Schweiz
Interview

Staatsanwalt Hansjakob verteidigt Ordnungsbussen-Modell für Kiffer

ARCHIV -- Thomas Hansjakob, Erster Staatsanwalt informiert an der Medienkonferenz zum "Fall Wil" am Mittwoch 22. August 2012 in St. Gallen. Die Strafanzeige des angeklagten Financiers Dieter ...
Der erste Staatsanwalt des Kantons St.Gallen, Thomas Hansjakob, enttäuscht die Kiffer: Sie werden auch weiterhin gebüsst. Bild: KEYSTONE
Interview

«Nicht jeder hat so viel Glück wie diese Jus-Studenten», Staatsanwalt rät Kiffern von Klage ab

Thomas Hansjakob, erster Staatsanwalt des Kantons St.Gallen, enttäuscht Kiffer-Träume. Den Fall zweier Jus-Studenten, die sich vor Gericht aus einer Ordnungsbusse boxten, obwohl sie mit 8 Gramm Gras von der Polizei erwischt wurden, beurteilt er als Einzelfall. Kiffer würden weiterhin gebüsst – schwammige Gesetzeslage hin oder her. 
07.09.2016, 10:2408.09.2016, 13:52
Rafaela Roth
Folge mir
Mehr «Schweiz»

Herr Hansjakob, in Zürich müssen Kiffer jetzt keine Bussen mehr zahlen, wenn sie nicht in flagranti erwischt werden, richtig? 
Thomas Hansjakob: Nein, nicht richtig. Auch wenn er nicht weiter gezogen wird, würde ich den Entscheid des Bezirksgericht Zürich nicht zum Grundsatzentscheid hochstilisieren. Es handelt sich um einen Einzelfall. 

«Wenn, dann würde ich Kiffern raten, dort zu kiffen, wo es niemanden stört oder wo sie nicht dabei erwischt werden.»

Sie würden Kiffern also nicht raten, es den Jus-Studenten gleich zu tun, und Ordnungsbussen anzufechten, wenn sie weniger Gras als 10 Gramm dabei hatten und nicht beim Kiffen gesehen wurden? 
Nicht jeder hat so viel Glück wie diese Jus-Studenten. Ich würde den Kiffern davon abraten. Denn nicht jedes Gericht würde gleich entscheiden. Wenn, dann würde ich Kiffern raten, dort zu kiffen, wo es niemanden stört oder wo sie nicht dabei erwischt werden. Das Risiko, dass man am Ende mehr bezahlt, als die Ordnungsbusse gewesen wäre, ist sehr gross, wenn man gegen sie Beschwerde einreicht. 

Der umstrittene Paragraf
Anlass zur Diskussion gibt Artikel 19b, Absatz 1 des Betäubungsmittelgesetzes: «Wer nur eine geringfügige Menge eines Betäubungsmittels für den eigenen Konsum vorbereitet oder zur Ermöglichung des gleichzeitigen und gemeinsamen Konsums einer Person von mehr als 18 Jahren unentgeltlich abgibt, ist nicht strafbar», steht darin. Als «geringfügige Menge» gelten unter 10 Gramm. Bestritten ist, ob mit «vorbereiten» «konsumieren» oder «besitzen» gemeint ist. Ein Jus-Student boxte am Bezirksgericht Zürich erfolgreich seinen Freund raus, der mit 8 Gramm Cannabis von der Polizei erwischt wurde. Er argumentierte, sein Kollege hätte das Cannabis nicht «konsumiert» sondern nur besessen. (rar)

Warum? 
Schon eine andere Abteilung des Bezirksgerichts Zürich könnte anders entscheiden als dieser Richter. Wenn man den Prozess dann verliert, werden einem die Busse und die Kosten des Strafverfahrens aufgebrummt. 

watson kennt andere Fälle, in denen Kiffer davon kamen. Das Gesetz ist schwammig formuliert.
Ja das mag sein. Es handelt sich aber um einen Streit auf sehr hoher Ebene, der in der Praxis keine Probleme bereitet: Wer mit weniger als 10 Gramm Cannabis von der Polizei angehalten wird, gibt meistens zu, dass er konsumiert, und akzeptiert die Ordnungsbusse. Die Gesetzeslage ist klar, Besitz bis 10 Gramm ist straflos, Konsum ist strafbar. 

Der Student argumentierte vor Gericht erfolgreich, dass «zum Eigenkonsum vorbereiten» eher dasselbe wie «besitzen» sei und nicht das gleiche wie «konsumieren». 
Wozu sollte die Person es aber besitzen, wenn nicht zum Konsumieren? Zum Verkaufen? Das müsste die Person dann erklären. Es müsste eine Person sein, die noch nie im Leben gekifft hat und jetzt das erste Mal Cannabis zum Eigengebrauch gekauft hat. 

Voilà, da haben wir einen Fall! 
Ja, wenn diese Person dann nicht bestraft würde, wären wir ja alle einverstanden, oder?

Stimmt. Aber spricht aus Ihnen jetzt nicht der beleidigte Staatsanwalt, der von Studenten ausgetrickst wurde? Sie haben die Ordnungsbusse ja praktisch erfunden. 
Was ich schon alles erfunden haben soll! Es stimmt, dass wir die Ordnungsbusse für solche Fälle in St.Gallen schon seit 2003 kennen und ich in den parlamentarischen Kommissionen zum Ausbau des Modells auf Bundesebene geraten habe. Die Ordnungsbusse ist ein gutes Modell, sie kommt auch dem Kiffer zugute. 

