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Ein Augenzeuge erzählt vom Drama am Pigne d'Arolla

This undated picture provided by the Police Valais, shows Pigne d'Arolla mountain near Arolla, Switzerland. Police in southwestern Switzerland said Monday, April 30, 2018 four Alpine climbers hav ...
Der Wind wirbelt Schnee über den Pigne d’Arolla. Sieben Skitourenfahrer verloren hier ihr Leben.Bild: AP/Kantonspolizei Valais

Ein Augenzeuge erzählt vom Drama am Pigne d'Arolla

Sieben Tote hat das dramatische Bergunglück im Wallis gefordert. Ein Augenzeuge sagt, wie man die Bergsteiger fand. Wieso es zum Unglück kam, bleibt ein Rätsel.
05.05.2018, 09:4105.05.2018, 13:43
Pascal Ritter / Schweiz am Wochenende
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Das Drama am Pigne d’Arolla schockierte diese Woche die Menschen weit über die Bergsteigerszene hinaus. Am Mittwoch starb eine weitere Skitourengängerin an den Folgen ihrer Unterkühlung. Damit steigt die Zahl der Toten des Walliser Bergunglücks auf sieben. Die Tragödie nahm am Sonntagmorgen ihren Lauf. Zwei Skitourengruppen brachen von einer Berghütte im Val de Dix (2928 m ü. M.) auf. Einerseits vier Franzosen, andererseits eine Zehnergruppe, angeführt vom italienischen Bergführer Mario Catiglioni (†59). Die Franzosen wollten ohne Bergführer zur Cabane des Vignettes (3175 m ü. M.). Catiglioni hatte ein ehrgeizigeres Ziel. Er wollte mit seiner Gruppe bis zum Rifugio Nacamuli. Die Hütte liegt ennet der italienischen Grenze. Beide Gruppen erreichten ihr Ziel nicht.

Jetzt auf

Wie sich das Drama zutrug, ist Gegenstand heftiger Spekulationen. Klar ist lediglich, dass beide Gruppen sich vereinten und nur wenige hundert Meter vor der Cabane des Vignettes die Nacht verbrachten. Bei Temperaturen zwischen minus fünf bis minus zehn Grad und starkem Wind harrten sie auf offenem Gelände aus. Vier Tourengänger erfroren vor Ort, drei weitere starben später im Spital.

«Ein Aufstieg ist immer sicherer als der Weg von einer Hütte zur nächsten. Im Notfall bricht man ab und fährt ins Tal»

Durch Zufall gefunden

Nun wird bekannt, dass es noch schlimmer hätte kommen können. Der Skitourengänger Thomas Pflügl ist Landesreferent des österreichischen Alpenvereins und war an jenem Sonntag ebenfalls zur Cabane des Vignettes aufgestiegen, allerdings vom Tal aus. In einer Vierergruppe gelang er von der Ortschaft Arolla zur Hütte. Dass ein Sturm aufzieht, sei offensichtlich gewesen, sagt er. Dessen Stärke habe ihn aber überrascht. Bedenken hatte er keine, doch er sagt: «Ein Aufstieg ist immer sicherer als der Weg von einer Hütte zur nächsten. Im Notfall bricht man ab und fährt ins Tal», sagt Pflügl.

Cabane des Vignettes in den Walliser Alpen: Nur 500 Meter von der Hütte entfernt campierten die Skitourengänger.Bild: wikicommons/jeanlouispitteloud

Die vier Österreicher erreichten die Cabane des Vignettes um 16 Uhr und verbrachten die Nacht dort. Vom Drama, das sich nur 500 Meter entfernt abspielte, bemerkten sie nichts. Am nächsten Morgen gab es um fünf Uhr Zmorgen. Pflügl und seine Begleiter hatten bereits am Vorabend beschlossen, wegen schlechten Wetters auf ihre geplante Tour zum Rifugio Nacamuli nicht anzutreten. Eine andere Gruppe brach aber um 6 Uhr auf. «Aus meiner Sicht war das verrückt, aber zum Glück haben sie es gewagt, sonst hätten wir die Opfer nie gefunden», sagt Pflügl.

32 Tote in einem Winter
Der Bergsport hat diesen Winter einen hohen Blutzoll gekostet. 32 Personen sind laut «Le Nouvelliste» bisher ums Leben gekommen. Im letzten Jahr kamen bei tödlichen Bergunfällen in der ganzen Schweiz 103 Personen ums Leben. Zehn davon fanden ihren Tod auf Skitouren. Gut möglich, dass diese Zahlen im laufenden Jahr überschritten werden. Im Sommer gibt es mehr tödliche Unfälle in den Bergen als im Winter, wie Zahlen des Schweizer Alpen-Clubs SAC zeigen. Grund für die hohe Zahl tödlicher Unfälle diesen Winter sind auch die Schneemengen. Sie lockten viele Wintersportler an und erhöhten die Lawinengefahr.

