Herr Brotz, Sie sind mitten in ein Kriegsgebiet gereist. Hatten Sie Angst?
Sandro Brotz: Ich war das erste Mal in Syrien unterwegs, doch ich habe natürlich im Vorfeld mit vielen Leuten über die Gefahren im Land gesprochen. Unser Fahrer war eine Person unseres Vertrauens, ein Syrer, der sich auskannte und wir sind nur durch das Territorium von Syrien-Präsident Baschar al-Assad gefahren, der uns ja eingeladen hatte. Richtige Angst hatte ich also keine, aber eine gewisse Grundanspannung begleitet einem bei einem solchen Projekt.
Wie sind Sie gereist?
Meine Kollegin Samira Zingaro und ich sind nach Beirut im Libanon geflogen und von da aus noch am gleichen Tag an die syrische Grenze weitergereist. Auf einem Autobahnkorridor konnten wir direkt nach Damaskus fahren.
Was haben Sie auf der Fahrt angetroffen? Wie sieht Syrien aus?
Auf der Fahrt haben wir wenig gesehen. Wir fuhren durch eine lange Ebene mit wenig Zivilisation. Bis Damaskus dauert es rund zwei Stunden. Natürlich fallen aber die Checkpoints auf. Wir mussten fünf oder sechs davon passieren.
Was passiert da?
Wir mussten uns ausweisen, unsere Visa zeigen, die für uns an der Grenze hinterlegt wurden. Mehrmals kontrollierten die Soldaten unseren Wagen und öffneten unser Gepäck.
Wie präsentierte sich die Stadt?
Es herrscht reger Betrieb. Wenn man nicht wüsste, dass 10 bis 15 Kilometer weiter weg Kriegshandlungen stattfinden, würde man es nicht merken. Wer die arabische Welt schon bereist hat, kennt das Bild: labyrinthartige Altstadt, grosse Souks, Menschengewirr, Verkaufsgeschrei. Ungewöhnlich ist, dass kein einziger westlicher Tourist darin anzutreffen ist. Als ich einmal was kaufen wollte, waren die Leute so überrascht über einen Westler, dass sie mir den Einkauf sofort schenkten.
Damaskus ist vollständig intakt?
Nein, es gibt natürlich Kriegsschäden, auf die uns unser Fahrer jeweils hinwies. Sie sind aber nicht so gravierend wie in Aleppo. Dennoch sind einige Gebiete komplett abgeriegelt und bereits nahegelegene Dörfer zerbombt. Dahin sind wir aber nicht gefahren, wir haben uns auf dieses eine Projekt konzentriert.
Das Interview mit Baschar al-Assad. Sie haben schon alle möglichen Menschen in harten Interviews konfrontiert. Waren Sie vor diesem besonders nervös?
Nein. Ich war sehr konzentriert, habe kaum mehr wahrgenommen, wieviele Leute um uns herum standen und fokussierte mich vollkommen auf ihn.
Was bringt ein solches Interview überhaupt? Es war schon vorher davon auszugehen, dass Assad nicht zugeben würde, ein Kriegsverbrecher zu sein.
Ja, das war es tatsächlich. Trotzdem ist es wichtig, auch mit solchen Leuten zu reden. Als Journalist will ich immer mit den Direktbetroffenen reden. Das hätte jeder gemacht, der die Möglichkeit dazu erhalten hätte.
Sie haben es also nicht aus reinen Prestige-Gründen gemacht?
Natürlich nicht. Manchmal, und gerade in einem solchen Fall, sind die Fragen wichtiger als die Antworten. Wir haben den Präsidenten mit allen gegen ihn geäusserten Vorwürfen konfrontiert und konnten seine Reaktion darauf beobachten. Dass er sie bestreiten würde, war klar. Trotzdem musste er Stellung beziehen.
Ein bisschen stolz sind Sie aber schon?
Ich bin stolz auf unser Team. Es war eine grosse journalistische, logistische und technische Leistung, dass dieses Interview möglich wurde und wir haben hervorragend zusammen gearbeitet.
Hatten Sie Zeit, mit einigen Einwohnern reden? Wie geht es den Leuten in Damaskus?
Ja, es war mir wichtig vor dem Interview mit den Menschen aus Damaskus zu reden und zu spüren, wie sie zum Präsidenten stehen. In Damaskus äussert sich kaum jemand kritisch über Assad. Was man ganz deutlich spürt, ist das sie müde sind. Die Menschen sehnen sich nach Frieden und haben genug von diesem Krieg.
In Damaskus fühlen sie sich aber sicher?
Ja, einigermassen. Sie fühlen sich durch den Präsidenten geschützt und kritisieren indirekt jene Syrer, die das Land verlassen und keine Treue zur Heimat gezeigt haben.
Sie erzählen von Marktständen und Läden. Kauft da auch wirklich jemand ein?
Das habe ich mich auch gefragt. Die Leute leben natürlich am Existenzminimum. Was es in Syrien zu kaufen gibt, können sich nur wenige leisten.