Schweiz
Interview

Was kommt bei den Super-Reichen auf den Tisch? Ein Privatkoch plaudert aus dem Nähkästchen

Interview

Was kommt bei den Super-Reichen auf den Tisch? Ein Privatkoch plaudert aus dem Nähkästchen

Markus May aus Huttwil kocht seit Jahren privat für die Reichen und die Superreichen. Er weiss, wie es in der High Society zu und hergeht.
24.01.2016, 15:4525.01.2016, 19:58
Klaus Zaugg und Bruno Wüthrich<br data-editable="remove">
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Markus May erzählt von den Vorzügen und den Schwierigkeiten, die das Personal von sehr reichen Leuten geniesst – und zu bewältigen hat. Am aufregendsten waren die Jahre als Privatkoch von Gunter Sachs.

watson: Wie kommt jemand aus der «oberaargauischen Provinz» dazu, für Gunter Sachs privat zu kochen?
Markus May: Das ist eine lange Geschichte.

Markus May ist reich an Erfahrung am Herd.
Markus May ist reich an Erfahrung am Herd.
bild: marcel bieri

Erzählen Sie!
Da war auch viel Glück dabei. Während ich noch in der Koch-Lehre war, erzählte mir ein Kollege, er sei Privatkoch bei einem Filmproduzenten in Hollywood. Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf, und nach der Lehre suchte ich die Gastronomie-Zeitschriften nach entsprechenden Stelleninseraten ab.

Das hat funktioniert?
Mehrere Jahre suchte ich erfolglos nach so einer Stelle, und so arbeitete ich weiterhin in Hotels und Restaurants. Doch dann war in der Hotel-Revue von einem Vermittlungsbüro eine Stelle als Privatkoch ausgeschrieben und ich bewarb mich. Allerdings wartete ich vergeblich auf einen Bescheid, und als ich nach einem Monat nachfragte, erfuhr ich, dass man wohl vergessen hatte, mir abzusagen.

Sie gaben also auf?
Nein. Aber ich hatte meinen Traum schon fast aufgegeben. Zwei Jahre später rief man mich vom gleichen Stellenvermittlungsbüro wieder an und fragte, ob ich noch Interesse habe. Man habe eine entsprechende Stelle. Ich fuhr also nach Basel, und nach einem zweistündigen Vorstellungs-Gespräch erfuhr ich dann, dass es sich um die Industriellenfamilie Gunter Sachs handelt, die einen Privatkoch suchte.

Wie lief das Vorstellungsgespräch?
Da ich gerade in St.Moritz weilte, wo ich im Chesa Guardaley [heute Giardino Mountain, die Red.] kochte, fand das Vorstellungsgespräch in der Lobby des Kulm-Hotels statt. Empfangen wurde ich von Frau Mirja Sachs. Wir plauderten ein wenig über Gott und die Welt. Als Gunter Sachs kam, schaute er mich nur kurz an und fragte mich nach meinem Sternzeichen. Ich nannte ihm mein Sternzeichen Krebs, und er antwortete, das sei ein gutes Sternzeichen und verabschiedete sich. Ich war angestellt. Das Gespräch mit ihm dauerte nicht einmal zwei Minuten.

Hotel Kulm, St.Moritz.
Hotel Kulm, St.Moritz.
bild: pr

Sie haben offenbar einen sehr guten Eindruck hinterlassen.
Das hoffe ich. Wie ich später erfahren habe, befasste sich Gunter Sachs intensiv mit der Astrologie.

Wie ging es dann weiter?
Nachdem ich meine Stelle in St.Moritz abgeschlossen hatte, flog ich nach München, wo ich von Mario, dem Chauffeur der Familie, mit dem Mercedes abgeholt und ins Chalet im österreichischen Walchsee gebracht wurde. Ende Juli zogen wir für sechs Wochen nach St.Tropez, wo Gunter Sachs eine Sommerresidenz direkt am Meer mit Privatstrand und Helikopterlandeplatz besass. Hier konnte er bis zu 60 Gäste beherbergen. Nach St.Tropez hatte ich jeweils zwei bis drei Wochen Ferien. In dieser Zeit stand mir eine der Villen mit Jacuzzi, Pool und Tennisplatz zur Verfügung.

