Schweiz
Kommentar

Die Empörung über öffentliches Schlachten zeigt: Wir sind feige Säue

Freilandschweine auf einem Feld bei Scherz, Aargau, am Donnerstag, 1. Oktober 2015. (KEYSTONE/Walter Bieri)
Knapp drei Millionen Schweine werden in der Schweiz jährlich geschlachtet.Bild: KEYSTONE
Kommentar

Die Empörung über öffentliches Schlachten zeigt: Wir sind feige Säue

Die Kontroverse um eine geplante Metzgete in Sissach BL treibt immer seltsamere Blüten. Dass hinter den Mauern der Schlachthöfe im Akkord geschlachtet wird, scheint dabei zweitrangig zu sein.
26.10.2017, 18:5627.10.2017, 07:14
Mehr «Schweiz»

Man könnte den Eindruck gewinnen, im Norden der Schweiz bahne sich etwas Ungeheuerliches an. In den sozialen Medien tobt ein Shitstorm. Eine Bewohnerin ruft die Justiz an, um das Geplante in letzter Sekunde zu verhindern. Und ein Pfarrer will sich selbst auspeitschen, um gegen die «entwürdigende Veranstaltung» zu protestieren. Anlass ist nicht etwa ein satanistisches Kultritual. Nein: In der Baselbieter Gemeinde Sissach sollen am Samstag zwei Schweine geschlachtet werden.

Ihnen blüht damit dasselbe Schicksal wie über 2’750’000 anderen Schweizer Schweinen dieses Jahr auch. Oder rund 7500 am Tag, Wochenenden und Feiertage inklusive. Andere Tierarten exklusive. Nur, dass die Säue für einmal nicht hinter den dicken Mauern der Schlachthöfe sterben, sondern in der Öffentlichkeit. Bolzenschuss, Kehlenschnitt, Ausweidung, Verarbeitung zur Wurst: Alles soll vor den Augen des Publikums geschehen, jeder Schritt von Fachleuten begleitet und erklärt.

Noch nie war Fleisch für die breite Masse erschwinglicher als heute, und noch nie war das Töten der Tiere gleichzeitig so weit weg.

Als Metzgermeister Rolf Häring die Absicht formulierte, der Bevölkerung «das traditionelle Handwerk der Hausmetzgete» wieder näher zu bringen, ahnte er wohl nicht, was er damit auslösen würde. Der Schweizer Tierschutz prangerte die «Show-Metzgete» an. Sorgen um Kinder und betreffend Hygiene wurden geäussert. Und der eingangs erwähnte Dorfpfarrer kritisierte, die «Belustigung der Bevölkerung» sei grausam und gehöre ins letzte Jahrhundert.

Das ist, mit Verlaub, Schwachsinn. Noch nie war Fleisch für die breite Masse erschwinglicher als heute, und noch nie war das Töten der Tiere gleichzeitig so weit weg. Noch nie war die Diskrepanz grösser zwischen jenen, die im Discounter zum vakuumierten Drei-Franken-Steak greifen und jenen, die die Nutztierhaltung am liebsten abgeschafft sähen. Ein Realitätsabgleich, wie ihn der Metzgermeister von Sissach plant, kommt da wie gerufen.

Wie viel bequemer ist es, einfach in den Chor der Empörten einzustimmen, wenn der nächste Fleischskandal ans Licht kommt!

Es spielt dabei keine Rolle, ob man aus der Warte des Veganers oder des leidenschaftlichen Fleischliebhabers argumentiert. Die Tabuisierung eines Vorgangs, der sich in der Schweiz täglich 7500 Mal abspielt, ist feige und kontraproduktiv.

Feige, weil so eine ehrliche Debatte abgewürgt wird. Wer in Hysterie verfällt beim Gedanken, dass Kinder mit dem Tod eines Nutztiers konfrontiert werden, wer aus Angst vor Keimen bereits nach dem Mundschutz greift, wer schrill die Missachtung der Tierwürde beklagt, verleugnet, was hinter den Mauern der Schlachthöfe im Akkord geschieht. Wie viel bequemer ist es, einfach in den Chor der Empörten einzustimmen, wenn der nächste Fleischskandal ans Licht kommt!

