Frau Rytz, das Schweizer Stimmvolk hat das Energiegesetz klar angenommen. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie glücklich sind Sie gerade?
Regula Rytz: 10 – keine Frage! Ich bin überwältigt. Das Schweizer Stimmvolk hat eine historische Weichenstellung vorgenommen: Es ist ein wuchtiges Ja zum Atomausstieg, zu mehr Klimaschutz und zu einer erneuerbaren Energieversorgung der Schweiz.
Damit werden DIE Kernforderungen Ihrer Partei in die Tat umgesetzt. Ist die Mission der Grünen mit dem heutigen Tag erfüllt?
Schön wär's (lacht). Doch die Bevölkerung hat heute nur die Richtung vorgegeben. Unsere Pflicht ist es, den Auftrag nun umzusetzen. Dazu wird es überall engagierte Grüne brauchen. Solange in der Schweiz uralte Schrottreaktoren laufen, gibt es noch viel zu tun. Auch die Finanzierung der Atommüllentsorgung muss erst noch geregelt werden.
Ein Zürcher Verein will mit einer neuen Initiative doch noch fixe Abschaltdaten für die bestehenden AKW erwirken. Unterstützen Sie das Begehren?
Nein. Es bringt nichts, der Bevölkerung noch einmal dieselben Fristen zu unterbreiten, wie wir Grünen es im November mit der Atomausstiegs-Initiative getan haben. Nun muss das Parlament die Sicherheitsvorschriften für die AKW so verschärfen, dass ein Dinosaurier wie Beznau I nie mehr ans Netz gehen kann. Zudem erwarten wir von Bundesrätin Doris Leuthard, dass sie für mehr Kostenwahrheit in der Stromwirtschaft sorgt: Der Preis für AKW-Strom deckt heute die langfristigen Kosten nicht.
Damit begeben Sie sich auf dünnes Eis: Die Kosten-Debatte wurde in den letzten Wochen ja äusserst hitzig geführt. Legen Sie die Hand ins Feuer, dass es nicht doch zu einer Kostenexplosion kommt wie von der SVP prognostiziert?
Die 3200-Franken-Warnung der SVP ist und bleibt ein Schauermärchen. Beschlossen wurde am heutigen Tag eine Erhöhung des Netzzuschlags, die pro Haushalt 40 Franken jährlich kosten wird. Wir werden in ein paar Jahren sehen, ob es noch weitere Massnahmen braucht. Falls ja, wird die Bevölkerung wieder das letzte Wort dazu haben. Ich bin überzeugt, dass die Menschen langfristiger denken, als es der SVP lieb ist. Wenn wir nur auf unsere kurzfristigen Vorteile schauen, müssen einfach die kommenden Generationen dafür bluten.
In Deutschland, dem Pionier in Sachen Energiewende, ist die Euphorie teilweise bereits der Enttäuschung gewichen. Was ist passiert?
Die deutsche Regierung hat viele Fehler gemacht, für die die Bürger nun teuer bezahlen müssen: Die meisten Unternehmen wurden vom Netzzuschlag befreit, die Konsumenten müssen die höheren Stromkosten alleine tragen. Bei uns werden die Kosten dagegen solidarisch verteilt. Ein weiterer Fehler der Deutschen war es, Kohlekraftwerke zu subventionieren, was zu einem Überangebot an klimaschädlichem Strom führte.
Ist es nicht naiv zu hoffen, dass bei uns alles besser wird?
Nein, wir haben punkto Energiewende die besten Karten in ganz Europa: Wir haben das enorme Glück, dass wir uns mit der Wasserkraft versorgen können. Schon jetzt deckt diese saubere Energie 60 Prozent unseres Bedarfs. Davon kann Deutschland mit seinem kleinen Alpenanteil nur träumen. Deutschland muss einen viel grösseren Effort bei der Stromproduktion aus Sonne, Wind und Biomasse leisten als wir in der Schweiz.
Vergangene Woche wurde bekannt, dass der letzte grosse Solarzellen-Hersteller in Deutschland Insolvenz anmelden musste. Für Kritiker ist das der Beweis dafür, dass das «grüne Jobwunder» ausbleibt und die Fördergelder in dem Bereich verpuffen.
Wer so etwas sagt, hat gar nichts begriffen: Diese Firmen haben Aufträge für die Herstellung von Solarpanels an China verloren, weil dort viel billiger produziert werden kann. Das ist kein Problem der Solarenergie – auch Staubsauger und Fernseher werden heute in Asien produziert. Bei den Jobs, die dank der Energiewende entstehen, steht nicht die Produktion im Vordergrund. Vielmehr geht es um Arbeitsplätze in der Planung oder beim Installationsgewerbe.
Was ist mit den weiteren Stolpersteinen, die auf dem Weg in eine grüne Energiezukunft lauern? Nehmen Sie die Planung von neuen Windparks – da sind Einsprachen und Konflikte doch programmiert!
Einverstanden. Beharren Investoren darauf, in den Kantonen umstrittene Windkraft-Projekte durchzustieren, wird der Widerstand in der Bevölkerung riesig sein. Der Abstimmungskampf hat gezeigt, dass dies ein sehr sensibles Thema ist. Auch wir Grünen wehren uns dagegen, dass Windparks in geschützten Naturlandschaften gebaut werden. Die Schweiz ist ohnehin kein Windland. Die Solarenergie hat ein viel grösseres ungenutztes Potenzial.
Wagen Sie einen Blick in die Kristallkugel: Wie leben wir 2050?
Die Häuser werden keine fossilen Heizungen mehr haben, weil sie so gut isoliert sind und mit Solarwärme und etwas Holz gut durch den Winter kommen. Es werden keine fossil betriebenen Autos mehr auf der Strasse unterwegs sein, sondern nur noch solche mit Elektroantrieb. Zudem wird der Verkehr über Sharing-Plattformen abgewickelt. Ich gehe davon aus, dass die Effizienzsteigerungen unser Leben nochmals wesentlich angenehmer machen werden.