Schweiz
Ostschweiz

«Verdammte huere Chrüppel» – warum die Polizisten nach der Verfolgung des St.Galler Töff-Rowdys ausrasteten

«Verdammte huere Chrüppel» – warum die Polizisten nach der Verfolgung des St.Galler Töff-Rowdys ausrasteten

09.06.2015, 16:2513.06.2015, 11:57
Daria Wild
Folge mir
Mehr «Schweiz»

Das Video des selbsternannten Ghost Riders, der sich im September 2014 eine wilde Verfolgungsjagd mit der St.Galler Polizei lieferte, spaltet die Gemüter: Muss man Verständnis dafür aufbringen, dass einer der Beamten den Töff-Rowdy als «verdammte huere Chrüppel» bezeichnet und sagt: «Ich mach di kaputt»? Oder war diese Reaktion jenseits von gut und böse? 

Animiertes GIFGIF abspielen
Der Töfffahrer wird von der Polizei gestellt ...Bild: watson
Animiertes GIFGIF abspielen
... und schliesslich überwältigt.Bild: watson

Zunächst zu den Fakten: Unbestritten ist, dass der 41-Jährige praktisch alle Verkehrsregeln gebrochen hat, die man brechen kann: Er fuhr ohne Kontrollschilder mit 100 Kilometern pro Stunde innerorts, bretterte über einen Veloweg, missachtete mehrere Rotlichter, fuhr auf der falschen Seite an Verkehrsinseln vorbei und gefährdete die anderen Verkehrsteilnehmer. Bei der St.Galler Staatsanwaltschaft ist ein Verfahren hängig, den Ausweis ist der Töfffahrer bis auf weiteres los. 

Animiertes GIFGIF abspielen
Hier überfährt der Töfffahrer ein Rotlicht.Bild: watson

Unbestritten ist auch, dass die Polizisten nicht rechtmässig gehandelt haben. Gegen beide läuft ein Verfahren, zu dem aber weder Staatsanwaltschaft noch Stadtpolizei genauere Auskünfte geben können. Rolf Zopfi von der Menschenrechtsorganisation Augenauf sagt: «Das Verhalten der Polizisten ist klar widerrechtlich.» Ob es sich dabei aber um eine einfache Drohung oder um Amtsmissbrauch handle, sei schwer zu beurteilen. Zopfi: «In dieser Frage tut sich ein weites Feld auf.»

Was bleibt? Die Frage, was in den Köpfen zweier Polizisten passiert, die einen Kamikaze-Töfffahrer verfolgen müssen. Das weiss der forensische Psychiater Thomas Knecht.

Psychiater Thomas Knecht.
Psychiater Thomas Knecht.Bild: spitalverbund.ch

Herr Knecht, was geht in einem Polizisten vor, der in eine solche Szene verwickelt ist? 
Thomas Knecht: Das erklärt man besser neurochemisch als psychologisch. Einfach zu sagen, es werde bei einer Verfolgungsjagd der Jagdinstinkt stark aktiviert, würde einer solchen Situation wohl nicht gerecht werden. 

Das heisst?
In einer solchen Situation werden drei Hormone aktiviert: Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin. Adrenalin und Noradrenalin steigern die Erregbarkeit des Nervengewebes. Sie enthemmen. Dopamin löst den sogenannten «fokussierten Abruf» aus – erhöhte Konzentration, schnelle Reaktion. Das Hirn wird quasi in diesen anregenden Substanzen gebadet.

Und dann?
Das Ausschütten von Dopamin führt dann eben auch dazu, dass das Hirn weniger Alternativen zur Verfügung stellt, man überlegt nicht mehr gross, sondern handelt nur noch. Die normalen inneren Zensuren fallen weg und die Schwelle dessen, was man persönlich eigentlich für angemessen hält, rutscht runter.

Wann geht das vorbei?
Sobald das Gefühl aufkommt, man sei Herr der Lage, man habe die Situation wieder unter Kontrolle, ist alles wieder normal. Das dauert wenige Minuten. Vorausgesetzt, es passiert nichts Neues, beispielsweise dass plötzlich eine Waffe im Spiel ist.

