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Die Gemeinde Rorschacherberg richtet eine Haltestelle für Elterntaxis ein.

Saida Keller Messahli
Aufgepasst beim Überqueren der Strasse: Eltern-Taxis sorgen für Chaos und Unsicherheit rund um die Schulhäuser.Bild: shutterstock

«‹Generation Rücksitz› wächst heran» – Gemeinde plant Haltestelle für Eltern-Taxis

In Rorschacherberg SG bringen viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto in die Schule. Aus Sicherheitsgründen will die Gemeinde nun eine Haltebucht für sie einrichten – obwohl sie sich zunächst gegen die «Taxi-Eltern» gewehrt hatte.
05.04.2018, 10:5005.04.2018, 13:27
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Die Zeilen im Mitteilungsblatt der Gemeinde Rorschacherberg von Ende März bergen Zündstoff. Beschrieben wird die geplante Neugestaltung einer Strassenkreuzung in unmittelbarer Nähe der Schulanlage Klosterguet. Neu soll es einen Kreisel und eine Haltestelle geben. Diese ist aber nicht nur für den Schulbus vorgesehen – sondern auch für sogenannte Elterntaxis. Die Begründung: «Diese Massnahmen sollen die gefährlichen Ein- und Auslademanöver reduzieren, weil in der Haltebucht die Kinder in einem geschützten Bereich ein- und aussteigen können.»

Gegenüber dem «St.Galler Tagblatt», welches die Geschichte publik machte, sagt Schulleiter Matthias Haas: «Wir können den Eltern nicht verbieten, ihre Kinder zur Schule zu fahren.» Haas hatte noch vor drei Jahren einen «emotionalen Appell» an die «Taxi-Eltern» gewandt. Er bat sie, die Kinder nicht mehr in die Schule zu fahren: «Gönnen Sie Ihren Kindern einen spannenden und abwechslungsreichen Schulweg.» Dieser Meinung sei er weiterhin, sagt Haas zur Zeitung. Auch für Gemeindepräsident Beat Hirs sind die Elterntaxis «eine Unsitte». Aber Rorschacherberg sei wie alle anderen Gemeinden auch «mit der Realität konfrontiert, in der es Elterntaxis eben trotzdem gibt.»

Nicht nach unten gucken! Der schwindelerregendste Schulweg der Welt

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Nicht nach unten gucken! Der schwindelerregendste Schulweg der Welt
Dramatische Bilder von Schulkindern aus der chinesischen Provinz Sichuan: 15 Schüler im Alter von 6 bis 15 Jahren klettern eine rund 800 Meter hohe Leiter an einem extrem steilen Hang hinauf. Es ist für sie der einzige Weg, um alle zwei Wochen von ihrem Internat nach Hause zu kommen.
quelle: ap/chinatopix
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Dass die Gemeinde am Bodensee kein Einzelfall ist, zeigt eine Anfrage von watson bei der Erziehungsdirektion des Kantons Bern. Bauliche Massnahmen in Bezug auf Elterntaxis seien auch schon Gesprächsthema gewesen, sagt Erwin Sommer, Vorsteher des Amts für Kindergarten, Volksschule und Beratung. Ein vergleichbarer Fall wie in Rorschacherberg sei ihm allerdings nicht bekannt. Auch beim Volksschulamt des Kantons Zürich höre man auf informellem Weg immer wieder von Problemen mit Elterntaxis in einzelnen Schulgemeinden, sagt Amtschefin Marion Völger.

«Es fehlen grundlegende Erfahrungen»

«Die Problematik der Elterntaxis ist ein grosses Thema an den Schulen», bestätigt Beat W. Zemp. Der Präsident des Schweizer Lehrerverbands LCH stellt aufgrund zahlreicher Gespräche mit Berufskollegen fest, dass die Anzahl Kinder, die mit dem Auto in die Schule gebracht werden, «unzweifelhaft angestiegen» sei. «Es wächst eine ‹Generation Rücksitz› heran, der die grundlegenden Erfahrungen fehlen, welche man auf dem Schulweg macht», bedauert Zemp.

beat zemp
Beat W. Zemp, Präsident des Lehrerverbands.Bild: zvg

Dabei sei der Schulweg pädagogisch ungemein wertvoll. Wer ihn alleine oder gemeinsam mit anderen Kindern zu Fuss oder per Velo zurücklege, lerne Selbstständigkeit und mache dank den Interaktionen mit anderen Kindern Fortschritte im sozialen Bereich. Den Schulweg «mit Muskelkraft» zu absolvieren, sei nicht nur gesundheitlich sinnvoll, ergänzt der Berner Amtsvorsteher Erwin Sommer: «Er stellt auch eine wichtige Möglichkeit zur Verarbeitung der schulischen Erlebnisse dar.»

