Verzweifelt suchen Politiker aller Lager ein Rezept gegen die steigenden Krankenkassen-Prämien. Mit einem radikalen Vorschlag warten nun zwei Zuger SVP-Politiker auf: Die Kantonsräte Manuel Brandenberg und Philip C. Brunner wollen, dass das Krankenkassen-Obligatorium in der Schweiz aufgehoben wird.
Sie fordern, dass der Kanton Zug eine entsprechende Standesinitiative einreicht. «Die Krankenkassenprämien haben sich seit der Einführung des Krankenkassenobligatoriums 1996 in etwa verdoppelt», schreiben die Politiker in ihrem Vorstoss. Leider sei es ein Tabu, nur schon über eine Aufhebung des «Versicherungszwanges» zu sprechen.
«Dabei liegt es auf der Hand: wo eine obligatorische Versicherung besteht, wird sie benutzt und – leider auch – ausgenutzt», so die Politiker. Sie versprechen, eine Aufhebung des Obligatoriums werde eine «spürbare Entlastung bei den Kosten im Gesundheitswesen und für die Prämienzahler bewirken».
Support erhalten die beiden Zuger Kantonsräte von ihrem Parteikollegen Thomas de Courten, der die Gesundheitskommission des Nationalrats präsidiert. Bereits vor einem Jahr hatte er den Bundesrat dazu aufgefordert, über eine Lockerung des Krankenversicherungsobligatoriums nachzudenken.
«Jedes staatliche Obligatorium gilt es hin und wieder zu hinterfragen», so de Courten zu watson. Deshalb begrüsse er den Vorstoss aus dem Kanton Zug. Der Baselbieter Betriebsökonom geht zwar nicht davon aus, dass das Anliegen aktuell in National- und Ständerat mehrheitsfähig wäre. «Es wäre aber bereits viel erreicht, wenn wir den ausgebauten Leistungskatalog in der Grundversicherung auf das absolut Notwendige herunterfahren könnten.»
«Lifestyle-Behandlungen» wie das Entfernen von Krampfadern gehörten nicht durch die Allgemeinheit finanziert, findet de Courten. «Heute ist das Motto vieler Versicherten: ‹Jetzt habe ich schon so viel bezahlt, dann kann ich auch etwas krank sein dafür.›»
Kein Verständnis für die Forderung hat SP-Nationalrätin Barbara Gysi. Sie betont: «Das Krankenkassen-Obligatorium ist eine grosse sozialpolitische Errungenschaft.» Die St. Gallerin befürchtet, dass eine Abschaffung zu ähnlichen Zuständen führen würde, wie sie aktuell in den USA herrschen. «Es gäbe Menschen, die sich nicht mehr behandeln lassen könnten, wenn sie krank sind, oder die dafür horrende Schulden auf sich laden müssten.»
Dass der Vorschlag ausgerechnet aus Zug kommt, stehe sinnbildlich für die Mentalität in dem Kanton. «Man senkt die Steuern für die Reichen, macht Steuergeschenke an Firmen – und lässt die Bedürfnisse der Schwächsten dabei ausser Acht.»
Die beiden Zuger SVP-Kantonsräte betonen in ihrem Vorstoss, dass die Initiative so umgesetzt werden müsste,«dass die ärztliche Grundversorgungauch für diejenigen, die keine genügenden Mittel haben, sichergestellt wird». Auf diesen Standpunkt stellt sich auch Thomas de Courten. Bei einem Wegfall des Versicherungsobligatoriums wäre es ihm zufolge etwa denkbar, dass die Steuerzahler für die Krankenkosten von schlecht Verdienenden aufkommen – «analog zur Sozialhilfe».
Gysi lässt dieses Argument nicht gelten. «Dadurch entstünde eine Zwei-, wenn nicht gar eine Drei- oder Vierklassen-Gesellschaft.» Es sei einem reichen Land wie der Schweiz nicht würdig, wenn eine «armengenössige» Schicht auf den Goodwill der reicheren Steuerzahler angewiesen sei.
Sie verweist stattdessen auf die sozialdemokratischen Lösungansätze: So arbeitet die SP derzeit an einer Volksinitiative, die die Prämienbelastung für alle Haushalte auf maximal zehn Prozent des Einkommens beschränken will. Grundsätzlich brauche es im Gesundheitssektor nicht weniger, sondern mehr Regulierung, findet Gysi: «Es ist etwa ein völliger Fehlanreiz, wenn Ärzte für Leistungen in der Grundversicherung Boni-Zahlungen erhalten.»
Die Grundversicherung ist in der Schweiz seit 1996 obligatorisch. Allerdings versicherten sich bereits davor die meisten Leute, da die Prämien von den Steuern abgezogen werden konnten.