Sag das doch deinen Freunden!
Die Linke hat es wieder versucht. Und sie ist gescheitert, wie immer, wenn sie per Volksinitiative eine Stärkung des Sozialstaats und mehr Umverteilung durchsetzen will. Mindestlohn, 1:12-Initiative, Erbschaftssteuer – stets resultierte ein klares Nein. Jetzt hat es die Volksinitiative «AHVplus» erwischt. Auch beim populärsten aller Sozialwerke will das Stimmvolk keine Experimente.
Die lineare Rentenerhöhung um zehn Prozent war vordergründig erfolgversprechend, insbesondere weil sich die Warnungen der Bürgerlichen vor hohen Defiziten bei der AHV bislang als Schwarzmalerei entpuppt haben. Das Nein ist trotzdem logisch, denn die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge gehen nun in Pension. Dies droht das System in Schieflage zu bringen.
Die Befürchtungen der jüngeren Generationen, dass sie mehr in die AHV einzahlen und weniger beziehen werden als die heutigen Rentner, sind nicht unbegründet. Wie aber reagierten die Initianten? Sie beschuldigten die Medien (unter anderem watson), einen «Generationenkrieg» zu schüren. Konkrete Antworten auf die Ängste der Jungen gab es nicht.
Mit dem Nein ist auch der Weg frei für die Debatte im Nationalrat über die Altersvorsorge 2020. Fast die ganze dritte Woche der Herbstsession ist diesem Reformbrocken gewidmet. In der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) hat die bürgerliche Mehrheit umstrittene Entscheide durchgedrückt: Sie spricht sich für einen Mechanismus aus, mit dem das Rentenalter automatisch auf 67 Jahre erhöht wird, wenn die AHV in finanzielle Schieflage gerät. Und sie will den Umwandlungssatz bei der beruflichen Vorsorge ohne Kompensation senken.
Das Nein zu «AHVplus» könnten die Bürgerlichen als Freipass verstehen, diesen harten Kurs durchzupeitschen. Sie sollten sich hüten. Das Stimmvolk will keine höheren Renten, es ist aber auch nicht zu Abstrichen bereit. Ein erster Anlauf zur Senkung des Umwandlungssatzes erlitt 2010 an der Urne ein veritables Debakel. Ausserdem zeigen Umfragen, dass Rentenalter 67 chancenlos ist, insbesondere bei Anhängern der Linken und der SVP.
Im bürgerlichen Lager verstehen viele die Welt nicht mehr. Warum lehnt das Stimmvolk brav und zuverlässig neue soziale Wohltaten ab, während es bei der Altersvorsorge bockt? Der Basler Arbeitsmarkt-Ökonom George Sheldon zeigte sich im Interview mit der «Berner Zeitung» ratlos. Der Widerstand gegen ein höheres Rentenalter passe nicht in sein Bild der Schweiz, die etwa freiwillig auf mehr Ferien verzichte: «Beim Rentenalter hingegen werden die Schweizer irgendwie irrational.»
Sheldon irrt. Das Stimmvolk verhält sich sehr rational. Gerade WEIL es die linken Initiativen zuverlässig abschmettert, will es keine Abstriche bei den bestehenden Sozialleistungen, speziell bei den Renten. Es ist gegen sechs Wochen Ferien und ein bedingungsloses Grundeinkommen, erwartet aber im Gegenzug ein komfortables Pensionärsdasein ohne Abstriche.
Verstärkt wird diese Befindlichkeit durch die Angst vor Arbeitslosigkeit im Alter. Wer fürchtet, mit 50+ den Job zu verlieren und auf dem Abstellgleis zu landen, dem kann Rentenalter 67 gestohlen bleiben. Studien zeigen zudem, dass die Identifikation mit dem Arbeitsplatz abnimmt. Viele Arbeitnehmer fühlen sich ausgepowert. Häufig werden sie mehr oder weniger freiwillig frühpensioniert – auch kein Argument für «67».
Die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft unterschätzen solche Befindlichkeiten sträflich. Sie verweisen etwa auf Statistiken, wonach die Arbeitslosigkeit bei den über 50-Jährigen tiefer ist als bei den Jungen. Tatsächlich mag hier eine gewisse Irrationalität mitschwingen. Doch so lange diese Gefühlslage besteht, werden alle Reformen chancenlos sein, die auf eine Verschlechterung des Status Quo bei der Altersvorsorge abzielen. Die mehr als 40 Prozent Ja für «AHVplus» sind ein Fingerzeig in diese Richtung.
Die Bürgerlichen müssen sich dies vor Augen halten, wenn sie im Nationalrat über die Reform debattieren. Nur ein vernünftiger Kompromiss hat Chancen in einer allfälligen Abstimmung. Sonst droht ein Scheitern bereits im Parlament und damit der totale Scherbenhaufen. Der Ständerat hat eine Vorlage geliefert, hinter der auch die Linke steht. Sie verzichtet auf Rentenalter 67 und will die Senkung des Umwandlungssatzes mit einem AHV-Zuschlag von 70 Franken kompensieren.
Eine (massvolle!) Erhöhung der AHV ist der richtige Weg, darauf verweisen auch Ökonomen. Puristen monieren, dass eine Vermischung von erster und zweiter Säule nicht in Frage komme. Doch ideologische Reinheit kann man sich bei diesem Geschäft nicht leisten. Seit mehr als 20 Jahren sind alle Reformanläufe bei der Altersvorsorge gescheitert. Eine Fortsetzung dieser unrühmlichen Serie wäre ein Armutszeugnis für die Schweiz.
Wie kommen Sie denn darauf? Die AHV hat hohe Defizite!
Im 2015 hat die AHV ein MINUS von mehr als einer halben Milliarde Franken gemacht. Trotz Zustupf aus Mehrwertsteuer, Spielbanken und Zustupf vom Bund. Ohne diese wäre das Loch sogar bei über 11 Milliarden Franken in einem einzigen Jahr gewesen! Oder finden Sie das etwa nicht hoch?
Ihre sätze, dass die bürgerlichen nach dieser Abstimmung die Finger vom Rentenalter 67 lassen werden, finde ich wunderbar zuversichtlich.
Leider befürchte ich, dass der ahv Abbau nun mit voller Energie weitergetrieben wird. Alles was links der fdp ist wird den allmachtsphantasien der bürgerlichen zum Opfer fallen. Sozialstaat und sozialer Friede, adios.
ich hoffe sehr, ihre Prognose trifft ein und nicht meine.