In den Zügen und auf den Strassen ist in der Schweiz die Hölle los – jedenfalls zwischen 6 und 9 Uhr morgens. Um diese Zeit erreicht der Pendlerstress seinen ersten Höhepunkt. Der zweite erfolgt zwischen 16 und 19 Uhr abends.
Diese sogenannten Verkehrsspitzen zu brechen, ist das prioritäre Ziel der Schweizer Verkehrspolitik. Und wann immer Bundesbern darüber diskutiert, fällt das Zauberwort «Mobility Pricing». Indem das Pendeln während der Rush Hour und auf stark befahrenen Strecken im Vergleich teurer wird, soll der Ansturm gedämpft werden, so die Idee.
Nun macht der Bundesrat ernst: In seiner gestrigen Sitzung hat er beschlossen, die Planung eines Mobility Pricing zu «vertiefen» – und zwar für die Schiene und die Strasse. In den nächsten zwei Jahren soll am Beispiel des Kantons Zug analysiert werden, wie hoch die Tarifunterschiede sein müssten, damit Verkehrsteilnehmer ihr Verhalten ändern. Zudem sollen die Auswirkungen auf die Bevölkerung, das Gewerbe und die Umwelt untersucht werden.
Die Pendler merken davon zunächst nichts: Die Berechnungen werden anhand der Verkehrsströme und weiterer bekannter Daten angestellt. Erst in einer zweiten Etappe ab 2019 sind Versuche mit freiwilligen Testkunden möglich.
GLP-Verkehrspolitiker Jürg Grossen ist froh, dass endlich Bewegung in die Debatte kommt. «Ein solcher Systemwechsel gelingt in der Schweiz nicht von heute auf morgen – umso wichtiger ist es, jetzt die Ärmel hochzukrempeln.» Nach seinem Geschmack geht der Bundesrat allerdings zu zaghaft vor: «Effizienter wäre es, das System direkt mit Probanden zu testen.» Dass die Zeit dafür reif sei, zeigten etwa erfolgreiche Versuche im US-Bundesstaat Oregon.
Kritisch ist hingegen SP-Nationalrat Jean-Christophe Schwaab. Er befürchtet, dass die Arbeitnehmer für den Systemwechsel bluten müssten. «Ein Büezer kann nicht sagen, wann er zur Arbeit erscheinen und wann er wieder nach Hause will.» Auch Eltern, die ihre Kinder von der Krippe abholen müssten, seien gezwungen, während der Stosszeiten zu pendeln. «Es ist eine krasse Ungerechtigkeit, wenn sie mehr zahlen müssen als die Banker, die später zur Arbeit können.» Zudem habe er seine Fragezeichen, was den Datenschutz betrifft.
Denn damit ein Mobility Pricing überhaupt möglich ist, muss aufgezeichnet werden, wer zu welcher Zeit und mit welchem Verkehrsmittel unterwegs ist. Auch der Bundesrat weist auf die damit verbundenen Herausforderungen hin: Nötig sei «eine Erfassungstechnik, die fehlerfrei funktioniert und vor Missbräuchen sicher ist», schreibt er.
Klar ist: Die Bevölkerung hat in der Mobility-Pricing-Frage das letzte Wort. Denn die Nutzung öffentlicher Strassen ist laut Verfassung gebührenfrei – über ein Road Pricing müsste abgestimmt werden. Selbst gegen einen blossen Pilotversuch könnte das Referendum ergriffen werden. Das Bundesamt für Strassen macht in seinem Bericht an den Bundesrat auf die Tragweite einer möglichen «nationalen Grundsatzabstimmung» aufmerksam: «Eine Ablehnung könnte zur Folge haben, dass Mobility Pricing aus der politischen Agenda verschwinden würde.»
Dass es sich um ein sensibles Thema handelt, ist offensichtlich auch dem Bundesrat bewusst. In seiner Medienmitteilung betont er, es sei nicht das Ziel, unter dem Strich mehr Geld einzunehmen. Es gehe lediglich darum, Kapazitätsprobleme zu lösen. «Für Mobilität soll nicht mehr, sondern anders bezahlt werden.»
Für Jean-Christophe Schwaab ist das ein schwacher Trost: «Ich bezweifle, dass sich die Bürger jemals auf einen solchen Deal einlassen werden.» Befürworter Jürg Grossen dagegen glaubt, dass ein Mobility Pricing in der Bevölkerung dereinst auf Akzeptanz stossen wird, wenn es sorgfältig ausgestaltet ist und neben einer Entlastung der Strassen auch mehr Komfort verspricht: «Das Zugfahren würde etwa bequemer, wenn keine Tickets mehr gelöst werden müssten. Und beim Autofahren fiele das mühsame Anbringen und Abkratzen der Vignette weg.»