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Freysingers Flop widerlegt Klischees über das Wallis

Christophe Darbellay (PDC), a gauche, et le Conseiller d'Etat, Oskar Freysinger de la formation "Ensemble a droite", candidats, lors des elections au Conseil d'Etat valaisan ce dim ...
Freude und Frust: Christophe Darbellay und Oskar Freysinger am Sonntag in Sitten.Bild: KEYSTONE
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Das Wallis liegt hinter den sieben Bergen – aber nicht hinter dem Mond

CVP-Kandidat Christophe Darbellay zeugt ein uneheliches Kind und liegt trotzdem vorne. Linke und Grüne sind im Hoch, dafür bangt SVP-Provokateur Oskar Freysinger um seinen Sitz: Die vermeintlich rückständigen Walliser verblüffen die «Üsserschwiiiz».
06.03.2017, 17:1007.03.2017, 08:12
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Die Zeiten ändern sich. Im März 2013 zog Oskar Freysinger triumphal in die Walliser Kantonsregierung ein. Der SVP-Provokateur erreichte im ersten und zweiten Wahlgang das mit Abstand beste Ergebnis aller Kandidierenden und festigte für viele Auswärtige das Image der Walliser als reaktionärer Menschenschlag, dem Recht und Regeln egal sind.

Am Sonntag zeigte sich ein ganz anderes Bild: Statt sich in den Strassen von Sitten feiern zu lassen, musste der sichtlich niedergeschlagene Freysinger seine Schlappe erklären. Im ersten Wahlgang landete er nur auf Platz sechs, womit er abgewählt wäre. Verloren ist nichts, wegen des speziellen Walliser Systems ist noch niemand durch. Aber sein Sitz wackelt bedenklich.

Freysinger kommentiert seinen Wahlflop.Video: YouTube/rro Oberwallis

Angesichts der drohenden Niederlage zeigte sich der «Pissoir-Poet» von seiner wehleidigen Seite. «Der Hass war unglaublich gross», kommentierte Freysinger die von seinen Gegnern geführte Kampagne. Dies allerdings hat er sich selber zuzuschreiben, mit seiner umstrittenen Amtsführung als kantonaler Erziehungsdirektor und nicht zuletzt mit dem eigenen, aggressiven Wahlkampf.

Von wegen Glanzresultat

In der «Üsserschwiiz», wie die (Ober-)Walliser den Rest des Landes bezeichnen, reiben sich dennoch viele die Augen. In den medialen Vorschauen galt Freysingers Wiederwahl als Formsache. Den Vogel abgeschossen hat die «NZZ am Sonntag» mit der Behauptung, die Walliser würden den SVP-Staatsrat trotz seiner Affären «mit einem Glanzresultat» bestätigen.

Solche Einschätzungen sind ein Abbild der Vorurteile gegenüber einem Menschenschlag, der hinter den sieben Bergen lebt und einen Dialekt spricht, den man in seiner reinen Form (nicht in der verwässerten von Rainer Maria Salzgeber) kaum versteht. Die Walliser gelten als dickschädelige Eigenbrötler. Beispiele gibt es genügend, neben Freysinger etwa Sepp Blatter, Pascal Couchepin oder Christian Constantin.

Kirche nicht mehr allmächtig

Im Wallis werden Wölfe und andere geschützte Tiere abgeknallt, Bergbahnen und sonstige Bauten ohne Bewilligung in die Landschaft gepflanzt oder bizarre Affären wie jene um den Weinhändler Dominique Giroud kultiviert. Leukerbad wurde als erste Schweizer Gemeinde unter Zwangsverwaltung gestellt, weil die Dorfoberen Prunkbauten errichtet, die dadurch entstandene massive Verschuldung vertuscht und in die eigene Tasche gewirtschaftet hatten.

L'ancien president du Grand Conseil Nicolas Voide (PDC) pose dans son cabinet de Martigny, ce mardi, 3 janvier 2017, a Martingny. Il figurera sur une liste commune avec les UDC Oskar Freysinger e ...
Die «wilde» Kandidatur von Nicolas Voide war ein Fehlschlag.Bild: KEYSTONE

Das Wallis ist eine eigene Welt, aber auch sie ist im 21. Jahrhundert angelangt. Die katholische Kirche mag mächtiger sein als in der übrigen Schweiz, aber sie ist nicht mehr allmächtig wie in früheren Zeiten. Das zeigte sich im diesjährigen Wahlkampf, in dem Oskar Freysinger mit einer rechtsbürgerlichen Allianz und dem «wilden» CVP-Kandidaten Nicolas Voide versuchte, die Wahl des früheren CVP-Präsidenten Christophe Darbellay in die Kantonsregierung zu sabotieren.

Köppel trumpt

Dabei zielte das Rechtsbündnis auf Darbellays vermeintlich grösste Schwachstelle. Im letzten Herbst war bekannt geworden, dass der dreifache Vater ein uneheliches Kind gezeugt hatte. Vor nicht allzu langer Zeit wäre dies im Wallis einem politischen Todesurteil gleichgekommen. Darauf spekulierten auch Freysinger und Co. Schliesslich tauchte sogar Roger Köppel im Wallis auf und trumpte im Regionalfernsehen, da würden «noch immer irgendwelche Kinder hervorkommen».