Haben Sie das Savoir-vivre ausgekostet?
Meistens blieb ich noch eine Woche und kehrte dann für ein paar Tage nach Huttwil zurück. Mitte September bezog die Familie wieder ihr Domizil in Walchsee, weil Sohn Alexander zur Schule musste. Mitte Oktober ging es für drei Wochen weiter nach Alp Rechenau ins Jagdhaus. Ein Anwesen, dessen Grenzen noch nach drei Stunden Fussmarsch nicht erreicht waren. Im Winter verbrachten wir viel Zeit in Gstaad. Die Familie logierte oberhalb des Palace Hotels in drei Chalets, die alle unterirdisch miteinander verbunden waren. Hier feierten wir Weihnachten und Neujahr mit Gästen wie Thomas Gottschalk oder Günter Netzer.

Günter Netzer 1977 in Diensten des GC Zürich.
Günter Netzer 1977 in Diensten des GC Zürich.
Bild: KEYSTONE

Wie sah Ihr Alltag aus?
In St.Tropez hatte ich zusammen mit den 14 Hausangestellten dafür zu sorgen, dass um 14.30 Uhr ein kaltes und ein warmes Buffet für 35 Gäste bereitstand. Also machte ich ab 7 Uhr meine Runde auf dem Fisch- und Gemüsemarkt und gegen 10 Uhr begannen wir mit kochen. Das Abendessen war dann viel bescheidener. Die Gäste assen meistens auswärts und Gunter Sachs brauchte bloss noch eine kleine Omelette oder einen strammen Max: Eine getoastete und gebutterte Schwarzbrotscheibe mit zwei Spiegeleiern.

Gunter Sachs und Brigitte Bardot 1966 in St. Tropez.
Gunter Sachs und Brigitte Bardot 1966 in St. Tropez.
Bild: AP

Und das Zmorge?
Ach, die Herrschaften feierten eine Party nach der anderen und kamen meistens erst gegen Morgen nach Hause und legten sich schlafen. Niemand brauchte ein Zmorge.

Essen die Milliardäre anders als wir?
Eigentlich nicht. Sie achten aber sehr auf gute Qualität. Wir kauften nur in den besten Geschäften ein, ich hatte freie Wahl, quittierte die Einkäufe mit meiner Unterschrift und die Rechnungen wurden direkt bezahlt.

Wie viel Geld verbrauchten Sie so?
Wie hoch die Rechnungen aus diesen Geschäften waren, wusste ich nicht. Zusätzlich gab ich zwischen 4000 und 5000 Franken auf dem Fisch- und Gemüsemarkt und für «Kleinigkeiten» aus.

Wurde alles kontrolliert?
Oh ja. Für alle Ausgaben brauchte ich einen Beleg. Alle Abrechnungen liefen über ein Büro in Lausanne. Dort wurden meine Abrechnungen genau geprüft und wenn es auch nur eine Differenz von zehn Rappen gab, musste ich Rechenschaft ablegen.

Gunter Sachs war offensichtlich ein Perfektionist.
Ja, das war er. Und es war nicht leicht, in seinen Augen zu bestehen. Das Personal hat oft gewechselt.

Gunter Sachs 1972.
Gunter Sachs 1972.
Bild: KEYSTONE

Was haben Sie in der Regel gekocht?
Wie ich schon sagte: Gar nicht viel anders als in einem gewöhnlichen Haushalt. Eigentlich Hausmannskost. Aber eben gute Hausmannskost. Ich kann Ihnen das am Beispiel des Milchkaffes erklären, den Gunter Sachs am Abend liebte.

