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Interview mit Roche-Chef Severin Schwan.

epa05130964 Severin Schwan, CEO of Swiss pharmaceutical company Roche Holding AG, presents the facts and figures for 2015, during the annual press conference in Basel, Switzerland, 28 January 2016. EP ...
Kampf gegen Krebs, kritische Zeiten und das ewige Leben: Ein Gespräch mit Roche-Chef Severin Schwan.Bild: EPA/KEYSTONE
Interview

Gibt es bald ein Heilmittel gegen Krebs? Der Roche-Chef im Interview

Roche-Chef Severin Schwan leitet den Pharmamulti seit bald zehn Jahren. Im Interview spricht er über den Kampf gegen Krebs, kritische Zeiten und das ewige Leben.
16.04.2017, 06:5316.04.2017, 08:30
LAURINA WALTERSPERGER UND BEAT SCHMId / schweiz am wochenende
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Ein Artikel von Schweiz am Wochenende
Schweiz am Wochenende

Wer Severin Schwans Schaltzentrale in den obersten Etagen des Roche-Turms vermutet, liegt falsch. Denn wer ihn besucht, verlässt das glanzvolle Entrée des Hochhauses gleich wieder durch die Seitentür – und schreitet kurze Zeit später über den schweren beigen Teppich eines älteren Gebäudes im Bauhausstil.

Im Schatten des hohen Turms liegt das Direktionsgebäude, dessen Wandgemälde eine Zeit dokumentieren, als es noch keine Gen-Entschlüsselung oder personalisierte Medizin gab. Hier lenkt die Konzernführung seit 1936 die Geschicke der Pharmafirma.

Herr Schwan, in der Freizeit filmen Sie. Wenn Sie einen Science-Fiction drehen würden, wie und wann Krebs besiegt werden kann, wie würde das aussehen?
Severin Schwan:
Ich befürchte, es würde ein Film mit einem offenen Ende werden. Heute kann keiner auf seriöse Weise abschätzen, wie lange es dauern wird, bis wir Krebs tatsächlich besiegen können. Der Film würde aber sicherlich die beeindruckenden Fortschritte in der Krebsforschung aufzeigen, besonders in der Krebsimmuntherapie.

Also kein Happy End?
Noch nicht. Ich würde aber entlang der Historie der Krebsbekämpfung aufzeigen, dass sich die Zeitabstände der einzelnen Fortschritte immerzu verkürzen. Das macht Hoffnung, dass wir noch einige Innovationen sehen werden und es tatsächlich möglich sein wird, Krebs eines Tages zu besiegen.

Ein wesentlicher Durchbruch ist jüngst die Krebsimmuntherapie. Krebs entsteht, weil die Immunabwehr die Tumorzellen nicht mehr erkennt und bekämpft. Mit der Therapie wird das Immunsystem zur Krebsbekämpfung aufgerüstet. Die Methode zeigt nie da gewesene Behandlungserfolge. Doch bislang sprechen nur wenige Patienten darauf an. Wie Ihre Mitstreiter versuchen Sie, Kombinationswirkstoffe zu finden, um die Ansprechrate zu erhöhen. Gibt es neue Hoffnung?
Wir sehen in den klinischen Studien sehr gute Ergebnisse mit Kombinationstherapien. Das liegt am Wesen der Krankheit. Krebs hat die Fähigkeit, sich ständig zu verändern, um Therapien auszuweichen. Man muss sich das wie bei der Aids-Bekämpfung vorstellen. Es gelang der Medizin, den Virus zurückzudrängen, doch dann veränderte er sich und bildete Resistenzen. Erst mit therapeutischen Cocktails konnte die Krankheit völlig unterdrückt und in eine chronische Erkrankung umgewandelt werden.

Aus Krebs soll eine chronische Krankheit werden?
Wir gehen ähnlich vor und versuchen, über verschiedene Angriffsflächen den Krebs in Schach zu halten. Wie wir in ersten klinischen Versuchen sehen, gelingt das zunehmend.

