Frau Schutzbach, würden Sie Roger Köppel am Strassenrand stehen lassen, wenn Sie Taxifahrerin wären?
Franziska Schutzbach: Ja, ich denke schon.
In einem umstrittenen Blogeintrag plädieren Sie dafür, rechtsnationale Kräfte komplett zu ignorieren. Was erhoffen Sie sich davon?
Mir geht es darum, was der Einzelne gegen Akteure ausrichten kann, die menschenfeindliche Positionen vertreten. Mein Punkt ist: Auch wenn man als Taxifahrer nicht die Möglichkeit hat, sich politisch mit der SVP anzulegen, ist man doch alles andere als machtlos. Man kann seine Überzeugung mit subversiven Handlungen zum Ausdruck bringen.
Geht es nach Ihnen, sollen Politiker den Rechten die Debatte verweigern. Taxifirmen sollen sie nicht mehr befördern, Hotels ihnen keine Versammlungsräume mehr zur Verfügung stellen. Halten Sie es in einer direkten Demokratie für richtig, Andersdenkende auszugrenzen?
Ich möchte niemandem den Mund verbieten, alle dürfen ihre Meinung sagen. Aber die Frage ist: Wie viel Aufmerksamkeit muss man bestimmten Ansichten geben? Ich habe diesen Blogeintrag vor über einem Jahr verfasst, er entstand spontan und ist noch eher unausgegoren. Seitdem wurde viel über die Frage diskutiert, ob und wie man mit Rechten sprechen soll – vor allem in Deutschland im Zusammenhang mit der AfD. Ich bin noch nicht zu einer abschliessenden Antwort gekommen, welches das richtige Rezept gegen Rechtspopulismus ist. Einiges würde ich inzwischen wohl anders schreiben oder weiterdenken.
Was war der Auslöser dafür, dass Sie den Beitrag verfasst haben?
Ich hatte genug davon, dass sich meine eigenen Gedanken sehr oft entlang rechter Agenden drehen. Wir arbeiten uns oft an populistischen Positionen ab, die gesetzt werden und dann nicht mehr wegzukriegen sind. Ein Paradebeispiel dafür ist die Masseneinwanderungsinitiative: Die Linke liess sich in eine reaktive Rolle drängen, war nur noch in der Abwehr. Viel wertvoller wäre es, wieder eigene Utopien für die Gesellschaft zu entwickeln und diese voranzutreiben!
Die Masseneinwanderungsinitiative wurde mit 50,3 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Wäre es nicht verheerend, eine Debatte über ein Thema zu unterdrücken, das offenbar über der Hälfte der Stimmbürger Bauchweh macht?
Wir haben es hier mit einer Huhn-Ei-Frage zu tun. Wenn sich Politiker aller Lager hunderte Male mit der Aussage zitieren lassen, man müsse die Ängste der Leute vor der Zuwanderung ernst nehmen – kommt dann nicht dem Hinterletzten in den Sinn, dass er vielleicht auch Angst haben könnte vor Migranten?
Wenn die eigenen Argumente gut genug sind, sollte man diese Befürchtungen doch entkräften können.
Schön wär's, leider funktioniert die Idee des stärkeren Arguments nicht in jedem Fall. Donald Trump ist nicht erfolgreich, obwohl er frauenfeindlich ist, sondern gerade weil er frauen- und migrationsfeindliche Positionen vertritt. Er vertritt entgegen jedem vernünftigen Einwand seine haarsträubenden Thesen. Dadurch, dass diese Positionen auf allen Kanälen präsent sind, erhalten sie Legitimität und werden salonfähig. Dasselbe gilt, wenn eine AfD-Politikerin zigfach damit zitiert wird, dass sie an der Grenze notfalls auch auf Flüchtlinge schiessen würde.
In Ihrer Idealvorstellung würden die Medien also darauf verzichten, jemals über Trump oder die AfD zu berichten? Und die «Arena» fände konsequenterweise ohne SVP-Beteiligung statt?
