Die Meldung dominierte am nächsten Tag die Zeitungen: Am 7. November vergangenen Jahres hatten Anti-Terror-Ermittler in der Schweiz und Frankreich bei koordinierten Einsätzen zehn Menschen verhaftet. Sie sollen via dem Kurzmitteilungsdienst Telegram über gewaltsame Aktionen gesprochen haben. Über deren Details wurde damals aus ermittlungstechnischen Gründen nicht informiert.
Die Schweizer Bundesanwaltschaft gab lediglich bekannt, dass sie in den Kantonen Waadt und Neuenburg Hausdurchsuchungen durchgeführt hatte. Dabei wurde eine 23-jährige Kolumbianerin verhaftet. In der Woche danach bestätigte das Zwangsmassnahmengericht den Antrag der Bundesanwaltschaft, die Frau für drei Monate in Untersuchungshaft zu setzen. Im Visier war neben der Kolumbianerin auch ihr Freund, ein 27-jähriger Schweizer. Er war gleichentags in Frankreich verhaftet worden.
Wie die Westschweizer Zeitung «24 heures» (kostenpflichtiger Artikel) heute berichtet, droht der Bundesanwaltschaft bei den Ermittlungen gegen die Kolumbianerin jetzt eine Schlappe: «Das Dossier fällt in sich zusammen», lautet der Titel des Artikels.
Die Bundesanwaltschaft hat offenbar die Freilassung der Frau beantragt. Allerdings darf sie die Schweiz nicht verlassen. Der zuständige Ermittler habe nichts Stichhaltiges finden können, schreibt das Blatt aus Lausanne. Er habe sich während der dreimonatigen U-Haft bloss zwei Mal mit der Verdächtigen getroffen: Das erste Mal am Tag der Verhaftung, das zweite Mal am Tag, als ihre geplante Freilassung bekanntgegeben wurde.
Dabei hatte die Behörde von Bundesanwalt Michael Lauber zunächst schwere Vorwürfe erhoben: Die Kolumbianerin soll gegen das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen Al-Qaida und «Islamischer Staat» verstossen haben, zitiert «24 heures» aus den Ermittlungsunterlagen. Dafür könnte sie mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden.
Die Kolumbianerin soll sich an der Seite ihres 27-jährigen Freundes radikalisiert haben. Während dem Mann vorgeworfen wird, mithilfe von Telegram-Mitteilungen Jugendliche in Frankreich zu Terroranschlägen angestiftet zu haben, besass die Frau offenbar keinen Telegram-Account. Auch in der gemeinsamen Wohnung fand die Bundespolizei offenbar weder Wafffen noch irgendwelche Hinweise, die auf eine konkrete Vorbereitung für einen Anschlag hindeuten.
Das Dossier der Bundesanwaltschaft stützte sich laut «24 heures» zu einem grossen Teil auf Abhörprotokolle. Seit Juli 2017 hatten die Ermittler Auto und Wohnung des Paares verwanzt. Die Kolumbianerin soll gemäss Protokollen unter anderem die Entgleisung eines Zuges, eine Vergiftung und Angriffe gegen einen Imam sowie einen Nachtclub in Lausanne erwähnt haben.
Wie ihr Anwalt Nicolas Bornand gegenüber «24 heures» sagt, stellten diese Aussagen aber keine Unterstützung für Terrorismus dar. Die Äusserungen «seien sporadisch und wenig konkret» erfolgt. Seine Mandantin habe nie irgendwelche Vorbereitungshandlungen für einen Anschlag vorgenommen, so Bornand. Ausserdem seien die Aussagen strikt im privaten Rahmen und nie öffentlich getätigt worden.
Der bekannte Genfer Strafrechtler Yvan Jeanneret, selber bei diesem Fall nicht involviert, kommt zur selben Einschätzung wie sein Berufskollege Nicolas Bornand: «Die Tatsache dass ich die Idee äussere, ein Verbrechen zu begehen, stellt noch kein Verbrechen dar», so Jeanneret gegenüber «24 heures».
Die Bundesanwaltschaft wollte sich gegenüber der Zeitung nicht zum Fall äussern. Nach der Verhaftung der Kolumbianerin im November 2017 teilte sie mit, dass es bei den laufenden Ermittlungen darum gehe, die Rolle und die Absichten der Beschuldigten zu klären. Die Behörden erwähnten damals keine konkreten Vorbereitungen für Gewalttaten. Die Bundesanwaltschaft betonte, dass für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung gilt. (cbe)
Mit Material der Nachrichtenagentur sda.