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Wie die Schweiz zwei gut integrierte Afghanen in die Heimat zurückschickt

Wie die Schweiz zwei gut integrierte Afghanen in die Heimat zurückschickt

Sakhi Hasrad und sein Sohn Sharif sind gut integrierte Afghanen. Doch vor drei Wochen haben die beiden einen ablehnenden Asylbescheid erhalten – in ihrer Heimat werden sie von den Taliban verfolgt.
23.12.2017, 19:51
Olivia Meier / bz Basel
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Als Sakhi Hasrad den Brief öffnet, bricht für ihn eine Welt zusammen – er erleidet einen Herzinfarkt und muss ins Spital gebracht werden. Er und sein Sohn Sharif Hasrad sollen nicht in der Schweiz bleiben dürfen. Sie müssen zurück in ein Land gehen, wo sie in Lebensgefahr schweben: Afghanistan. Vor zwei Jahren flüchtete der 45-jährige Mann mit seinem 19-jährigen Sohn von dort in die Schweiz.

Beim Treffen wird klar, dass die Männer sich von ihrem Leid nicht unterkriegen lassen. Die Begrüssung ist höflich, beinahe fröhlich. «Wir sind sehr dankbar, hier sein zu können und so viele neue Freunde gefunden zu haben», sagt Sakhi. Auf einem Blatt Papier hat er eine ganze Liste mit Namen gemacht, denen er danken möchte. Im Nachhinein sendet er noch eine SMS mit Personen, die er vergessen hat.

Zuoberst auf der Liste stehen die Leute von «Da-Sein» und «Jung-Sein» in der Basler Elisabethenkirche. Sakhi, gelernter Koch, bereitet dort regelmässig afghanische Gerichte zu, die sehr gut ankommen. Das Kochen ist seine grosse Leidenschaft.

Pfarrer Frank Lorenz sagt, er könne sich die beiden Männer gar nicht mehr wegdenken: «Beide Männer sind für unser Angebot eine Bereicherung. Trotz Sprachgrenzen schaffen sie es, auch andere Geflüchtete in die Arbeit zu integrieren. Ich habe selten solche warmherzigen und fröhlichen Personen kennen gelernt.»

Sakhi (vorne) und Sharif (hinten) Hasrad kochen regelmässig für Besucher der Elisabethenkirche.
Sakhi (vorne) und Sharif (hinten) Hasrad kochen regelmässig für Besucher der Basler ElisabethenkircheBild: bzbasel.ch/Kenneth Nars

Laut Lorenz wäre es für Sharif der Ruin, in sein Heimatland zurückkehren zu müssen. «Er denkt wie ein europäischer Jugendlicher.» Und das merkt man ihm an: In fliessendem Englisch spricht er über seine Zeit in einer Integrationsklasse in Muttenz. Momentan lernt er Deutsch.

Auch engagiert er sich in der Elisabethenkirche und veranstaltet dort beliebte Töggeliturniere. Der junge Mann spielt für sein Leben gern Fussball: «Ich habe schon viele Freunde beim FC Arisdorf gefunden»; sagt er mit einem breiten Grinsen. In Arisdorf leben die beiden in einem Asylheim.

Ohne Frau und Kinder

Bereits in Kabul, ihrer Heimatstadt und der Hauptstadt Afghanistans, kamen die Männer täglich mit der englischen Sprache in Berührung. Sakhi arbeitete als Sicherheitsbeamter an der Schule seines Sohnes Sharif – der International School of Kabul.

«Eines Tages kam eine Gruppe von Männern in Zivilkleidung auf mich zu. Sie sagten, sie werden mich töten.»
Sakhi Hasrad

Die Mitarbeiter und Schüler der Schule waren stark gefährdet. Durch die Taliban, die in Afghanistan gegen die Demokratische Republik Afghanistan und für einen islamischen Staat kämpfen. Ihre Anschläge treffen doppelt so oft die Bevölkerung wie die afghanischen Truppen.

Die Leute der amerikanischen International School of Kabul passten nicht in ihre Weltanschauung: «Eines Tages kam eine Gruppe von Männern in Zivilkleidung auf mich zu. Sie sagten, sie werden mich töten.» Sakhi konnte mit seinem Motorrad vor den Männern flüchten.

Nach diesem Vorfall war ihm klar: Er und sein Sohn müssen das Land verlassen. Für ein Visum bezahlten sie 7000 Franken – die Behörden nutzten ihre Situation aus. Am 27. November 2015 stiegen die beiden Männer ins Flugzeug in die Türkei. Seine Frau und seine drei anderen Kinder musste Sakhi zurücklassen. Das Geld reichte nicht, die beiden Männer sollten die Familie später nachholen.