Kontraproduktiv, weil nicht einmal der Versuch unternommen wird, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Die Tierschützer können sich auf die Schulter klopfen, weil sie sich für die Würde der Schweine stark gemacht haben. Und Fans von Billig-Fleisch müssen den automatisierten Griff zum Drei-Franken-Steak auch künftig nicht überdenken. Die Bubble bleibt intakt.

Eltern dürfen ihre Kinder auf das Gelände mitnehmen. Die Organisatoren rufen sie aber dazu auf, sich den Besuch «gut zu überlegen».

Die wirklich unbequemen Fragen bleiben unangetastet: Mundet mir die Wurst auch noch, wenn ich das Schwein vor seinem Tod quieken gehört habe? Oder ist dies gerade die Voraussetzung dafür, dass ich sie mit gutem Gewissen geniessen kann? Ist es in Ordnung, dass ich Fleisch aus ausländischer Billigproduktion kaufe, wenn ich schon eine Schlachtung nach Schweizer Tierschutz-Standards kaum ertrage? Oder: Gehört der Fleischkonsum zum zivilisierten Menschen und die Hausmetzgete als Tradition bewahrt?

Am Samstag wird übrigens niemand zufällig Zeuge eines blutigen Spektakels. Die beiden Schweine werden auf einem Privatareal in einem Zelt getötet. Eltern dürfen ihre Kinder auf das Gelände mitnehmen. Die Organisatoren rufen sie aber dazu auf, sich den Besuch «gut zu überlegen».

Was hältst du von der öffentlichen Schlachtung?

Fleisch wird jetzt im Labor gezüchtet

Video: srf
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
94 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Thadic
26.10.2017 19:14registriert Mai 2016
Als Fleischesser der seinen Konsum weiter senken möchte, bin ich dafür dass noch viel mehr öffentlich geschlachtet wird. Ich bin überzeugt ich würde dann weniger und bewusster Fleisch essen. Das mag nun ein wenig prinzipienlos, aber es ist nun mal so. Aus den Augen dem Sinn!
48811
Melden
Zum Kommentar
avatar
flausch
26.10.2017 19:13registriert Februar 2017
Das Ehrlichste das bisher zu dieser Kontroverse kundgetan wurde. Absolut auf den Punkt gebracht!
Auf jedenfall hats ja geklappt mit der Show(metzgete), rundherum tobt Doppelmoral und Verlogenheit und den tatsachen werden kein Platz mehr eingeräumt.
4001
Melden
Zum Kommentar
avatar
cabro
26.10.2017 20:13registriert Januar 2014
Letztes Jahr kam ich mit einem Wirt ins Gespräch, der auch als Bauer und Metzger arbeitet. Das Wohl seiner Tiere liegt ihm sehr am Herzen, daher schlachtet er sie selber. So bleiben ihnen lange Transportwege und Stress im Schlachthof erspart. SRF drehte eine Doku über diesen speziellen Menschen, seine Tierliebe und filmte das Schlachten. Die Doku wurde nie ausgestrahlt, weil angebl. die Ethikkommission von SRF heftige Reaktionen des Publikums befürchtete. Der Schritt vom lebendigen Tier zum Fleisch ist tatsächlich eines der letzten Tabus. Es ist verlogen, jene zu kritisieren, die daran rühren.
1182
Melden
Zum Kommentar
94
Netflix erhöht die Preise in der Schweiz – und zwar nicht nur «es bitzli»
Netflix feiert in der Schweiz sein 10-jähriges Bestehen. Um diesen Erfolg zu feiern, hat der Streaming-Gigant beschlossen, die Preise für seine drei Abonnements massiv zu erhöhen: bis zu 12 Prozent, und um 8 Prozent für das billigste.

Das teuerste Netflix-Abo ist nicht teuer genug: Der Marktführer und bereits teuerste Streaming-Anbieter der Schweiz erhöht erneut seine Preise – um bis zu 12 Prozent, wie der Online-Vergleichsdienst Moneyland.ch am Mittwoch berichtete.

Zur Story