Der Ständerat debattierte am Donnerstag über die gesetzliche Grundlage für die Überwachung von IV-Rentnern. 2016 rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Praxis der Schweiz. Denn für die heimliche Überwachung von vermeintlichen Betrügern gibt es bisher keine rechtlichen Grundlagen. Dennoch wurden immer wieder Fälle publik, bei denen Detektive Versicherungsbetrüger mittels Observation überführten.
Der Ständerat stimmte dem Vorschlag des Bundesrates mit 29 zu 13 Stimmen zu. Diese enthält eine Ergänzung, die von FDP-Ständerat Andrea Caroni angestossen wurde. In einem Einzelantrag forderte er, dass beim Einsatz von GPS-Geräten eine Richterin oder ein Richter über die Genehmigung der Observation entscheidet. Damit anerkennt der Ständerat das wahre Problem dieser heiklen Gesetzesvorlage.
Denn es ist nicht die Überwachung selbst, die problematisch ist. Versicherungen brauchen Mittel, um Betrüger zu überführen. Dieser Meinung sind auch der Behinderten-Verband Inclusion Handicap sowie viele Staatsrechtler. Zwischen einem Versicherten und seiner Versicherung besteht ein rechtlicher Vertrag. Diese Vertragsbeziehung muss und soll nach Treu und Glauben eingehalten werden.
Der springende Punkt liegt woanders: Bei der Eigenregie der Sozialversicherungen. Denn im Vorschlag des Bundesrates stand ursprünglich: Für die Anordnung der Observation ist die Geschäftsleitung des Versicherungsträgers zuständig. Das ist brandgefährlich. Wer heimlich Ton- und Bildaufnahmen einer Person macht, greift in ein menschliches Grundrecht, den Schutz der Persönlichkeit, ein.
Wenn ein Sozialdetektiv heimlich Bild- und Tonaufnahmen einer Person macht oder sie mit einem Peilsender überwacht, greift er nicht nur in die Sozialsphäre dieser Person ein, sondern berührt bereits ihre Privatsphäre. Hier zu unterscheiden ist wichtig. Das Persönlichkeitsrecht lässt sich in drei Bereiche aufteilen: Die Sozialsphäre, die Privatsphäre und die Intimsphäre. Die Sozialsphäre umfasst alles, was sich in der Öffentlichkeit abspielt – das Berufs- oder Vereinsleben beispielsweise. Die Privatsphäre eines Menschen ist bereits enger gefasst. Alles was sich jenseits der Öffentlichkeit abspielt, beispielsweise zu Hause stattfindet, ist privat.
Weil dieser Eingriff in die enger gefasste Privatsphäre besonders heikel ist, braucht es einen verstärkten Schutz für den Bürger. Observiert werden darf nur dann, wenn ein schwerer Verdacht vorliegt. Überwachungen dürfen zudem nur als letztes Mittel angewendet werden, um Betrüger ausfindig zu machen.
Das Schweizer Volk hat im Herbst 2016 über einen ähnlichen Fall abgestimmt: Das Nachrichtendienstgesetz (NDG). Auch hier ging es mitunter um die Überwachung von Bürgern. Mittels Kabelaufklärung – die Auswertung des Datenaustausches im Internet – können verdächtige Personen überwacht werden. Das Schweizer Stimmvolk nahm das Gesetz mit 65,5 Prozent Ja-Stimmen an.
Die Hürde für eine Überwachung ist aber hoch. Denn auch für die Kabelaufklärung braucht es eine Genehmigung eines Einzelrichters im Bundesverwaltungsgericht und vom Verteidigungsminister, der wiederum noch seine Kollegen im Aussen- und Justizdepartement konsultieren muss. So steht es im Gesetz (Artikel 39 ff. NDG).
Ähnlich sieht es auch die Strafprozessordnung. Ein Kapitel behandelt den Tatbestand der geheimen Überwachung. Die Staatsanwaltschaft darf den Post- und Fernmeldeverkehr einer Person überwachen, wenn sie verdächtigt wird, eine Straftat begangen zu haben. Aber auch diese Observation muss zuerst mit einer richterlichen Genehmigung bewilligt werden.
Folglich braucht es auch klare Grenzen bei der Überwachung von Versicherungsbetrügern. Dies bestätigte auch der Ständerat mit der Befürwortung des Einzel-Antrags von Andrea Caroni. Ein Richter soll entscheiden, ob eine Überwachung mit GPS-Gerät nötig ist, oder nicht.
Einen Makel hat der Antrag jedoch: Die richterliche Genehmigung bezieht sich nur auf die Überwachung mit Peilsendern. Ton- und Bildaufnahmen sollen weiterhin von der Geschäftsleitung des Versicherungsträgers genehmigt werden. Ein fataler Fehler. Denn auch heimliche Ton- und Bildaufnahmen greifen erheblich in die Privatsphäre einer Person ein und sollten von einer unabhängigen Stelle genehmigt werden. Es liegt nun am Nationalrat, diesen Makel auszubessern.