Ganz gewöhnlicher Milchkaffee?
Das erste Mal machte ich den Milchkaffee so, wie ich das gewohnt war, und verdünnte die Milch mit etwas Wasser. Doch kaum war der Kaffee serviert, tauchte Gunter Sachs erbost in der Küche auf und schüttete den Kaffee weg. Danach erklärte er mir, dem Koch, wie man richtigen Milchkaffee zubereitet. Nämlich mit unverdünnter Milch!

Sie hatten zuvor in Spitzen-Hotels gearbeitet. Worin liegt der Unterschied zur Arbeit als Privatkoch?
Nicht nur im Kochen. Vor allem die Arbeitsbedingungen sind anders und es ist schon etwas ungewöhnlich, wenn der Feinkostlieferant mit 20 frischen Hummern vor der Türe steht. Es gibt wenig Struktur und kaum fixe Arbeits- und Freizeit wie bei einer Anstellung im Hotel. Ich bin jetzt bei der vierten Familie als Privatkoch angestellt, und es ist jedes Mal anders. Die Wünsche der jeweiligen Chefs zählen, und wenn gewünscht wird, dass das Essen um 14.30 Uhr bereitzustehen hat, koche ich halt auf diese Zeit. Aber dafür kann ich selbständig arbeiten. Ein Familienleben ist allerdings bei dieser Arbeit fast unmöglich.

Wie war der Umgang, den die Familie Sachs mit Ihnen pflegte?
Alle waren sehr anständig, liebenswürdig und grosszügig. Ich hatte mehr mit seiner Frau Mirja und dem schulpflichtigen Alexander zu tun. Gunter Sachs war häufig auf Reisen und oft wochenlang nicht da. Doch dann hiess es plötzlich, dass er morgen kommt. Dann musste man bereit sein.

Liess man Sie spüren, dass Sie der Koch sind und die anderen die Milliardäre?
Nein.

Waren Sie per Du?
Nein, ich war mit allen per Sie. Mirja und Gunter Sachs haben mich mit «Sie, Markus» angesprochen.

Gab es auch mal Streit?
Ja. Wie bei einer ganz normalen Familie halt auch ...

... und dann flog das teure Geschirr durch die Wohnung?
Nein. Gunter Sachs ging dann halt wieder.

Waren es Eifersuchtsszenen? Er war ja einer der berühmtesten Playboys und Model-Fotografen seiner Zeit.
Nein, eigentlich nicht. Seine Frau hat das als sein Hobby akzeptiert und überall hingen Fotos der Models.

Auch von seiner zweiten Frau Brigitte Bardot?
Nein. Fotos ihrer Vorgängerin hätten bei Mirja wahrscheinlich Eifersucht geweckt. Brigitte Bardot wurde auch nicht zur grossen Party zum 25. Hochzeitstag eingeladen.

Mexiko, 1966: Gunter Sachs verbringt mit&nbsp;Brigitte Bardot Flitterwochen in Acapulco, ist aber nicht als einziger angetan von der Französin.
Mexiko, 1966: Gunter Sachs verbringt mit Brigitte Bardot Flitterwochen in Acapulco, ist aber nicht als einziger angetan von der Französin.
Bild: AP

Wo hatten Sie eigentlich vor dem Engagement bei Gunter Sachs gekocht?
Die Lehre machte ich im Araber in Ursenbach, dann arbeitete ich in der Kaltenherberge in Roggwil …

… beide gibt es heute nicht mehr.
Ja, leider. Zwischendurch war ich Küchengehilfe in der Armee, dann kochte ich im Kulm Hotel in Arosa, im Hotel Swiss in Champery, im Beau Rivage Palace in Lausanne-Ouchy, bekam einen Aushilfe-Job im Orient-Express, danach ging ich für ein Jahr nach London in das Lokal «Restaurant und Club St.Moritz», wo auch Anton Mosimann zu unseren Gästen gehörte.

Sie haben für den Starkoch gekocht?
Nun ja. Anton Mosimann kehrte halt manchmal bei uns ein und war zufrieden mit dem Essen.