Als Sendungsmacherin würde ich mir zumindest überlegen, wie oft man solche Leute zu Wort kommen lassen will. Muss es denn immer Andreas Glarner sein? Brauche ich immer die krasseste Position – oder reicht auch eine mittelkrasse? Vielleicht gäbe es Leute aus dem liberalen Spektrum, die zum gleichen Thema etwas Substanzielles zu sagen hätten.
Wo ziehen Sie denn die Grenze? Erachten Sie die SVP und all ihre Mitglieder als «menschenfeindlich»?
Nein, das wäre zu pauschal. Aber wenn eine Partei Initiativen lanciert, die riskieren, dass die Europäische Menschenrechtskonvention aufgekündigt wird, dann kann man doch nicht einfach wegschauen! Ausserdem wurden auch schon mehrere SVP-Exponenten wegen Verstössen gegen die Anti-Rassismus-Strafnorm verurteilt. Ich denke etwa an das Inserat «Kosovaren schlitzen Schweizer auf».
Das Beispiel zeigt doch genau: Es gibt Möglichkeiten, Politiker juristisch zu belangen, wenn sie eine Grenze überschreiten.
Die juristische Ebene ist das eine. Aber es muss auch ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden. Und zu diesem Zweck kann es eben dienlich sein, Leuten den Ton abzudrehen, die rassistische Parolen ins Mikrofon plärren. Oder auch einmal aus einer Sitzung zu laufen, wenn jemand sexistischen Mist erzählt.
In Ihrem Blog erwähnen Sie Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die nach einer Provokation von Roger Köppel aus dem Saal gelaufen ist. Ist das also ein Vorbild für zivilen Ungehorsam?
Ja, die Aktion hat mir sehr gut gefallen. Eine Bundesrätin muss sich nicht alles gefallen lassen. Wenn der Rechtsnationalismus diskursbestimmend wird, sollte man diesen Akteuren vielleicht einfach mal den Rücken kehren. Muss man sich zum Beispiel wirklich auf Diskussionen über Leitkulturen einlassen?
Da sind wir dann schon bald auf CVP-Terrain. Soll man die jetzt auch noch ignorieren, weil sie hierzulande eine Wertedebatte lanciert hat?
Das Beispiel zeigt ja eben gerade, wie weit solche Positionen in die gesellschaftliche Mitte vorgestossen sind. Sollen die Politiker Blut-und-Boden-Fantasien doch in ihren Parteiblättern ausleben. Sie haben ja genug Kanäle.
Eben: Es ist für eine finanzstarke Partei gar kein Problem, die Öffentlichkeit mit ihren Botschaften zu erreichen. Wenn Sie die Debatte abklemmen, bleiben die rechten Positionen einfach unwidersprochen.
Ja, aber offenbar nützt es im Moment auch wenig, ihnen zu widersprechen. Es macht sie erst recht wichtig und relevant, wenn man ganze Podien organisiert. Sie gehen daraus in jedem Fall gestärkt hervor.
Dann ist es besser, jede Gruppe bleibt in ihrer Bubble?
Wir leben jetzt in einer Bubble, in der die immer gleichen Themen verhandelt werden und in der die SVP sehr diskursbestimmend ist. Das aufzubrechen, ist gerade die eigentliche und dringend nötige Erweiterung der Bubble.
Als Gender-Forscherin arbeiten Sie in einem Gebiet, das oft kritisiert und belächelt wird. Wie gehen Sie eigentlich damit um?
Die negativen Reaktionen haben ganz klar zugenommen. Wohl auch daher, weil rechtspopulistische Parteien den Anti-Gender-Diskurs für sich entdeckt haben. Im Grunde ist es derselbe Reflex wie in der Migrationsdebatte auch: Veränderungen sind nicht einfach zu akzeptieren. Zum Beispiel, dass die Schweiz eine Einwanderungsgesellschaft ist und bleibt, dass jetzt auch Homosexuelle Kinder haben. Man will das aufhalten und sucht sich Feinde, die angeblich schuld sind an allem. Es setzt gerade eine Retraditionalisierungs-Sehnsucht ein: Der Wunsch, das Rad zurückzudrehen, auch wenn es den angestrebten Zustand vielleicht gar nie gab.