«Nordkorea an der Berner Ferienmesse, da müssen wir unbedingt hin!» Mein Chef hat feuchte Augen vor Begeisterung. «Stell dir vor, das erste Mal, dass sich Nordkorea im Ausland an einer Tourismusmesse präsentiert, Exotik, Wahnsinn, Nordkorea, Kim, Nordkorea!»
Ich nicke und werfe einen Blick in die Medienmitteilung der Ferienmesse Bern: Da ist vom «Überraschungsaussteller Nordkorea» die Rede, vom «exotischen Nordkorea». Ich stelle mir den Stand der nordkoreanischen Delegation vor: scheppernde Volksmusik, Funktionäre, die sich ein Lächeln abpressen und mit Notizheften wedeln, grimmig dreinblickende Hostessen in Militärhosen, ein Teller mit nordkoreanischen Häppchen vielleicht, Bilder von menschenleeren Strassen und Übersetzer, die von der Bewegungsfreiheit auf der Autobahn schwärmen. Vielleicht ein Bild des Führers an der Plakatwand?
Ich realisiere: Mein Bild von Nordkorea ist ein Zusammenschnitt von verwackelten Vice-Videos, Berichten von politischen Flüchtlingen und den immer gleichen, verwaschenen und regenverhangenen Fotos von einsamen Landstrichen – scheint in Nordkorea eigentlich jemals die Sonne? Höchste Zeit, dieses Bild mit der Wirklichkeit abzugleichen, wie sie uns in Bern vermutlich von Personal präsentiert wird, das höchstwahrscheinlich in stundenlanger, aufreibender Öffentlichkeitsarbeit geschult wurde. Nun ja.
«Das Interesse an dem Land nimmt zu», sagte der Globetrotter-Chef André Lüthi in der Bernerzeitung. Sein Unternehmen hat die Teilnahme der nordkoreanischen Tourismusdelegation in Bern eingefädelt. Globetrotter bietet über das Tochterunternehmen Background-Tours Reisen in das abgeschottete Land an. Geführte Reisen, selbstverständlich. Zwar könne man sich in der Hauptstadt Pyöngjang einigermassen frei bewegen, ausserhalb der Kapitale aber wird man auf Schritt und Tritt überwacht.
Oder begleitet, wie das im nordkoreanischen Polit-Jargon wohl heissen würde. Walter Eggenberger, der «Zeigefinger der Nation», drückt es in einem Journal, das ich später an dem Stand abgreifen werde, folgendermassen aus: «Meine Mitreisenden waren immer begeistert von der friedlichen und fürsorglichen Betreuung durch unsere Begleiter». Das ist auch eine Sicht. Ich kann dem nicht widersprechen, ich war noch nie in Nordkorea.
Aber Nordkorea entdeckt den Tourismus. Und die Touristen entdecken Nordkorea. Andy Egli war ja schon da, und Christoph Blocher. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sich die demokratische Volksrepublik eine Ferienmesse in der Schweiz auserkoren hat. Oder Kim Jong Un hat einen Anflug von Sentimentalität verspürt: Es ist mehr als nur ein Gerücht, dass der «Oberste Führer» des Landes in seiner Kindheit einige Jahre inkognito in einer Privatschule in Bern verbracht hatte. Wie dem auch sei. Während sich die Touristen mit einem lustvollen Schaudern an der Exotik des diktatorisch geführten Landes erfreuen können, zählt für die Machthaber wohl vor allem eines: Geld. «Sie haben gemerkt, dass der Tourismus wichtige Devisen ins Land bringt», bestätigte Globetrotter-Chef Lüthi in der BZ.
Vor dem Messegelände treffe ich auf eine Aktivistin von Amnesty International. Sie drückt mir eine Broschüre in die Hand: «Beipackzettel für ihre Reise nach Nordkorea.» Ich gebe ihr zu verstehen, dass ich nicht vorhabe, demnächst nach Nordkorea zu reisen. «Aber falls», meint sie und drückt mir einen weiteren Zettel in die Hand. Auf meine Frage, ob der Tourismus langfristig nicht vielleicht doch zu einer Öffnung führen könne, antwortet sie mit Skepsis – und Kopfschütteln.
Etwas später stösst die Medienverantwortliche hinzu. Sie seien soeben freundlich gebeten worden, das Messegelände zu verlassen. «Jetzt stehen wir halt exakt an der Grenze zwischen Messeboden und öffentlichem Raum», sagt sie lachend und zeigt auf einen Strich auf dem Asphalt, den ich nicht erkennen kann.