Und weiter?
Die nächste Station war die Rossweid in Glockhausen, ich machte die Wirteprüfung und anschliessend kochte ich ein Jahr lang im «Restaurant Old Swiss House» am Pier 39 in San Franciso. Dort gab es Schweizer Kost: panierte Schnitzel, Cordon Bleu und Zürcher Geschnetzeltes. Schliesslich kam ich ins Chesa Guardaley in St.Moritz. Von dort wechselte ich im Winter 1993/94 zu Gunter Sachs.

Reich, aber bodenständig:&nbsp;Gunter Sachs isst 1985 während des Sotheby's Cup auf dem gefrorenen St.Moritzersee eine Wurst, während seine Frau Mirja ein Bier geniesst.
Reich, aber bodenständig: Gunter Sachs isst 1985 während des Sotheby's Cup auf dem gefrorenen St.Moritzersee eine Wurst, während seine Frau Mirja ein Bier geniesst.
Bild: KEYSTONE

Sind Sie auf eine ganz bestimmte Richtung spezialisiert?
Nein, ich bin eigentlich bei meinen Wurzeln geblieben.

So wie Sie es im Araber in Ursenbach gelernt haben?
Ja, so kann man es sagen. Seither habe ich überall, wo ich war, etwas dazugelernt.

Zum Beispiel, wie man Milchkaffee zubereitet?
Ja. (lacht)

Was war eigentlich das Lieblingsgericht von Gunter Sachs?
Königsberger Klopse mit Kapernsause und Kartoffelstock und wie schon gesagt der stramme Max. Er achtete auf Trennkost und mochte auch Frischkäse mit Schnittlauch. Weil ich einmal keinen frischen Schnittlauch zur Hand hatte, habe ich dann im Garten selber Schnittlauch gezogen.

Und von Mirja Sachs?
Bevor ich meine Arbeit bei den Sachs aufgenommen habe, bin ich für drei Wochen zu einer Ernährungsberaterin in Zürich geschickt worden. Hin und wieder hat sie Diätkuren gemacht. Alles in allem hat sie nicht viel gegessen. Ich denke, sie wollte mit den Figuren der Models mithalten, die ihr Mann fotografiert hat.

Sachs mit Ehefrau Mirja 1984.
Sachs mit Ehefrau Mirja 1984.
Bild: AP

Hatten Sie eigentlich neben dem Kochen auch andere Dienste zu verrichten?
Ich brachte ab und zu Alexander zur Schule oder half bei der Organisation von Festen wie etwa zu seinem 25. Hochzeitstag und den vielen Partys. Einmal war ich sogar als Chauffeur im Einsatz und fuhr Gunter Sachs mit dem 600er-Mercedes nach München. Dabei waren wir mit gut 160 Sachen unterwegs. Doch dies reichte ihm nicht und er befahl mir, auf dem Pannenstreifen anzuhalten. Er übernahm das Steuer und wir brausten dann mit über 220 Richtung Flughafen. Das ging mit dieser Karosse natürlich problemlos.

Sachs mit Bardot, seiner zweiten Ehefrau. Später heiratete er Mirja Sachs.
Sachs mit Bardot, seiner zweiten Ehefrau. Später heiratete er Mirja Sachs.
Bild: AP dapd

Wie war eigentlich die Bezahlung? Fürstlich?
Nein, aber gut. Etwas besser als im First-Class-Hotel. Die Differenz machten die bezahlten Spesen. Ich brauchte kein Geld, Kost und Logis waren im Lohn inbegriffen.

Sie brauchten also den Lohn auf dem Bankkonto gar nicht anzurühren?
So ungefähr.

Wie lange sind Sie geblieben?
Drei Jahre.

Und wie war die Rückkehr in den Alltag?
Schwierig. Ich schrieb mehr als zehn Bewerbungen, erhielt jedoch nur Absagen. Alle dachten wohl, dass ich als Privatkoch von Gunter Sachs überqualifiziert sei. In dieser Zeit half ich oft bei Kollegen aus, die ich noch aus meiner Lehrzeit kenne und die inzwischen Restaurants haben. Doch die Zeit nach Gunter Sachs hatte ich mir wirklich einfacher vorgestellt.