Lungenkrebs ist weltweit die häufigste Krebsform. Der grösste Krebsmarkt ist entsprechend umkämpft. Wie gut stehen die Chancen, dass sich Roche bei der Behandlung von Lungenpatienten durchsetzt?
Wir haben wichtige Studien mit dem Wirkstoff Tecentriq, die im zweiten Halbjahr Ergebnisse liefern werden. Es wird sich zeigen, wie gut diese Daten im Vergleich zur Konkurrenz ausfallen. Ich bin sehr vorsichtig mit Prognosen. Gerade im letzten Jahr haben wir gesehen, wie oft unsere Konkurrenten und wir selbst danebenlagen. Das zeigt, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, bis wir die Komplexität der Krebserkrankung durchschauen.

Roche benötigt dringend neue Kassenschlager, da wichtige Patente abgelaufen sind. Die Lage ist kritisch.
Sie bleibt immer kritisch, das ist das Wesen unserer Industrie. Wir müssen ständig unsere Pipeline erneuern. Aber wir befinden uns momentan tatsächlich in einer besonders kritischen Phase, da grosse Medikamente in einem engen Zeitraum ihre Patente verlieren. Es sieht glücklicherweise so aus, als könnten wir gleichzeitig eine Reihe neuer Wirkstoffe auf den Markt bringen. Das reduziert das Risiko. Aber ich habe schon einige Zyklen mitgemacht – ganz genau weiss man es erst danach.

Was haben Sie in der Hinterhand?
Ausserhalb der Krebstherapie stehen im zweiten Halbjahr 2017 wichtige Studien mit einem Augenheilmittel gegen die altersbedingte trockene Makula-Degeneration und einem Wirkstoff gegen die Bluterkrankheit an. Je mehr Studien positiv ausfallen, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Umsatzerosionen durch die Nachahmerprodukte kompensieren können. Zudem konnten wir gerade ein vielversprechendes Medikament gegen multiple Sklerose lancieren.

«Der Wert des Lebens ist dadurch begründet, dass es begrenzt ist.»

Die Geschäftsentwicklung der vergangenen Jahre gibt Ihnen strategisch recht, Ihre Anleger sind ziemlich erfolgsverwöhnt. Doch was ist, wenn die Forschung nicht mehr weiterkommt? Wenn es Roche oder anderen Pharmafirmen nicht mehr gelingt, immer neue Medikamente auf den Markt zu bringen?
Der Gesundheitsbereich ist im Vergleich zu anderen Branchen ein Feld mit enormem Bedarf. Ein Grossteil der Krankheiten kann noch nicht behandelt werden. Die entscheidende Frage für uns ist: Kann die Wissenschaft neue Ansätze liefern? Das ist zwingend.

Kann sie?
Wenn wir uns in zehn Jahren wieder treffen, bin ich sicher, dass wir uns darüber unterhalten werden, wie die Wissenschaft wieder auf erstaunliche Weise fortgeschritten ist. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass man mit Immuntherapie Krebs behandeln kann.

Was bedeutet das für die strategische Zukunft von Roche?
Wir folgen der Wissenschaft. Wir gehen immer dorthin, wo wir eine Krankheit besser verstehen und mit neuen Mechanismen eingreifen können. Die Wahrheit ist, wir sind in die Onkologie gestolpert, weil sich dort neue Möglichkeiten aufgetan hatten. Historisch betrachtet waren wir in den unterschiedlichsten Bereichen führend, etwa in der Neurologie oder bei Infektionskrankheiten. Heute gehen wir neben Krebs auch stärker ins Feld der Autoimmunerkrankungen wie multiple Sklerose oder rheumatoide Arthritis. Gerade der Fokus aufs Immunsystem bringt uns immer wieder in neue Therapiegebiete, weil die Immunabwehr praktisch bei jeder Krankheit eine Rolle spielt.

Roche verfolgt eine Politik der kleinen Schritte. Im Silicon Valley scheint man in grösseren Dimensionen zu denken. Googles Gesundheits-Start-up Calico etwa will Quantensprünge in der Forschung erzielen. Nichts weniger als die Unsterblichkeit ist das Ziel. Müsste sich Roche nicht auch solche ambitioniertere Ziele stecken?
Na ja. Wir sterben letztlich alle an Krankheiten. Wenn Sie also sagen, Sie wollen ewig leben, müssen Sie die Krankheiten in den Griff bekommen. Die Vision des ewigen Lebens ist damit nur eine extreme Formulierung, dass wir grosse Innovationen benötigen, um Krankheiten heilen zu können. Von daher ist Roche mittendrin.