Inwiefern? 
Es wird kein Strafverfahren eröffnet, der Gebüsste wird nirgends registriert. Der Vorfall wird als Bagatelldelikt behandelt, ähnlich wie eine Parkbusse und wenn jemand nicht damit einverstanden ist, wird die Sache trotzdem in ein ordentliches Strafverfahren überführt.

Aber vor allem ist der Polizei und Justiz geholfen. 
Ja, das Verfahren ist schlank, die Polizisten müssen keine Einvernahmen durchführen, keine Rapporte und Protokolle erstellen und die Justiz muss sich nicht mit unbestrittenen Strafverfahren herumschlagen. Das kommt schlussendlich auch dem Steuerzahler zu gute. Der Gebüsste profitiert, weil er keine Verfahrenskosten tragen muss und nicht registriert wird.

«Die Gewinne aus dem Cannabis überlassen wir heute kriminellen Kräften, die sich im Markt etabliert haben.»

In Ihnen schlagen zwei Herzen. Sie verteidigen das Gesetz als Staatsanwalt, sie sind aber Sie für die Legalisierung des Cannabis-Konsums. 
Ja, das weiss man von mir. Ich halte es nicht für nötig, dass man erwachsene Kiffer bestraft, aber wenn man es schon tut, dann wenigstens in einem schlanken Verfahren. 

Warum halten Sie es nicht für nötig? 
Weil ich Cannabis als ähnlich gefährlich wie Alkohol einstufe. Den Alkohol-Markt kontrollieren wir aber. Die Gewinne aus dem Cannabis überlassen wir heute kriminellen Kräften, die sich im Markt etabliert haben. Wenn der Staat den Markt, die Qualität und die Preise kontrollieren würde, könnte er auch Steuern erheben und daraus direkt wieder in die Prävention investieren. Die kontrollierten Händler könnten bloss gute Qualität, nur an Erwachsene und ohne Werbung verkaufen.

Vielleicht würden dann mehr Leute abhängig werden? 
Bei guter Präventionsarbeit nicht. Und mit dem heutigen System entgehen uns ja jene Jugendlichen, die wirklich ein Abhängigkeitsproblem haben. Sie leben in der Illegalität und erhalten keine Hilfe, wenn sie sie nicht aktiv suchen. 

Informier dich weiter: Die Chronologie der Schweizer Drogenpolitik

1 / 35
Chronologie der Schweizer Drogenpolitik (2023)
In dieser Bildstrecke zeigen wir die Meilensteine der Schweizer Drogenpolitik, vom Opium-Verbot 1924 bis heute ...
quelle: keystone / martin ruetschi
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Du hast watson gern?
Sag das doch deinen Freunden!
Mit Whatsapp empfehlen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
71 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
elich
07.09.2016 11:57registriert Mai 2016
Eine Legalisierung würde jedenfalls Sinn ergeben, AHV-Renten, Aufklährung und weitere Bugeds könnten aufgefüllt werden. Mit den Richtigen Gesetzesgrundlagen könnten aus dem Export wie Import Gewinn gemacht werden. Die Tourismuspobleme der Skiorte im Sommer könnten in den Griff bekommen werden.

Aber ja, die Gegner sind zu viele und leider meist ungebildet. Wer sich eine Stunde mit dem Thema Canabis auseinander setzt, erkennt die Vorzüge.
1108
Melden
Zum Kommentar
avatar
dmark
07.09.2016 10:40registriert Juli 2016
Gebt den Hanf endlich komplett frei (ab 18) und gut ist. Der Staat hätte zudem eine gute Einnahmequelle, die Polizei und Gerichte würden entlastet werden und alle könnten zufrieden sein.
873
Melden
Zum Kommentar
avatar
http://bit.ly/2mQDTjX
07.09.2016 11:28registriert April 2016
Erstaunlich, wie der Staatsanwalt (Repräsentant des Rechts) die Willkür der schweizer Gerichte nicht nur zugibt, sondern auch billigend hinnimmt. Bei gleicher Rechtslage und Sachverhalt urteilen die Gerichte offenbar unterschiedlich, nach eigenem Gusto, je nach "Glück". Dieses Recht unterscheidet sich offenbar nicht von einer Lotterie.

Ein Recht, das unverständlich (oder wie hier gar willkürlich) wird, und das nicht gleichermassen allen Menschen (sondern nur gutbetuchten) zugänglich ist, verliert letztlich die Anerkennung. Genauso wie auch dessen Repräsentanten, die solche Willkür pflegen.
8712
Melden
Zum Kommentar
71
Nur 9 Monate im Amt: UBS-Boss Ermotti streicht Monster-Bonus für 2023 ein
UBS-Chef Sergio Ermotti hat mit seiner Rückkehr zur Grossbank ordentlich mehr Lohn kassiert. Für neun Monate 2023 verdiente er 14,4 Millionen Franken.

Für UBS-Chef Sergio Ermotti hat sich die Rückkehr zur Grossbank auch mit Blick auf den Gehaltscheck gelohnt. Überhaupt verdienten die Top-Kader und Verwaltungsräte der UBS deutlich mehr.

Zur Story