Deshalb sind Sie wieder Privatkoch eines Milliardärs geworden. Für wen kochten Sie nach Gunter Sachs?
Sechs Jahre lang, von 1999 bis 2005 für Herrn und Frau Francis und Violette Vagliano.

Sie waren die letzten direkten Nachkommen einer griechischen Reederei-Dynastie. Wie war die Arbeit bei ihnen?
Eine wunderbare Zeit. Aber mit einem traurigen Ende. Herr und Frau Vagliano waren kinderlos. Er war 84 Jahre alt als ich bei ihnen begann, sie 79-jährig.

Markus May in seinem Element.
Markus May in seinem Element.

Sie mussten also nicht täglich Buffets für 35 Personen bereitstellen.
Nein. Wir lebten im Sommer in Meggen in einer wunderschönen Villa. Links die Rigi, rechts der Bürgenstock und freie Sicht auf den Vierwaldstättersee. Den Winter verbrachten wir jeweils an der Côte d’Azur in Cannes. Dort hatten die beiden umfangreichen Immobilienbesitz. Unter anderem den Golfplatz.

Sie hatten also nur für Herr und Frau Vagliano zu kochen.
Ja, und für die drei Hausangestellen. Und es gab noch zwei Hunde. Ein schwarzer Labrador namens Eos und ein kleiner brauner Mischling, der auf den Namen Nicky hörte. Sie durften jeweils im Rolls Royce auf dem Rücksitz mitfahren.

Wie sind Sie jeweils von Meggen nach Cannes gereist?
Mit dem Auto natürlich.

Mit dem Rolls Royce?
Ja. Zu Beginn fuhren Herr und Frau Vagliano und den Hunden im Rolls Royce vorneweg, und ich mit dem Buttler und dem Gepäck im Honda Civic hinterher. Da Herr Vagliano schon 84 war, benötigte er während der Fahrt beide Spuren der Autobahn, mal links, mal rechts, aber immer vorwärts Richtung Süden, und wir fragten uns, wann er sich endlich für eine Seite entscheiden würde. In späteren Jahren fuhr dann jeweils der Buttler den Rolls Royce. Gleich blieb jedoch ein alljährliches Ritual: Auf der Autobahnraststätte Coldrerio vor der Grenze zu Italien hielten wir an. Frau Vagliano hatte zu Hause selber Brötchen für alle vorbereitet und die assen wir dort als Zwischenverpflegung.

Im Restaurant der Autobahnraststätte?
Nein. Als Tisch diente uns jeweils die Kühlerhaube des Rolls Royce. Wir standen um das Auto herum, assen die Brötchen und es gehörte sich, dass wir alle diese Brötchen ausgiebig rühmten. Dann bestand Frau Vagliano darauf, dass nun jeder drei Espresso zu trinken hatte. Weil wir nun die sechs oder sieben Stunden bis Cannes ohne weiteren Halt durchfuhren und keiner einschlafen durfte. Zudem kaufte sie ausgiebig Schweizer Schokolade ein.

Wie wohnte die Familie in Cannes?
In einem grossen Anwesen, das mit vier zusammenhängenden Wohnblöcken überbaut war. Sie bewohnten die zehnte Etage die sich über die ganze Länge der vier Wohnblöcke hinzog. Mit einer durchgehenden Terrasse und Meersicht.

Cannes während der Filmfestspiele.
Cannes während der Filmfestspiele.
Bild: FRANCK ROBICHON/EPA/KEYSTONE

Wie viele Hausangestellte waren in Cannes?
Der Butler Gilbert und zwei Hausdamen. Eine war nur für die zwei Hunde zuständig.  

Keine kulinarischen Extravaganzen?
Nein. Am Montag, Mittwoch und Freitag spielten die beiden Golf. Mir oblag es, bereits im November Weihnachtsguezli zu backen. Diese nahm Frau Vagliano dann in einer Büchse mit auf den Golfplatz und verteilte sie. Dafür musste ich Montags, Mittwochs und Freitags nur das Abendessen zubereiten.

