57 Messerstiche in Hals, Kopf, Brustkorb, Rücken und Hände – dann waren die Eltern des damals 29-Jährigen Studenten tot. Das Drama, das sich am 11. Oktober 2014 irgendwann zwischen 11.40 Uhr und 17 Uhr in einem Mehrfamilienhaus in Zollikon abgespielt hatte, wird in der Anklageschrift detailliert beschrieben: Am Esstisch war es zwischen Eltern und Sohn zu einer hitzigen Diskussion gekommen – nicht zum ersten Mal. Anschliessend gingen der Vater und die Mutter nach draussen, um eine Zigarette zu rauchen. Als sie wieder in die Küche zurückkehrten, legte der Vater dem Sohn den Arm um den Hals und sagte zu ihm, er solle «verreisen», er wolle ihn nicht mehr sehen. Der Sohn ergriff ein Küchenmesser und stach 17 Mal auf den Vater ein. Daraufhin tötete er die Mutter mit 40 Messerstichen. Die Attacken erfolgten mit derart viel Kraft, dass die Klingen teilweise abbrachen.
Die Staatsanwaltschaft klagt den 32-Jährigen wegen mehrfachen Mordes an, der Strafantrag wird am Mittwoch bekanntgegeben. Rechtsanwalt Urs Huber ist Pflichtverteidiger des Beschuldigten. Er erklärt, weshalb er nicht gezögert hat, der Verteidigung zuzustimmen und was für ein Verhältnis er zum Angeklagten hat.
Sie sagten im Vorfeld der Verhandlung, es handle sich nicht um Mord. Liest man die Anklageschrift, so scheint es einem als Laien abwegig, anstatt auf Mord auf eine Tötung zu plädieren ...
Urs Huber: Der Vorwurf des mehrfachen Mordes ist aus meiner Sicht aus verschiedenen Gründen nicht vertretbar. Die Gründe werde ich an der Gerichtsverhandlung erläutern.
Der Angeklagte, ein 29-Jähriger Student, stach insgesamt fast 60 Mal auf seinen Vater und seine Mutter ein. Gibt es ein Motiv, das eine solche Tat im Entferntesten erklären vermag?
Es ist von einem Beziehungsdelikt auszugehen. Es gab familiäre Probleme.
Was ist zur psychischen Verfassung des Angeklagten zu sagen?
Mein Mandant weist ein spezielles Krankheitsbild auf. Das staatsanwaltlich veranlasste Gutachten über meinen Mandanten ist meiner Auffassung nach in mehreren Punkten nicht überzeugend und teilweise auch widersprüchlich. Ich werde mich mit diesem Gutachten eingehend im Rahmen meines Plädoyers auseinandersetzen.
Was für ein Strafmass werden Sie beantragen?
Dazu muss ich Sie auf den Verhandlungstag vertrösten.
Sind Sie zuversichtlich, mit Ihrer Strategie am Mittwoch durchzukommen?
Ja.
Sie sind amtlicher Verteidiger des Angeklagten. Haben Sie gezögert, das Mandat zu übernehmen?
Nein, ich habe nicht gezögert. Ich bin mitunter Strafverteidiger und übernehme auch Pflichtverteidigungen. Es gehört also zu meinem Job. Ich übernehme auch sehr heikle Fälle.
Nimmt einen ein solcher Fall als Strafverteidiger emotional nicht mit?
Was meine Person anbelangt, so muss ich diese Frage mit Nein beantworten. Ich kann gut damit umgehen. Es gibt aber sicherlich viele Anwälte und Anwältinnen, die ein solches Mandat nicht übernehmen würden. Was geschehen ist, ist sehr schlimm. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist die juristische Würdigung des Vorgefallenen.
Kann man das so klar trennen?
Solche Taten sind auch für uns Strafverteidiger und Strafverteidigerinnen sehr schlimm. Wenn man aber nicht trennen kann, dann sollte man meiner Meinung nach das Fachgebiet wechseln.
Was für ein Verhältnis haben Sie zum Angeklagten?
Wie Sie wissen, bin ich der Pflichtverteidiger des Beschuldigten. Das Verhältnis zum Beschuldigten ist ein professionelles. Es muss aber auch immer ein Vertrauensverhältnis da sein. Das Klienteninteresse steht zuoberst.
Ist es der schlimmste Fall Ihrer Laufbahn?
Ich hatte schon verschiedentlich mit Tötungsdelikten zu tun, noch nie aber mit einem solch schlimmen.
Anwalt Thomas Fingerhuth sagte nach dem Vierfachmord von Rupperswil, es sei die Aufgabe des Strafverteidigers, Empathie für den Angeklagten zu erzeugen. Stimmen Sie zu?
Ich verstehe schon, was Herr Kollege Thomas Fingerhuth damit meint. Ich sehe es so, dass wenn man ein solches Mandat übernimmt, dass man es dann auch richtig führen muss, und dazu muss man sich schon mit Haut und Haaren der Sache verschreiben, es gibt dabei keine Kompromisse. Das oberste Interesse gilt dem Mandanten. Beim Ganzen muss man aber immer auch realistisch bleiben und man muss mit der Angelegenheit respektvoll umgehen.
Und im Fall Zollikon?
Da steht ganz offensichtlich eine Geschichte dahinter.
Sie sind Pflichtverteidiger der Ausbruchs-Helferin Angela Magdici, jetzt haben Sie erneut einen öffentlichkeitswirksam Fall. Zufall?
Ja, das ist reiner Zufall.
Was sind die unterschiedlichen Herausforderungen für den Strafverteidiger in den beiden Fällen?
Die Fälle lassen sich nicht vergleichen. Beim einen Fall steht Entweichenlassen von Gefangenen im Raum, beim andern ‹Doppelmord›. Im einen wie im andern Fall müssen die Geschehnisse juristisch gewürdigt werden. Was den Fall Magdici anbelangt, so war sicher der Umgang mit den Medien auch eine Herausforderung.