In der Schweiz wird vielleicht bald über das Schengener Abkommen abgestimmt. Anlass ist das neue EU-Waffenrecht, das nach den Terroranschlägen in Paris verschärft wurde. Als Schengen-Mitglied muss die Schweiz die Änderungen innerhalb von zwei Jahren übernehmen. Der Bundesrat konnte einige Ausnahmen erwirken, dennoch drohen die Schützenvereine mit dem Referendum.
Die Schweiz ist dem Abkommen nach einem Volksentscheid 2008 beigetreten. Wenn Schengen thematisiert wird, geht es meist um die Grenzkontrollen. Oder vielmehr deren Abschaffung. Sie bildet das zentrale Element des Vertragswerks, das 1985 in der gleichnamigen Luxemburger Gemeinde unterzeichnet wurde. Der freie Reiseverkehr in Europa wurde dadurch erheblich erleichtert.
Viele haben das «grenzenlose» Europa schätzen gelernt. Die Aufhebung der systematischen Personenkontrollen erzeugt aber auch Ängste, besonders in der heutigen, unsicheren Welt. Mit der Flüchtlingskrise vor zwei Jahren wurden die Grenzkontrollen teilweise wieder eingeführt.
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In dieser Debatte wird jedoch häufig übersehen, dass es bei Schengen um mehr geht als nur um Kontrollposten an den Landesgrenzen. Zur Stärkung der inneren Sicherheit im Schengen-Raum wird auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei intensiviert. Kernstück ist hierbei das gemeinsame elektronische Fahndungssystem, das Schengener Informationssystem SIS.
Darin enthalten sind Informationen über Fahndungen, Auslieferungen, Aufenthaltsermittlungen und Einreiseverweigerungen. Im erweiterten System SIS II, das seit 2013 in Betrieb ist, sind auch Fotos, Fingerabdrücke oder Haftbefehle als Bilddatei enthalten. Weiter sind Informationen zu Fahrzeugen, Schusswaffen oder Identitätsdokumenten im Fahndungssystem gespeichert.
«Der grosse Gewinn des Schengen-Abkommens besteht darin, dass Polizeidaten aller Schengen-Staaten heute systematisch ausgetauscht und abgeglichen werden», sagte Nicoletta della Valle, die Direktorin des Bundesamtes für Polizei (Fedpol), im Februar im Interview mit der NZZ. Wenn heute in Bern ein Auto gestohlen werde, wisse dies morgen der Polizist in Spanien, dem der Wagen im Rahmen einer Verkehrskontrolle auffalle.
Die Arbeit mit dem SIS gehört zur täglichen Routine, sagen Mitarbeiter des Fedpol. Deshalb sei das Schengen-Abkommen für die Polizeiarbeit in der Schweiz zentral. «Ohne Schengen wären wir blind», sagt Nicoletta della Valle.
Trotzdem gibt es immer wieder Kritik am Schengener System. Dieses sei lückenhaft, weil nicht alle 26 Mitgliedsstaaten ihre Informationen im gleichen Ausmass eintragen. Für die Fedpol-Chefin ist dennoch klar: «Schengen ist trotz gewissen Mängeln nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.» Dies gilt erst recht im Hinblick auf die gestiegene Terrorgefahr.
«Ohne Schengen wären wir vor Terror weniger geschützt. Wir würden wichtige Informationen nicht mehr bekommen», sagte della Valles Vorgesetzte, Justizministerin Simonetta Sommaruga, im Interview mit dem «Blick». Ein Beispiel sind die Anschläge in Katalonien. Ohne SIS hätte die Polizei kaum so schnell herausgefunden, dass mindestens einer der Täter sich letztes Jahr in Zürich aufgehalten hatte.
Der Terrorismus hat dem Datenaustausch innerhalb Europas einen Schub verliehen. Bestes Beispiel ist Frankreich, das besonders auf seine nationale Souveränität bedacht ist, nach den verheerenden Anschlägen von 2015 in Paris jedoch den europäischen Datenbanken wesentlich mehr Informationen zur Verfügung gestellt hat.
Noch ist nicht alles optimal, wie sich etwa nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt gezeigt hat. Dennoch ist das SIS für die Fahnder in Europa unerlässlich geworden. Das zeigt sich auch anhand der Zahlen. 2016 haben die zuständigen nationalen Behörden rund vier Milliarden Abfragen durchgeführt, ein «überraschender» Anstieg von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr, sagte EU-Sicherheitskommissar Julian King der deutschen Zeitung «Die Welt».
Die Schengen-Mitgliedsstaaten hätten verstanden, dass ein effektiver Informationsaustausch zur Bekämpfung von Terrorismus und Verbrechen wichtig sei, sagte King weiter. «Am 1. Mai befanden sich 72,28 Millionen Datensätze in dem Schengener Informationssystem. Allein in den vergangenen fünf Monaten sind 1,5 Millionen neue Datensätze hinzugekommen.» Vor fünf Jahren habe das System nur 42 Millionen Datensätze enthalten, so der EU-Kommissar.
Das Referendum der Schützen und ein mögliches Nein zum EU-Waffenrecht könnte deshalb für die Schweiz fatal wirken. Die NZZ hofft, dass es nicht erst soweit kommt. Ein Verzicht auf die EU-Waffenrichtlinie gefährde die internationale Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung, kommentiert die Zeitung: «Niemand, dem die Sicherheit der Schweiz wichtig ist, darf darüber hinwegsehen.»