Ja, zumal es nicht der erste Faux-pas der Schweiz war. Besonders schwerwiegend war der Datendiebstahl von 2012, als ein NDB-Mitarbeiter grosse Mengen hochsensibler Daten auf eine externe Festplatte kopierte und entwendete. Solche Vorfälle trüben das Vertrauen in einen Nachrichtendienst nachhaltig. Es kann vorkommen, dass andere Geheimdienste in der Konsequenz die Kooperation praktisch auf Null runterschrauben. Die Amerikaner etwa reagierten mehrfach so, wenn aus einem anderen Geheimdienst ein Dokument geleakt wurde.

Wie problematisch ist das für die Schweiz? Drohen ihr etwa im Bereich des Dschihadismus entscheidende Hinweise durch die Lappen zu gehen?
Hielte ein Geheimdienst Informationen zu einem geplanten Terroranschlag unter Verschluss, machte er sich für Tote und Verletzte verantwortlich. So weit geht die Informations-Bremse nicht. Im Fokus stehen da eher andere Hinweise, die für die Regierung wichtig sind, etwa Informationen zur Wirtschafts- oder zur Aussenpolitik anderer Staaten.

«Der stark ausgeprägte Korpsgeist ist die Achillesferse des NDB.»

Warum blamiert sich der NDB immer wieder, sei es mit einem Datendiebstahl oder mit der Handynummer des Geheimdienstchefs auf Google?
Die Fälle wiegen natürlich unterschiedlich schwer: Eine Handynummer kann man wechseln. Aber wenn jemand den ganzen Datenbestand des Nachrichtendiensts unbemerkt auf eine externe Festplatte ziehen kann, ist das schon eine schwere Sicherheitslücke. Bei gut abgesicherten Geheimdiensten gilt das Vier-Augen-Prinzip, zudem gibt es technische Sicherheitsvorkehrungen wie die Registrierung aller Zugriffe. In der Schweiz war das offensichtlich nicht der Fall. Der stark ausgeprägte Korpsgeist ist die Achillesferse des NDB.

Der Korpsgeist?
Ja, der Milizgedanke der Armee drückt bis ganz zuoberst durch. Man hat viel Vertrauen in sein Korps, in seine Leute. Diese Mentalität war jahrzehntelang ein Garant dafür, dass der Schweizer Nachrichtendienst wenig innere Konflikte hatte. Dies im Gegensatz zu ausländischen Geheimdiensten, in denen etwa zivile und militärische Seilschaften konkurrierten. Wie man nun sieht, kann das Pendel aber auch zurückschlagen.

Wie beurteilen Sie es, dass der Bund Daniel M. keinen Rechtsschutz bietet und sich nicht an den Kosten für den Prozess beteiligt?
Das halte ich für einen Fehler. Insbesondere für die Neurekrutierung von Mitarbeitern ist es ein schlechtes Zeichen, wenn man sagt: «Wir werben dich an – doch wirst du erwischt, lassen wir dich fallen wie eine heisse Kartoffel.»

«Klar tappt auch heute ab und zu noch ein Spitzel in die Sexfalle.»

Sie sprachen das Geld an, das Agenten schwach machen kann. Welche anderen Verlockungen lauern im Agenten-Leben?
Geld steht an erster Stelle, danach folgen Sex und Alkohol. Wobei sich die Zeiten geändert haben: Das sogenannte Honey Trapping, also das Verführen von Agenten, um an Informationen zu kommen, war früher sehr beliebt. Klar tappt auch heute ab und zu noch ein Spitzel in die Sexfalle. Aber in unserer liberalen Gesellschaft hat Sex nicht mehr dasselbe Erpressungspotenzial.

Und warum der Alkohol?
Probleme mit dem Trinken sind im nachrichtendienstlichen Bereich überdurchschnittlich ausgeprägt. Die falschen Identitäten, das ständige unter-Druck-Stehen, das macht vielen zu schaffen. Da greifen manche häufiger zum Glas, als vernünftig wäre. Wenn das dann in eine Verschuldung oder Lebenskrise führt, und die andere Seite das erkennt, dann ist das Erpressungspotenzial hoch.

Wissen Sie, ob im Fall Daniel M. solche Faktoren eine Rolle gespielt haben?
Darüber wird der Prozess Aufschluss geben. Ich erwarte ein sehr spannendes Verfahren – weil M. geständig ist und keine Motivation hat, seinen Auftraggeber zu schützen. Diese Situation ist aussergewöhnlich. Die Anwälte werden alles auspacken, womit sie das Strafmass drücken können: sei es ein Alkoholproblem oder andere pikante Details.

Da sitzt also ein enttäuschter Spion in Deutschland in Haft, der via Anwalt bereits mit Kronzeugenaussagen gedroht hat. Wie gefährlich kann das für die Schweiz werden?
Es kommt darauf an, wie tief sein Einblick in andere Operationen war. Wenn er die Ohren aufgestellt hat, dann könnte das schon ungemütlich werden. Entscheidend ist aber auch, ob die Schweiz und Deutschland nun wirklich eine engere Zusammenarbeit anstreben.

Sie sprechen das No-Spy-Abkommen an, das die beiden Länder dem Vernehmen nach im Januar abgeschlossen haben. Gehören damit solche Agenten-Possen bald der Vergangenheit an?
Ja, zumindest was die Human Intelligence angeht, dürfte damit Schluss sein. Die Idee eines solchen Pakts ist, dass man darauf verzichtet, auf fremdem Territorium zu agieren. Zudem informieren sich die Geheimdienste gegenseitig über Operationen im Nachbarland. Das heisst aber natürlich nicht, dass die Geheimdienste nicht weiterhin Informationen über ihre Nachbarn sammeln.

«Die Schweiz unterhält etwa auf dem Hohen Kasten und auf dem Hohen Randen  Abhörstationen.»

Auf welchem Weg?
Es werden verschiedene Quellen ausgewertet, offenes und graues Material. Eine wichtige Rolle spielt auch die technische Aufklärung – ich glaube nicht, dass sie vom Anti-Spionage-Pakt tangiert wird. Es gehört zur Realität, dass sich auch befreundete Staaten immer noch intensiv unter Abhörung stellen. Die Schweiz unterhält etwa auf dem Hohen Kasten bei Rüthi und auf dem Hohen Randen bei Schaffhausen zwei auch nach Norden ausgerichtete Abhörstationen.

Ziel der Übung?
Schwerpunkt stellt dabei die Wirtschaftsspionage dar: Man sammelt Informationen über ausländische Unternehmen unter dem Vorwand: «Mal gucken, ob die etwas Illegales machen.» Natürlich werden die Daten anschliessend auch nicht gelöscht, wenn keine Hinweise auf verbotene Handlungen darunter sind. So läuft das eben.

Die Gadgets der Top-Agenten von damals

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Die Gadgets der Top-Agenten von damals
«Top Secret – Die geheime Welt der Spionage»: So hiess die Ausstellung, die bis Mai 2015 im deutschen Oberhausen zu sehen war. Hier wurden Gadgets präsentiert, die die Top-Agenten der Vergangenheit genutzt haben.
quelle: institut für spionage gmbh / institut fã¼r spionage gmbh
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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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äti
15.05.2017 15:31registriert Februar 2016
《... locken Geld, Sex und Alkohol》 ... ich finde das Anmeldeformular nirgends !
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