Würden Sie ewig leben wollen?
Ich befürchte, dass sich mir die Frage real nicht stellen wird (lacht). Aber es ist natürlich so, dass auch der Tod zum Leben gehört. Der Wert des Lebens ist dadurch begründet, dass es begrenzt ist. Alles, was unbegrenzt vorhanden ist, hat letztlich weniger Wert. Das ist eine interessante Frage, zu der ich mir noch mehr Gedanken machen sollte. Ostern ist ein guter Zeitpunkt dafür.

Severin Schwan, CEO Roche smiles at the annual operating media conference in Basel an einer Medienkonferenz in Basel, Switzerland, pictured on January 30, 2014. The continuous demand for cancer medici ...
Ob der Severin Schwan gerne ewig leben möchte? Darauf gibt's keine klare Antwort.Bild: KEYSTONE

Die USA, der wichtigste Markt für Roche, befindet sich im Umbruch. Präsident Donald Trump hat eine tiefgreifende Gesundheitsreform losgetreten, überzogenen Medikamentenpreisen den Kampf angesagt und den Protektionismus ausgerufen. Was heisst das für Sie?
Es herrscht zurzeit eine relativ hohe Unsicherheit, was in den USA passieren wird. Aber mein Vertrauen in die USA ist sehr hoch. Die Begeisterung für medizinischen und technologischen Fortschritt ist extrem spürbar und tief verankert. Innovation wird gefeiert, ob auf politischer Ebene oder im persönlichen Bereich, trotz anhaltender Preisdebatte. Das bleibt so, davon bin ich überzeugt. Damit sind für uns die grundsätzlichen Voraussetzungen gegeben.

Trotzdem sind gerade für die Krebsimmuntherapie die Kosten sehr hoch. Sie könnten unter Druck geraten, da Präsident Trump die Medikamentenpreise senken will.
Ich bin überzeugt, dass echte Innovation auch weiterhin in den USA honoriert – und damit bezahlt wird. Deshalb haben wir viel investiert und werden auch weiter in den USA investieren.

«Es ist eine riesige Chance für die Schweiz, wenn andere Länder, womöglich auch die USA, protektionistischer werden und die Grenzen dichtmachen. Gelingt es der Schweiz offenzubleiben, kann sie sich als Innovationsland, was sie ohnehin schon ist, nochmals absetzen.»

Wie sieht es in Europa aus?
Wenn Sie hier einen Gesundheitsminister treffen, dauert es keine Minute und er spricht über Kosten. Obwohl der Anteil der Kosten für Medikamente in den Gesundheitsbudgets ständig abnimmt, heisst es, die Krebsimmuntherapie können wir uns nicht leisten. Am liebsten wäre es einigen, wenn die Wirkstoffe gar nicht auf den Markt kommen würden, um Kosten zu sparen.

Werden Sie also mehr in den USA investieren?
Mit Ausnahme der Schweiz nehmen unsere Investitionen in Europa relativ betrachtet ab. In den USA bleiben sie stabil, während sie in den Schwellenmärkten, besonders in China, zunehmen. Mir als Europäer tut das weh. Die Begeisterung für Innovation fehlt hier.

Gilt das auch für die Schweiz?
Was Innovation angeht, ist die Schweiz ein hervorragender Standort. Es ist eine riesige Chance für die Schweiz, wenn andere Länder, womöglich auch die USA, protektionistischer werden und die Grenzen dichtmachen. Gelingt es der Schweiz offenzubleiben, kann sie sich als Innovationsland, was sie ohnehin schon ist, nochmals absetzen.

Hier gibt es aber mit der Masseneinwanderungsinitiative auch Abschottungstendenzen.
Das war sicher ein schlechtes Zeichen. Aber die Abschottungsdiskussion ist hierzulande wesentlich moderater und weniger gehässig. Schauen Sie, mit welchem Pragmatismus man jetzt an der Umsetzung arbeitet.

Auch das Vertrauen der Bevölkerung in Politik und Wirtschaft schwindet. Denken Sie an das Nein zur Unternehmenssteuerreform III.
Die Schweiz muss Sorge tragen, dass der Konsens erhalten bleibt. Da ist die Wirtschaft in der Pflicht. Ich bleibe optimistisch, dass wir eine Lösung finden. Das hat die Schweiz noch immer getan.