Da mussten Sie sich nicht überarbeiten.
Nein, es war ein wenig wie Ferien. Ich wohnte in einer Wohnung in der gleichen Überbauung, aber im 5. Stock mit einem acht Meter langen Balkon und Meersicht, Küche, Wohnzimmer, zwei Schlafzimmern und zwei Badezimmern.

Wie sind Sie zu dieser Stelle gekommen?
Meine Schwester entdeckte in der Zuger Zeitung das Stelleninserat. Ich wurde nach einem einstündigen Bewerbungsgespräch in Meggen eingestellt.

Sie machten auch da einen guten Eindruck.
Zumindest trug ich keine Baseball-Mütze. Das war wichtig. Herr und Frau Vagliano sagten mir, dass alle, die mit einer verkehrt herum getragenen Baseball-Mütze zum Vorstellungsgespräch kamen, gar nicht erst ins Haus gelassen wurden.

Haushaltsgeld: Die Höhe spielt keine Rolle, Qualität aber schon.
Haushaltsgeld: Die Höhe spielt keine Rolle, Qualität aber schon.
bild: marcel bieri

Und wie war es mit Haushaltsgeld?
Da hatte ich freie Hand. Bei der Metzgerei gab es das Fleisch auf Rechnung, die direkt bezahlt wurde. So zwischen 2500 bis 3000 Franken im Monat waren es schon. Den Rest der Einkäufe bezahlte ich bar. Ich bekam von Herrn Vagliano pro Monat 4000 Franken, die er einfach aus der Hosentasche nahm. Er hatte immer Tausendernoten bei sich. Er gab mit das Geld mit der Bemerkung, ich solle halt wieder etwas verlangen, wenn es nicht reiche. Nach einigen Monaten sagte er mir, das sei jetzt doch erstaunlich. Mein Vorgänger habe pro Monat mindestens doppelt so viel Geld gebraucht. Im Gegensatz zur Familie Sachs wollte er nie eine Abrechnung sehen.

Das Geld bekamen Sie tatsächlich in bar?
Ja, da war immer reichlich Bargeld im Haus und auch alle Rechnungen sind per Einzahlungsschein bezahlt worden. Die Einzahlungsscheine und das Geld lagen bereit und wer von uns Einkäufe besorgte, nahm das Geld mit und besorgte die Einzahlungen auf der Post.

Und wer holte jeweils das Geld?
So ungefähr alle zwei Monate kamen zwei Männer von einer Genfer Privatbank mit zwei Sicherheitskoffern voller Bargeld.

War bei so viel Geld im Haus nicht die Gefahr von Überfällen?
Doch. Kurz vor meinem Stellenantritt gab es einen Überfall. Die Einbrecher fesselten Herrn Vagliano ans Bett.  Doch als seine Frau dazu kam, schrie sie so laut, dass die Diebe ohne Beute die Flucht ergriffen. Sie wurden später in Rotkreuz gefasst. Einer davon hatte sich offenbar Jahre zuvor um eine Stelle als Hausangestellter beworben.

Und was haben diese Milliardäre gegessen?
Viel Fleisch, am liebsten Biofleisch. Zu Weihnachten gab es in Cannes immer einen Chapon.

Chapon?
Das ist ein kastrierter Hahn, der jeweils am Vormittag per Express aus Bresse, einer Gegend in Frankreich, angeliefert wurde. Am Abend war der Chapon im Ofen. Diese kastrierten Hähne werden viel grösser als ein gewöhnlicher Hahn, wiegen mit einer Füllung aus Zwiebeln, Kastanien und Äpfeln gut sechs Kilo. Dazu kommen Trüffel, die unter die Haut geschoben werden. Frau Vagliano sagte jeweils: «Like every year» und so machten wir es jedes Jahr. Am 25. Dezember bekam dann das Personal für ein paar Tage frei. Frau Vagliano sagte, es sei ja vom Chapon noch genug übriggeblieben und sie hätten für ein paar Tage genug zu essen.