Ein Polizist müsste sich doch beherrschen können.
Bei einer solch langen Verfolgungsjagd wird das Hirn eines Polizisten immer in die gleiche Richtung stimuliert, die immer gleichen Enzyme in der Hirnflüssigkeit aktiviert. Dann schiesst man eben übers Ziel hinaus, die Polizisten verlieren die normale Einschätzungsgabe, ob ihre Kampfbereitschaft der Situation angemessen ist.

Was müssen Polizisten tun, damit sie nicht die Fassung verlieren? 
Theoretisch können bestimmte Tabletten das Ausschütten der Hormone verhindern. Dann ist aber auch die Reaktionsfähigkeit weg. Das geht also nicht. Grundsätzlich gilt: Je besser man vorbereitet ist, je mehr Erfahrung man hat, desto weniger massiv sind diese neurochemischen Reaktionen.

Und ohne die Erfahrung machen zu müssen? 
Man kann natürlich solche Extremsituationen simulieren, Adrenalin unter kontrollierten Bedingungen ausschütten und die Leute so resistenter machen. Aber alle Polizisten zum Bungeejumping zu schicken, ist auch nicht unbedingt eine Lösung. Wichtig ist Handlungssicherheit: Wie weit gehen die Pflichten der Polizisten? Das hat einen beruhigenden Effekt. 

Max Hofmann, Präsident des Schweizer Polizeiverbandes, stimmt dem nur bedingt zu. «Die Trainings, die Reglemente, die Anweisungen – all diese Dinge sind nur technische Aspekte», sagt er auf Anfrage. Stresssituationen, auch Verfolgungsjagden, würden zwar simuliert, aber Polizisten seien Menschen, keine Maschinen. Hofmann: «Fehler können passieren.» 

Das Ganze im Video:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
145 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
JayAge
09.06.2015 20:08registriert Januar 2014
Da fallen also ein paar böse Worte und schon schreit man wieder "Polizeigewalt! Amtsmissbrauch! Faschos!"

Hätten sie ihn denn nach der gefährlichen Verfolgungsjagd zuerst einmal nach seinem Befinden fragen sollen? Ihm gar einen Beruhigungstee anbieten sollen? Die olle Wurst ist verdammt nochmal geflohen, nachdem man ihn mehrmals zum Anhalten aufgefordert hat. Da ist er ganz einfach selbst schuld.
12411
Melden
Zum Kommentar
avatar
Mia_san_mia
09.06.2015 17:59registriert Januar 2014
Wo bitte ist das Problem? Das ist ja echt kriminell wie der Töfffahrer da vor der Polizei davonrast! Die Behandlung, die er bekommen hat ist ja gar nicht schlimm...
988
Melden
Zum Kommentar
avatar
saukaibli
09.06.2015 17:43registriert Februar 2014
Der Typ hat sich doch absichtlich erwischen lassen, das sieht man im Video, so schlecht fährt keiner absichtlich. Und dann hat er sich der Verhaftung widersetzt im Wissen, dass ihn die Bullen dann hart anfassen. Darum wurde das Video ja dann auch auf YT gestellt, der will doch nur die Bullen schlecht machen. Für mich ist er zu verurteilen für versuchte vorsätzliche Tötung, allerlei Verkehrsvergehen und zusätzlich Verleumdung und versuchten Betrug. Aber diese Psyche ist für einen Psychologen sicher sehr interessant.
884
Melden
Zum Kommentar
145
Der «Pink Moon» im April: 13 spannende Fakten zum Vollmond
Am 24. April 2024 um 1.48 Uhr Schweizer Zeit tritt der Vollmond zum vierten Mal in diesem Jahr ein. Er wird auch «Rosa Mond» (auf Englisch: «Pink Moon») genannt und steht im Sternbild Jungfrau. Der Name «Rosa Mond» hat nichts mit dessen Farbe zu tun – er wurde von Nordamerikas Ureinwohnern nach der rosa Flammenblume benannt, die zum Frühlingsbeginn blüht.

Der Mond begleitet uns Menschen schon seit Urzeiten. Seit jeher übt er eine anziehende Wirkung auf die Menschheit aus. Besonders in den Vollmondnächten zieht uns die silbrig strahlende Kugel am Sternenhimmel immer wieder aufs Neue in ihren Bann.

Zur Story