Sag das doch deinen Freunden!
Ich kann mich gut an jene Nacht im Jahr 2008 erinnern, als ich während den Semesterferien mit einem guten Freund das «Pulse» in Orlando besuchte. Ich war 24 Jahre alt und hatte nur eines im Kopf: Tanzen, Feiern, eine gute Zeit haben und Gleichgesinnte kennenlernen.
Gab es etwas Aussergewöhnliches am «Pulse»? Nein. Der Club war genauso aussergewöhnlich wie alle anderen Schwulenclubs auf dieser Welt.
Seit Jahrzehnten bieten diese Clubs Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transmenschen (LGBT) einen geschützten Ort, um sich zu treffen, zu feiern, aber auch um sich zu organisieren, sich zu vernetzen und Kraft zu tanken für eine Gesellschaft, in der die eigene Vorstellung von Liebe und Identität kein Platz zu finden scheint.
Es war auch eine Schwulenbar, die 1969 in New York City zur Geburtsstätte der Freiheitsbewegung von LGBT-Menschen wurde. Es läuft mir kalt den Rücken herunter, wenn ich daran denke, dass sich der Schütze Omar Mateen ausgerechnet einen solchen Ort der Geborgenheit im Herzen der Community als Zielscheibe für seinen Hass ausgesucht hat.
Dieser Club hätte genau so gut in New York, in London oder Berlin sein können. Er hätte auch das Kasernenareal in Zürich sein können, wo wir just am Tag vor der Tat im Rahmen des Zurich Pride Festivals für Gleichstellung demonstriert und unseren Zusammenhalt gefeiert haben.
Das Massaker von Orlando ist schockierend, doch überraschend ist es im Nachhinein nicht. Nach den Angriffen auf die freie Presse (Charlie Hebdo) und die Ausgehkultur (Bataclan) war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Extremist die LGBT-Community ins Visier nehmen würde, vereint sie doch alle Feindbilder einer fanatisch ausgelegten Weltanschauung: sexuelle Freiheit, Selbstbestimmung, das Hinterfragen von Konventionen und das Aufbrechen von Geschlechterrollen.
Doch Orlando ist nicht ganz mit Charlie Hebdo und Bataclan vergleichbar. Die Berichterstattung war zwar intensiv und die Solidarität in der Bevölkerung gross, doch in den Kommentarspalten waren auch homophobe Äusserungen zu lesen. Worte, die den Täter rühmten oder ihm gar Dank dafür aussprachen, dass er «kranke Menschen» ausgelöscht habe.
Dass viele solidarische Kommentare auf einer Schweizer Medienplattform mit einem «Daumen runter» versehen wurden, ist dagegen fast harmlos, spricht aber eine klare Sprache, wenn es um die Stellung von LGBT-Menschen in der Gesellschaft geht: Unsere Community hat noch einen weiten Weg vor sich, bis sie auch in unseren Breitengraden vollständig akzeptiert ist. Daran hat auch ein Omar Mateen nichts geändert.
Omar Mateen ist es jedoch gelungen, die LGBT-Community der westlichen Welt in den Terror und in den Tod zu reissen. Dass im Nahen Osten Männer aufgrund ihrer Sexualität von Dächern geworfen werden, ist nicht neu. Es ist aber das erste Mal, dass in einem Land, in dem sexuelle Minderheiten relativ grosse Freiheiten geniessen, unter solchen Umständen kaltblütig exekutiert wurden.
Spätestens jetzt sollte uns klar sein, dass auch wir, die LGBT-Community, eine Zielscheibe für Extremisten jeglicher Art sind. Ob und in welchem Ausmass die Gräueltat von Orlando eine Auswirkung auf die LGBT-Community in der Schweiz hat, kann ich an dieser Stelle nicht sagen. Genau so wenig wissen wir, wann in Europa der nächste Fanatiker zuschlagen und unschuldige Leben fordern wird.
Ich habe aber grosses Vertrauen in die Schweizer Behörden und in unser Zusammenleben in der Schweiz. Überhaupt ist unser Land für Schwule und Lesben immer noch eines der sichersten Länder der Welt.
Das schreckliche Attentat von Orlando ist ein Weckruf. Es gilt, konservative und vor allem fanatische Stimmen ernst zu nehmen, entsprechend zu evaluieren und dagegen zu mobilisieren. Es wäre also falsch, uns aus Angst in unseren Wohnungen zu verkriechen. Genauso falsch wäre es, uns in unsere Clubs zurückzuziehen zum Schutz vor Ablehnung und Diskriminierung. Es kann nicht sein, dass wir uns nur unter unseresgleichen sicher und geborgen fühlen.
Wir wollen uns auf den Strassen, im öffentlichen Verkehr und auch in heterosexuellen Clubs genauso wohl und willkommen fühlen wie der Rest der Gesellschaft auch.
Wie schaffen wir das?
Indem wir mit einer Selbstverständlichkeit am Arbeitsplatz von unserem Wochenende mit dem Partner oder der Partnerin erzählen. Indem wir unsere Eltern, Freunde, Berufskollegen und Verwandte in unsere Leben miteinbeziehen. Je sichtbarer wir sind, je mehr wir unser Umfeld an unserem Leben teilhaben lassen, desto mehr können wir unsere Gleichstellung innerhalb der Gesellschaft vorantreiben.
Fanatiker bekämpfen uns mit purem Hass. Begegnen wir ihnen als vereinte Vertreterinnen und Vertreter einer freien Gesellschaft.