Etwas weiter vorne wird ein weiterer Amnesty-International-Mensch von einem Reporterteam interviewt. Ein junger Mann im Anzug und mit Handy im Anschlag steht nervös daneben. «Jetzt müssen sie aber wirklich gehen, wir haben es ihnen vorhin doch schon gesagt.» Flehen im Befehlston, geht das? Ja, es geht. Aber es geht nicht gut. Der Amnesty-Mann, der wie seine Kollegen an der Tramstation ein Schild umgehängt hat, will nämlich noch nicht gehen. Die Reporterin eines grossen Medienhauses in Zürich beschwichtigt: «Wiiiir sind schuld, wiiir wollten ein Interview, tut uns wirklich Leid, sorry gell, sind gleich fertig!» Im Schlepptau des Messe-Angestellten sind zwei Polizisten die gequält lächeln. Ich hole meine Akkreditierung und suche den nordkoreanischen Tourismusstand.
Bis ich mich zum Stand durchgekämpft habe, muss ich zwei miesgelaunte Medienverantwortliche, ein Maskottchen eines grossen Kreuzfahrtunternehmens und eine finnische Tanzgruppe über mich ergehen lassen. Ich hatte es mir einfacher vorgestellt.
Der Messestand selber ist unspektakulär. Ein Zelt-ähnliches Gebilde, weisse Kartonwände, einige Fotos von Sehenswürdigkeiten, eine politisch unkorrekte Korea-Karte, und ein Plakat mit nordkoreanischen Schriftzeichen und einer jungen Frau, die ihre gebleichten Zähne präsentiert. Der Verantwortliche für den Stand, ein Nordkoreaner mittleren Alters in dunkelblauem Anzug, gibt gerade einer grossen Zeitung mit rotem Logo ein Videointerview. «Seit Stunden schon», stöhnt mir ein anderer Journalist ungefragt ins Ohr.
Dann ist das Interview fertig, ich dränge mich vor, aber der Mann kann nicht mehr. Schweiss tropft ihm von der glatten Stirne, er wird von zwei hinzugekommenen Kollegen gestützt. Fürsorglich nehmen sie ihn in ihre Mitte und eskortieren ihn vom Ort des Schreckens. Zurück bleiben einige ratlose Journalisten, die sich auch bald aus dem Staub machen. Wären da nicht noch einige Pärchen im Rentneralter, ich würde mich in diesem Moment sehr einsam fühlen.
Überhaupt gibt es an der Ferienmesse fast nur alte Menschen – die Hostessen, Maskottchen, Public-Relations-Manager und Friteusen-Bediener ausgenommen. Und am Nordkorea-Stand machen ausschliesslich alte Menschen halt. Wahrscheinlich stört es sie nicht so sehr, wenn sie von eifrigen Funktionären immer schön dem «Pfad der Vorschrift» (noch einmal Eggenberger in einer Nordkorea-Broschüre) entlang geleitet werden – geführte Touren sind bei der Altersgruppe der über 65-Jährigen ja sehr im Trend.
Der Nordkorea-Stand bildet auch einen informellen Treffpunkt für Schweizer Nordkorea-Veteranen. Sie haben in keinem Krieg gekämpft, aber tauschen ihre Erfahrungen doch aus, wie Menschen, die Dinge erlebt haben, die sie nur ihresgleichen mitteilen können. Der Zugang zu dem Zirkel bleibt mir verwehrt, aber immerhin dulden sie mich, wie ich nebenan stehe und ab und zu eine Frage einwerfe. «1971, da war etwas los, da war ich das erste Mal in Pyöngjang!» – «In welchem Hotel warst du? Etwa auch im Yanggakdo?» – «Natürlich, was denn sonst!» – «Lass mich überlegen, du warst 1971 dort ... hm, kennst du den Hegenswiler?» – «Nein, nie gehört. Aber kennst du den Leeger?»
So ging das eine Weile. Die Rede war von Denkmälern, Wanzen, seltsamen Automarken. Und immer wieder: «Die Menschen, wunderbare Menschen, so emotional, da sind die Italiener nichts gegen.» Natürlich, mit ihnen sprechen konnten sie nicht, oder nur mittels eines Dolmetschers, und was der gesagt hat, wissen sie nicht. Die Paraden, die Massenaufläufe, die Zeremonien zu Ehren des Obersten Führers. «Das ist alles orchestriert, klar, aber stellen Sie sich vor: Sie wachsen in diesem Staat auf, seit dreissig Jahren ist das alles was Sie kennen – das geht irgendwann in Ihre DNA.»
«Und die Natur, die Berge, die Seen!» Das Land hat das Potential zu einem Touristenmagnet, da sind sich die Nordkorea-Veteranen sicher. Dass die Diktatur aber in absehbarer Zukunft ein Ende nehmen wird, das glaubt hier niemand. Gute Ratschläge haben sie aber: China habe es doch vorgemacht, und Burma und Vietnam ebenfalls. Ein gradueller Übergang. Einparteiensystem ja, aber freie Wirtschaft, immerhin.