Zwei Jahre haben sie ihre Familie nun nicht mehr gesehen. Fast täglich telefonieren sie mit ihnen. «Die Kleinen heulen, weil sie ihren älteren Bruder vermissen. Auch meine Frau weint oft und ist wütend, weil sie unsere Situation nicht verbessern kann.»

epa06353577 An arial view shows buildings in the capital Kabul, Afghanistan, 27 November 2017. According to the World Bank, Afghanistan's economic growth is projected to increase to 2.6 percent i ...
Die Schweizer Behörden stufen die Gegend um Kabul als sicher ein.Bild: EPA/EPA

Von der Türkei aus ging es für die beiden Flüchtlinge mit dem Boot nach Griechenland. «Wir waren eine Woche auf dem Boot, die Reise war schrecklich», sagt Sharif heute.

In Griechenland angekommen fragten sie sich, wo sie nun hinsollten. Als Sakhi über den Entscheid spricht, zeigen seine ausgeprägten Lachfältchen, wie glücklich er sich schätzt: «Im Krieg im Afghanistan sahen wir viele Soldaten von anderen Ländern. Schweizer waren nie dabei.»

Deshalb sei es sein grösstes Glück gewesen, in die Schweiz kommen zu können. «Man sagt immer, die Schweiz sei sauber und schön.» Das habe sich bestätigt. Dass die Schweizer nicht offen sind, haben die beiden aber nie mitbekommen. «Wir haben viele liebe Leute getroffen. Alle helfen uns.»

Behörden: Kabul sei sicher

Vor drei Wochen haben die beiden einen ablehnenden Asylbescheid erhalten. Sakhi sagt: «Es fühlte sich an, als würde mir der Boden unter den Füssen weggerissen.» Wenn er und sein Sohn nun zurück nach Afghanistan müssen sind sie grösster Gefahr ausgesetzt.

Die Schweizer Behörden sehen das anders. Die Gegend um Kabul sei sicher, Sakhi und Sharif könnten deshalb zurückgeschickte werden.

Sakhi sucht das Problem bei sich: «Im Interview mit den Behörden war ich unter so grossem Druck. Ich denke, ich habe meine Situation nicht ausführlich genug geschildert.»

Nervös und ohnmächtig

Deshalb kämpfen sie nun gegen den Bescheid an. Mithilfe der Beratungsstelle für Asylsuchende der Region Basel haben sie einen Brief aufgesetzt, der erklären soll, weshalb es lebensgefährlich wäre, sie wieder in ihr Land zu schicken. Nun warten sie auf eine Antwort – fühlen sich gleichzeitig nervös und ohnmächtig.

«Wir müssen sehr hart dafür arbeiten, einen F-Ausweis zu erhalten. Dann dürfen wir bleiben und können vielleicht sogar unsere Familie nachholen.» Trotz ihrer schwierigen Situation lächeln die Männer. Falls sie doch einen positiven Entscheid bekommen und ihre Familie nachholen können, ist es Sakhis Traum, ein afghanisches Restaurant zu eröffnen, wo er seine Gerichte den Leuten auftragen kann.

Mit kämpferischem Blick sagt er: «Ich möchte den Leuten etwas zurückgeben und ausserdem weiss ich, wie sehr den Baslern mein Essen schmeckt.» (bzbasel.ch)

Sayed verlor vor drei Jahren seine Familie auf der Flucht

Video: srf
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20 Kommentare
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demokrit
23.12.2017 20:05registriert Oktober 2015
«Wir müssen sehr hart dafür arbeiten, einen F-Ausweis zu erhalten. Dann dürfen wir bleiben und können vielleicht sogar unsere Familie nachholen.»

Tja, da liegt das Missverständnis. Asyl erhält, wer politisch verfolgt wird, nicht wer hart arbeitet. Zum Teil erhalten meiner Erfahrung nach leider auch Leute B-Bewilligungen, bei denen das klar nicht gegeben ist, womit das Ganze dann leider sehr willkürlich wird.
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Maria B.
23.12.2017 20:43registriert Februar 2015
Ausführliches vorweihnächtliches Rührgeschichtli das eigentlich nur zwei relevante Fakten beinhaltet:

Die Asylentscheide müssen ZWINGEND innert weniger Monate abgeschlossen und die Rückführung im Falle der begründeten Ablehnung durchgeführt werden. Des Weiteren wird Kabul individuell (trotz sporadischen Attentaten gegen Moscheen etc.) int. mehrheitlich als sicher beurteilt, sodass im Sinne des gängigen Asylrechts kein Bleiberecht vorgesehen ist.

Und so kann man (objektivierend) den beiden Heimkehrern nur alles Gute beim Wiedersehen mit ihrer sie freudig erwartenden Familie wünschen...
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Karl Müller
23.12.2017 21:51registriert März 2015
Kabul hat 4 Millionen Einwohner und ist eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt, weil viele Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben dorthin strömen. Wenn man sagt, es ist niemandem zuzumuten dort zu leben, und jeder, der es von dort und von Rest-Afghanistan (30 Mio) in die Schweiz schafft, muss bleiben dürfen, schafft man damit de facto die Schweiz ab. Aber warum sollte jemand eher bleiben dürfen, weil er in einer Pfarrei kocht? Auch für den tarnfarbentragenden afghanischen Bahnhofsäufer wünsche ich es nicht, dass er von den Taliban gelyncht wird.
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