Doch eine rechtliche Handhabe gegen die «Taxi-Eltern» gibt es nicht. Erst mit dem Eintritt ins Schulgelände kommen die Kinder unter die Obhut der Schule, sagt Lehrerverband-Präsident Zemp: «Der Schulweg fällt unter die alleinige Verantwortung der Eltern.» Manche «Taxi-Eltern» seien unbelehrbar, das müsse man akzeptieren.

Keinen falschen Eindruck erwecken

Es gebe aber auch auch «ehrbare Gründe» für Eltern, ihre Kinder per Auto zur Schule zu bringen, betont Zemp. Etwa wenn die Sicherheit auf dem Schulweg nicht garantiert sei. Hier seien die Gemeindebehörden in der Pflicht, die Verkehrsplanung kindergerecht zu gestalten.

Auf die Verkehrssicherheit beruft sich auch die Gemeinde Rorschacherberg. Man wolle die Situation sicherer machen, sagt Gemeindepräsident Beat Hirs zum «St.Galler Tagblatt». Denn derzeit hielten die Eltern mit ihren Autos nicht nur auf dem Schulgelände, sondern auch an der nahe gelegenen Kantonsstrasse, was dort zeitweise für Chaos und Gefahr sorge.

Beat W. Zemp vom Lehrerverband kann diese Beweggründe nachvollziehen. Es sei sicher richtig, eine gefährliche Situation zu entschärfen, sagt er zu watson. Mit Blick auf eine mögliche Signalwirkung sagt Zemp: «Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Eltern dazu eingeladen werden, ihre Kinder per Auto in die Schule zu bringen.» Dafür will Schulleiter Matthias Haas sorgen. Er will laut dem «St.Galler Tagblatt» auch in Zukunft und trotz Haltestelle an die Eltern appellieren, ihre Kinder nicht mit dem Auto in die Schule zu fahren.

Projekt auf Eis gelegt
An der Bürgerversammlung der Gemeinde Rorschacherberg am Mittwochabend wurde der Budget-Voranschlag 2018 präsentiert. Der darin vorgesehene Ausbau der Kreuzung Brunnenstrasse / Seeburgstrasse zu einem Kreisel war den anwesenden Stimmberechtigten jedoch zu teuer. Die Gemeinde muss nun erneut über die Bücher. Weil die Errichtung einer Haltestelle für Eltern mit dem Kreisel zusammenhängt, wird auch diese vorerst nicht erstellt. Das vermeldete die Online-Ausgabe des «St.Galler Tagblatts» nach Fertigstellung dieses Artikels. (cbe)

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Video: watson/Knackeboul, Gina Schuler
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77 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Die Keule
05.04.2018 11:18registriert Januar 2018
Und ich bin damals jeden Morgen 4km mit dem Velo hin - am Mittag zurück - nach dem Essen wieder hin & am Nachmittag wieder zurück. 16km am Tag. Einen kleinen Bauch hab ich heute trotzdem, trotz dieser sportlichen Kindheit, die Erlebnisse auf dem Schulweg waren jedoch unbezahlbar. Die Überbehütung der heutigen Eltern, ich versteh es nicht.
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N. Y. P. D.
05.04.2018 11:07registriert Oktober 2015
HELIKOPTERELTERN

Lustig ist, dass diejenigen Schüler, die nicht in die Schule gekarrt werden, lebendig in derjenigen ankommen.
Diese Schüler müssen sich allerlei Gefahren erwehren : Wegelagerer, Räuber, Plünderer, wilde Bären und Wölfe, Wetterumstürze..

Und sie lernen was fürs Leben. Werden abgehärtet und finden neue Freunde.


Aber nein, der Jonas Fintan Adalbert wird natürlich mit dem SUV zur Schule gekarrt. Wohlbehütet und umsorgt, um allen Gefahren aus dem Weg zu gehen.
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Pumpido
05.04.2018 11:11registriert Mai 2017
Peinlich.
Also die Eltern.
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