Als Privatkoch kam er den Familien, für die er arbeitete, auch näher.
Als Privatkoch kam er den Familien, für die er arbeitete, auch näher.

Sie sagten, das Ende sei tragisch gewesen.
Frau Vagliano ist überraschend unheilbar an Krebs erkrankt und gestorben. Herr Vagliano war zu alt, um sich nun um alles zu kümmern. Auf einmal standen verschiedene angebliche Familienmitglieder, die wir sechs Jahre lang nie gesehen hatten, vor der Türe und machten mit Stammbäumen ihre Ansprüche geltend. Herr Vagliano wurde unter Vormundschaft gestellt und für reiseunfähig erklärt. Sie nahmen ihm alles weg, sogar die Brille und das Hörgerät. Das Personal wurde ausgewechselt. Ich wurde nach fast sechs Jahren entlassen und mit einem Besuchsverbot belegt. Weil meine Gegenwart angeblich bei Herrn Vagliano zu viele Emotionen auslöste. Mein Arbeitszeugnis wurde von der Vormundschaftsbehörde ausgestellt. Zu seiner Beerdigung kamen nur noch rund 20 Leute. Auch sein letzter Wille, eine letzte Ruhestätte in der Familiengruft in Cannes, wurde nicht erfüllt.

Alles Geld der Welt und am Ende doch einsam?
Ja, das war wirklich sehr traurig.

Was haben Sie dann gemacht?
Ich war wieder mal arbeitslos. Alles war weg. Der Job, die Freundin …

Wie haben Sie die neue Stelle als Privatkoch gefunden?
Nach zwei Jahren, 2007, wieder durch ein Stellenvermittlungsbüro. Aber da habe ich es nur vier Monate ausgehalten. Die Chemie stimmte nicht, wie man so schön sagt.

Warum?
Es war bei einem weltberühmten Stararchitekten, der in Waadtland ein Schloss gekauft hatte. Nach einem einwöchigen Probekochen wurde ich eingestellt. Weil er Lord war, bestand seine Frau auf der Anrede «My Lord und my Lady».

Das haben Sie gemacht?
Ja natürlich.

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Und das war der Grund für die Kündigung?
Nein. Es ging einfach um die Arbeitsbedingungen. Die Herrschaften wussten nie, wann sie speisen wollten. Doch wenn es so weit war, wurde geklingelt, und dann hatte die Vorspeise innerhalb von fünf Minuten serviert zu sein. Das machte die Arbeitsorganisation schwierig. Wenn ich nicht gegangen wäre, hätte ich wahrscheinlich ein Burnout eingefangen.

Wie wurde Ihre Kündigung aufgenommen?
Mit Bedauern. Aber wohl deshalb, weil es nicht einfach war, einen Nachfolger zu finden. Es kamen Kandidaten zum Probekochen. Aber die hatten alle mit der Fünfminuten-Regelung Schwierigkeiten. Als ich dann ging, hatte die Familie jedenfalls noch keinen neuen Koch gefunden.

Für wen kochen Sie jetzt?
Seit acht Jahren für eine Familie in der Schweiz.

Den Namen verraten Sie uns nicht?
Nein. Über die Vergangenheit können wir sprechen, über die Gegenwart nicht.

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16 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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suchwow
24.01.2016 16:12registriert Dezember 2014
Spannendes Interview. So spannend, dass ich den Artikel so aufmerksam gelesen habe, wie ich es mit den prüfungsrelevanten Unterlagen tun müsste.
Auf morgen 😕
Am besten vor zwei Wochen begonnen...
1521
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Zum Kommentar
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Homelander
24.01.2016 17:46registriert Oktober 2014
Spannend. Aber wie kommt man auf die Idee die Milch zu verdünnen... das hört sich ja schon eklig an 😂
1113
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LILA2000
24.01.2016 16:11registriert August 2014
Interessanter Artikel, merci dafür.
750
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16
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