Der Bergsport hat diesen Winter einen hohen Blutzoll gekostet. 32 Personen sind laut «Le Nouvelliste» bisher ums Leben gekommen. Im letzten Jahr kamen bei tödlichen Bergunfällen in der ganzen Schweiz 103 Personen ums Leben. Zehn davon fanden ihren Tod auf Skitouren. Gut möglich, dass diese Zahlen im laufenden Jahr überschritten werden. Im Sommer gibt es mehr tödliche Unfälle in den Bergen als im Winter, wie Zahlen des Schweizer Alpen-Clubs SAC zeigen. Grund für die hohe Zahl tödlicher Unfälle diesen Winter sind auch die Schneemengen. Sie lockten viele Wintersportler an und erhöhten die Lawinengefahr.

Wenige Minuten nach ihrem Aufbruch stiess die Gruppe auf die ersten unglücklichen Bergsteiger und alarmierte die Bergrettung. Ein Helikopter brachte die vierzehn Alpinisten schliesslich zur Cabane des Vignettes, wo Pflügl half, die Überlebenden aufzupäppeln. Den Österreichern bot sich ein bizarres Bild. Während einige kaum ansprechbar waren, machten andere einen unversehrten Eindruck. Und dann lagen da auch noch die Toten.

Das Unglück vor der Berghütte treibt seither die Bergsteiger um. In Foren und Zeitungsartikeln diskutieren sie, was schiefgegangen sein könnte. Drei Faktoren spielen dabei eine Hauptrolle.

  • Das Wetter: War die Tour von der Cabane des Dix bis zur Cabane des Vignettes oder gar weiter bis zum Rifugio Nacamuli überhaupt zu bewältigen beim schlechten Wetter, das für den Sonntag angesagt worden war? «Niemals», sagte Bergführer Raphael Wellig, der die Route gut kennt, im «Blick». Zu einem ganz anderen Schluss kommt die Vereinigung der italienischen Bergsteiger. Sie nehmen ihren Landsmann, den tödlich verunglückten Bergführer Catiglioni, in Schutz. Bis um 9.30 Uhr seien das Wetter und die Sicht gut gewesen. Das würden Bilder von Alpinisten, die zu dieser Zeit am Berg waren, beweisen. Zudem sei die geplante Etappe vor der angekündigten Wetterverschlechterung zu meistern gewesen.
  • Die Ausrüstung: Wie kann es sein, dass Skitourengänger vor einer Hütte erfrieren? Es wurde spekuliert, dass der Bergführer kein GPS-Gerät dabei hatte. Auch dem widerspricht die italienische Bergführervereinigung. Die Gruppe sei mit GPS, Satellitentelefon und einem Smartphone mit topografischer Karte ausgerüstet gewesen. Offenbar nicht mit sich führte die Gruppe Biwak-Säcke. Ob diese jedoch zur Standardausrüstung gehören, ist umstritten. «Viele wollen die mehrere hundert Gramm schweren Schlafsäcke für die Übernachtung im Freien nicht bei jeder Tour mitführen, sagt Ueli Mosimann von der Fachgruppe Sicherheit des Schweizer Alpen-Clubs (SAC).
  • Das Verhalten: Warum harrte die Gruppe auf exponiertem Gelände aus, statt sich an einen windstillen Ort zurückzuziehen? Laut dem SAC-Sicherheitsspezialisten Mosimann, der die Gegend kennt, hätte die Gruppe nur 500 Meter zurückgehen müssen, um sich durch ein in den Schnee gegrabenes Biwak vor Wind und Schnee zu schützen. Solche Biwakübernachtungen kämen auf der Route häufig vor. Ein Überlebender sagte im italienischen Fernsehen, der Gruppe habe die Kraft dafür gefehlt.

Anfangs ging man davon aus, dass Bergführer Catiglioni beim Versuch, Hilfe zu holen, verunglückte und darum die Gruppe nicht mehr entsprechend instruieren konnte. Das dementierten die Walliser Behörden am Donnerstag.

Fatalismus am Berg

Die Staatsanwaltschaft dürfte sich nun mit diesen Fragen befassen. Wahrscheinlich ist, dass eine Verkettung verschiedener Fehler und Umstände zum Drama führte. Trotz der bisher fatalen Saisonbilanz (32 Tote) sieht der Schweizer Alpen-Club gemäss Mosimann keinen Handlungsbedarf. Der Tod wird in der Bergsteigerszene offenbar in Kauf genommen. «Solange Menschen auf die Berge steigen, wird es solche Unglücke geben», kommentierte Bergsteigerlegende Reinhold Messner das Unglück.

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2 Kommentare
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Luzi Fair
05.05.2018 15:27registriert Mai 2014
"Der Tod wird in der Bergsteigerszene offenbar in Kauf genommen."
Was soll dieser polemische Satz?
Am Berg ist es wie überall sonst im Leben, wo Menschen leben, sterben auch Menschen. Wer den Tod nicht in Kauf nimmt, hat etwas falsch verstanden.
Es ist jedem selbst überlassen, wird sehr er sein Leben gefährden will, so lange er dabei nicht andere in Gefahr bringt.
Fehler passieren. Überall. Hier mit dramatischem Ausgang.
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