Schweiz
Kommentar

Adieu, Perron-Zigi: Plädoyer einer Süchtigen

Uma Thurman mit Zigarette.  
Uma Thurman mit Zigarette.  bild: reddit
Kommentar

Adieu, Perron-Zigi: Plädoyer einer Süchtigen

Wir alle wissen: Rauchen ist ungesund. Dennoch haben qualmende Menschen die totale Ausgrenzung nicht verdient. (Gopfertammi)
04.11.2017, 15:0805.11.2017, 06:52
Mehr «Schweiz»

Es gehört sich nicht, das Rauchen zu verteidigen. Es ist ja schliesslich ungesund und darum hochgradig dumm und gefährlich. Ich wage es trotzdem. 

«Sicherheit und Gesundheit» steht auf der Flagge, unter der unsere Gesellschaft segelt. Der Tierarzt empfiehlt mir eine Versicherung für meine Katze. Und die SBB verbietet mir wahrscheinlich bald, auf dem Perron zu rauchen. Was für eine Welt. Den Menschen darin muss es gut gehen.

Und ja, es geht uns gut, sehr sogar, und so stehen wir da, in dieser schwindelnden Lebensstandard-Höhe und lesen nicht mehr das Schild: «Springen auf eigene Gefahr». Diese Zeiten sind vorbei. Wir stehen jetzt vor einer Mauer, die so hoch ist, dass niemand mehr darüber klettern kann, auch nicht auf eigene Gefahr. 

Eine qualmende Rita Hayworth.bild: pinterest

Papa Staat hat die Mauer befohlen. Und seine Schwestern und Halbbrüder haben sie da hingebaut. Sie alle beschützen uns vor uns selbst. Denn wir sind wieder selbstverschuldet unmündig geworden. Es ist ja nicht so, dass ein perücketragender Mann den Menschen vor rund zweihundert Jahren schon einmal vorschlug, sich ohne Leitung eines anderen des eigenen Verstandes zu bedienen.

Wenn der Staat weniger für uns überlegt, heisst das natürlich nicht, dass die Bürger gescheite Entscheidungen treffen. Es heisst aber, dass wir sie selbstständig treffen. Die Frage, die wir noch beantworten dürfen, ist lediglich: Welches Stück meiner Freiheit bin ich bereit zu opfern für das Gefühl von Sicherheit? 

Sicherheit ist eine Illusion. Oder habt ihr das Gefühl, wir seien unsterblich?
This is a 81-filer of famous Swiss Novelist Max Frisch, who will turn 75 on May 15. 1986. Among many other prices, he was awarded the neustadt International Prize for Literature of the University of O ...
Alles frisch bei Frisch. Er durfte ja auch noch überall rauchen. In seinem Fall gibt es allerdings auch ein triftiges Gegenargument: Seine Freundin Ingeborg Bachmann, die mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen ist. Bild: AP

Muss man Raucher wirklich gesetzesmässig vom Perron verscheuchen? Ich will wieder auf eigene Gefahr rauchen dürfen. 

«Halt!», erwidert der Gesundheitsbewusste, «du gefährdest damit ja auch dein Umfeld!»

Kurze Zwischenfrage:

Warum verwendet ihr in diesem Kontext eigentlich immer dieses unsäglich blöde Wort «Umfeld»?

Schade ich meinem «Umfeld» wirklich?

Ich rauche nicht in Zügen und auch nicht in Restaurants, Bars oder Clubs. Nicht mal in Flugzeugen. Also in keinen Räumen, wo sich Menschen längere Zeit dicht nebeneinander aufhalten. Ausser in Österreich. Der letzten Bastion deutschsprechender Menschen, die destruktiv genug ist, auf diesen garstigen Gesundheitswahn zu pfeifen. 

Sonst rauche ich nur draussen. Und auf dem Perron zünde ich mir die Zigarette direkt neben dem Aschenbecher an. Zieht meinetwegen noch einen roten Sterbestrich drum herum. Verbietet uns, ausserhalb einer solchen Schandecke zu paffen. Gebt uns meinetwegen ein Glöcklein, wie es im Mittelalter die Leprösen bekommen haben: «Fliehet stracks, ich komme!»

Angelina Jolie mit leger heraushängender Zigi.Bild: stars-in-black-and-white

Aber wehe, ihr verdrängt uns ganz. Oder sind wir tatsächlich die schleichenden Todesbringer, die die totale Ausgrenzung verdient haben? Gehen wir umher und hauchen Schwangeren unsere Nikotinwolken ins Gesicht? 