Sie sind einer der wichtigsten Wirtschaftsführer der Schweiz, als CEO von Roche und Verwaltungsrat der Credit Suisse. Leisten Sie genügend Überzeugungsarbeit, um das Vertrauen in die Wirtschaft zu stärken?
Natürlich leiste ich meinen Beitrag, aber es ist ein Spagat, den ich da machen muss. Der ist für Ausländer noch schwieriger. Ich komme aus Tirol. Die Tiroler sind ein ziemlich stures Volk und lassen sich ungern etwas sagen. Nicht von den Wienern, aber schon gar nicht von irgendwelchen Nachbarländern. Wenn Sie da antreten und meinen, Sie müssen dem Tiroler sagen, was er besser machen muss, haben Sie schon verloren. Deshalb bin ich auch in der Schweiz sehr vorsichtig, öffentlich als Besserwisser aufzutreten.

Aber Sie tragen eine hohe Verantwortung, sind Chef über 14'000 Mitarbeitenden in der Schweiz.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen in der Schweiz für Roche weiterhin gut bleiben. Ich versuche eher in kleineren Gruppen, meine Argumente einzubringen.

Sie sitzen im Verwaltungsrat der Credit Suisse. Boni-Erhöhungen trotz Milliardenverlusten der Bank sorgten für rote Köpfe. Auf massiven Druck einiger namhafter Investoren hin schlägt die Bank nun eine 40-prozentige Bonireduktion vor. Sieht so Vertrauensförderung aus?
Ich finde es nicht richtig, wenn sich einzelne Verwaltungsratsmitglieder über die Medien äussern. So halten wir es auch bei Roche.

Was ist für Sie eine faire Vergütung?
Die Salärpolitik muss wettbewerbsfähig sein. Das schaue ich mir für unsere eigenen Leute bei Roche genau an. Und natürlich muss man die Leistung des Mitarbeiters bewerten.

Wie bewerten Sie Erfolg?
Man muss Erfolg sehr differenziert analysieren. Wenn Ihr Geschäft in einem schrumpfenden Markt zurückgeht, Sie aber Marktanteile gewinnen konnten, kann das erfolgreich sein. Wachsen Sie zwar, aber schwächer als der Gesamtmarkt, ist das weniger erfolgreich.

Schriebe Roche zweimal in Folge Verlust, würde Ihr Bonustopf trotzdem wachsen?
Wenn eine Branche in Schwierigkeiten steckt oder eine Firma unprofitabel ist, muss man genau hinschauen. Man sollte auch dann eine differenzierte Entscheidung treffen. Es geht letztlich darum, dass sich das Unternehmen gut entwickelt. Bei solchen Entscheiden muss man an die Aussenwirkung denken. Aber man muss auch den Mut haben, unpopuläre Entscheide zu treffen, wenn sie notwendig sind.

Roche-CEO
Severin Schwan (49) ist seit 2008 CEO des Basler Pharmakonzerns Roche. Der promovierte Jurist und Betriebswirt hat seine gesamte berufliche Karriere beim Basler Konzern verbracht. Nach dem Studium stieg er 1993 als Trainee in das Unternehmen ein. Bereits ab 1995 war er in verschiedenen leitenden Funktionen tätig. Erst war er bei Roche in Belgien, dann in Deutschland für die Finanzen zuständig. 2000 trat er in die Sparte Diagnostik ein und hatte ebenfalls die Finanzen unter sich. Später leitete er die Diagnostiksparte für die Region Asien. Bevor er zum CEO des Konzerns ernannt wurde, war er von 2006 bis 2008 Chef der gesamten Roche-Diagnostik. Der Österreicher wohnt in Riehen bei Basel, ist verheiratet und hat drei Kinder.
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Das Polizeigericht in Bellinzona hat am Montag einen deutschen Theologen vom Vorwurf der Diskriminierung und Anstiftung zu Hass freigesprochen. Der Mann, der an der Universität Lugano lehrt, hatte als Herausgeber einer Zeitung die Veröffentlichung eines homophoben Artikels erlaubt. Die Untersuchung einer unabhängigen Ethikkommission der Universität wird indes fortgesetzt, wie diese mitteilte.

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