Freysinger distanzierte sich halbherzig. Sein Abschussversuch wurde zum Rohrkrepierer. Das Walliser Stimmvolk bescherte dem «Sünder» Darbellay das beste Ergebnis aller Kandidierenden. Hinter ihm folgten die beiden anderen Kandidaten von CVP und CSP, während Sprengkandidat Nicolas Voide unter ferner liefen landete. «Die C-Parteien rückten enger zusammen und standen wie eine Mauer so hoch wie jene der Grande Dixence hinter ihrer offiziellen Liste», schrieb der «Wallliser Bote».

Auch Oskar Freysinger selbst geriet unter Beschuss. Mit umstrittenen Personalentscheiden, der Reichskriegsflagge im Keller und den Flirts mit Rechtsradikalen in Europa hatte er sich einige Fehltritte zu viel geleistet. Hinzu kam eine polarisierende Kampagne. Symptomatisch war die Kundgebung, die der Lehrer Yannick Délitroz in Sitten im Alleingang organisiert hatte. Rund 1000 Personen nahmen teil, ein beachtlicher Aufmarsch in dem lang gezogenen und verzweigten Kanton mit zwei Sprachregionen.

SP vor historischem Erfolg

«Die C-Wähler haben Christophe Darbellay seinen Seitensprung verziehen, Freysinger dessen politische Ausreisser hingegen nicht», kommentierte der «Walliser Bote». Besonders bitter für die SVP: Auf den Plätzen vier und fünf rangieren gleich zwei Sozialdemokraten, die bisherige Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten und der frühere Nationalratspräsident Stéphane Rossini. Seine Kandidatur war intern umstritten, nun winken der SP zwei Sitze in der Kantonsregierung.

CAPTION CORRECTION: CORRIGE LE PRENOM DE ROSSINI -- Esther Waeber-Kalbermatten Conseillere d'Etat, et Stephane Rossini du PS, lors des elections au Conseil d'Etat valaisan ce dimanche 5 mars ...
Esther Waeber-Kalbermatten und Stéphane Rossini verblüfften mit ihrem Resultat.Bild: KEYSTONE

Dies wäre die eigentliche Sensation, denn für die Linke war das Wallis lange eine politische Wüste. In keinem grösseren Schweizer Kanton mussten sie länger auf den Einzug in die Regierung warten. Erst vor 20 Jahren konnte «Übervater» Peter Bodenmann nach mehreren vergeblichen Anläufen den Bann brechen. Der heutige Hotelier hatte sich für das Zweierticket stark gemacht. Noch ist nichts entschieden, aber die Chancen für den historischen Erfolg sind intakt.

Mindestens so bemerkenswert ist der Vormarsch der Grünen im Parlament, wo sie gleich sechs Sitze hinzugewannen. Hauptgrund ist ein neues Wahlsystem, dennoch verblüfft dieser «Erdrutsch» in einem Kanton, in dem die Devise «Nur ein toter Wolf ist ein guter Wolf» zu gelten scheint. Und wo der Kampf gegen die Zweitwohnungsinitiative und das revidierte Raumplanungsgesetz so heftig geführt wurde wie sonst nirgends.

Das Wallis ist eine spezielle Welt. Es kann sein, dass Oskar Freysinger die Wiederwahl am 19. März schafft. Dennoch steht spätestens seit diesem Sonntag fest, dass das Wallis vielleicht hinter den sieben Bergen liegt – aber nicht hinter dem Mond.

Wolfsrudel im Wallis

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Wolfsrudel im Wallis
In einem abgelegenen Teil des Augstbordgebietes abseits von Siedlungen, Wanderwegen und Infrastrukturen ist es der Gruppe Wolf Schweiz (GWS) gelungen, das dortige Wolfsrudel mehrfach mittels Fotofallen und Direktbeobachtungen nachzuweisen.
(Bild: Gruppe Wolf Schweiz GWS)
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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Blutgrätscher
06.03.2017 17:33registriert Juli 2016
Hatte das Glück, den Freysinger schon persönlich zu sehen/sprechen.

An einer Buchlesung, an der er das Eröffnugswort geben durfte. Dies tat er auch, und zwar mit einem seiner eigenen Gedichte. Auf Italienisch.

Warum genau auf Italienisch? Keine Ahnung, wenigstens wusste nacher jeder, dass er Italienisch kann.

Auch beim Apéro kam eigentlich nur ein Gedanke auf:
"Sone schmirrige Siäch gfinnsch sälte!"
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Überdimensionierte Riesenshrimps aka Reaper
06.03.2017 17:36registriert Juni 2016
Ich als Berner Oberländer habe kein Problem mit dem Walliserditsch. Klar gibt es Wörter die man schlicht nicht kennt doch das habe ich in der Ostschweiz auch.
Obwohl ich die Ostschweizer besser Verstehe als sie mich.

Zum Thema Freysingiger: Er zeigt das Typische SVP Verhalten. Gewinnt man, ist es der Wille des Volkes, verliert man, Spricht man von Hexenjagten und Hetze oder gar von Verschwörung. Nur sie zählen, sonst niemand
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Majoras Maske
06.03.2017 18:40registriert Dezember 2016
Ich hoffe, die Walliser wählen im zweiten Wahlgang nochmals gleich. Das wäre immerhin ein Vorbild für andere Kantone mal die nervigsten abzuwählen...
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