Raucher sind sich bewusst, dass sie nichts Intelligentes machen. Doch sie haben sich nun mal entschieden, sich einer Risikogruppe anzuschliessen. 

Hört auf, Leute retten zu wollen, die nicht gerettet werden wollen.

Churchill hat einmal gesagt: «Ein leidenschaftlicher Raucher, der immer wieder von der Gefahr des Rauchens für seine Gesundheit liest, hört in den meisten Fällen auf – zu lesen.»

Wichtige Entscheidungen treffen UND dazu rauchen: Winston Churchill.Bild: AP

Weise, wie der Mann nun mal war, hat er erkannt, dass sich Raucher nicht belehren lassen. Weder mit Warnungen noch mit Verboten. Wir schloten uns einfach darüber hinweg. Und wenn wir genug an unseren stinkenden Zigaretten, Pfeifen und Brissagos gezogen haben, dann hören wir wieder damit auf.

Ganz selbstständig. 

Für die Raucher: Sollten die Raucher von den Perrons verbannt werden?
Für die Nichtraucher: Sollten die Raucher von den Perrons verbannt werden?

Immerhin hab ich schon mit den Energy Drinks aufgehört. Also leave me alone!

Als Rauchen noch als vornehm galt ...

1 / 31
Als Rauchen noch als vornehm galt
John Lennon 1969 in Toronto, Kanada. Es weht damals noch ein anderer Wind um rauchende Promis. Niemand stört sich gross daran, dass die Stars paffen – für die Nachteile des Tabakkonsums gibt es nicht so ein Bewusstsein wie heute.
quelle: zuma dukas dukas / ?? 2005 by jeff goode/toronto star
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Weed statt Jesus. Nonnen bauen ihr eigenes Cannabis an

Video: srf
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
134 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Loeffel
04.11.2017 16:05registriert Oktober 2016
"Es gehört sich nicht, das Rauchen zu verteidigen. Es ist ja schliesslich ungesund..." 🤔 hmmm, liebe Anna, ihr Raucher vergesst immer, dass uns Nichtraucher das ziemlich egal ist. Wir finden es ganz einfach gruuuuuuuuuusig. Raucher stinken (oft) unangenehm und Perrons sowie Trottoirs werden mit abgelutschten Stinkstümmel zu Hunderten überseht. Zigi a Bode schmeisse isch für viel Raucher immer no s'normalschte vo dere Welt!!
359137
Melden
Zum Kommentar
avatar
Nausicaä
04.11.2017 16:52registriert Juli 2016
Mich dünkt, wir Schweizer werden immer asozialer. Ich habe auch gerne Ordnung und bin dafür, dass alle ihren Dreck in die entsprechende Tonne schmeissen. Aber lassen wir doch die Raucher auf den Perrons weiterrauchen. Wir müssen uns ja nicht neben sie stellen.

Und übrigens JEDER von uns nervt mit irgendwas die anderen: Die einen mit Körpergeruch, die anderen mit stinkendem Essen im Zug oder mit Drängeln oder sonstigem blöden Getue. Wir Nichtraucher sollten also tolerant sein und nicht schäbigerweise auf einer Minderheit rumhacken, wir sind mit Sicherheit auch alles andere als perfekt.
20973
Melden
Zum Kommentar
avatar
alingher
04.11.2017 16:11registriert August 2014
So ähnlich hatte ich auch argumentiert, bevor ich vor ca. 12 Jahren mit dem Rauchen aufgehört habe. Damals schwafelte ich auch was von persönlicher Freiheit, Spiessbürgertum, Versicherungsmentalität u.ä...
Heute fällt es mir nur noch schwer zu glauben, dass eine krebsverursachende und abhängigmachende Nikotinquelle überhaupt noch frei verkäuflich ist. Man stelle sich vor, jemand würde sich heute um ein Zulassung dafür bewerben.
Rauchen ist eine Ersatzfreiheit für Leute die es nicht schaffen sich wirkliche Freiheit zu schaffen, zu Lasten der Allgemenheit die in Krankenkassenprämien versinkt.
236141
Melden
Zum Kommentar
134
Hilfe für Schlachtbetriebe bei Schweinepest-Massnahmen gefordert

Schlachthöfe und andere Betriebe der Fleischindustrie sollen eine Entschädigung erhalten, falls sie wegen der Afrikanischen Schweinepest vorübergehend schliessen müssen oder finanzielle Einbussen erleiden. Der Nationalrat hat eine Motion mit dieser Forderung angenommen.

Zur Story