Der Feminismus frustriert mich gerade total. Weil in seinem Namen Horden von Frauen in einen Opferfuror verfallen, der klingt, als befänden wir uns in den grauen 70er- und 80er-Jahren. Als Feministinnen lila Wollkissen in Vaginaform strickten und Bücher lasen, in denen die Frau zu einer einzigen, grossen, gesellschaftlich zugerichteten Problemzone und irgendwann wahnsinnig wurde.
Also: Natürlich hat die Welt riesige geschlechterspezifische Probleme. Es ist grässlich, dass in Russland häusliche Gewalt neu wieder straffrei ist. Dass in der Türkei Sex mit Minderjährigen wieder erlaubt sein soll. Dass es der Täter von Salez ganz klar auf Frauen abgesehen hatte. Es grenzt an Irrsinn, dass 2016 in Italien bereits 76 Frauen von ihren Männern grausam ermordet wurden, erschlagen, erstochen, vergiftet, verbrannt, mit Säure übergossen. Und, und, und. Das sind Backlash-Erscheinungen vom Schlimmsten. Das muss uns Sorgen machen.
Aber was tun wir? Also wir privilegierten, weissen, mitteleuropäischen Feministinnen mit Bildungshintergrund? Helfen wir den Opfern echter Geschlechtergewalt? Natürlich nicht. Wir problematisieren und therapieren lieber uns selbst. Machen auf Rückzug ins Allerprivateste. In die Intimzonen unserer Psyche.
Wir sagen: Ich bin ein Opfer, weil mir ein übler Sexist nachgepfiffen hat/ der Chef ein Kompliment gemacht hat/ mich die Bikiniwerbung vor 20 Jahren in die Magersucht getrieben hat/ ich zufälligerweise einen Mann beim Masturbieren in einem Wald gesehen hab/ ich als Mädchen zu viele phallische Würste essen musste/ mich die Gesellschaft davon abhält, mich in meinem Körper wohl zu fühlen/ die sozialen Medien so böse sind/ ich ohne Make-up Scheisse ausseh.
Wir sagen das gern in endlosen Blogs und auf vielen Zeitungsseiten. Gerne auch ganz ohne Humor. Todernst, wie uns das als Opfern zusteht. Denn: Wir haben ein anhaltendes Therapiebedürfnis. Und unser Lieblings-Analytiker ist die Öffentlichkeit.
Ich sage: Bullshit. Hören wir auf damit. Werden wir laut und direkt, wenn wir was zu beanstanden haben, nicht kleinlaut und verschüchtert. Vielleicht sollten wir besser ab und zu jemanden anschreien als ewig lang über unsere Probleme zu schreiben. Wahrscheinlich wären sie dann schneller aus der Welt, die Ungleichheiten (nein, der Lohnausgleich zum Kollegen kommt nicht einfach von selbst geflogen wie eine heilige Taube) effizienter behoben.
Der Backlash da draussen ist real. Backen wir uns also nicht noch einen inneren Backlash. Machen wir uns nicht selbst zum Opferhuscheli. Denn wer sich als Opfer fühlt, ist automatisch schwach. Und: nehmen wir unsere Probleme nicht allzu ernst. Sie sind klein, sehr klein. Sparen wir uns unsere Argumente für die grossen.