Es ist ein herrlicher Herbsttag, doch die Zuschauer haben weder für den blauen Himmel noch für die strahlende Sonne Augen. Sie würdigen auch den Koch, dessen adretten Anblick andere aus dem Fernsehen kennen, keines Blickes. Der Mann führt gerade vor, wie man einen Gratin zubereitet, lässt sich aber nicht davon beirren, dass niemand zuschaut. Kein Wunder: Hier wird ein Kochbuch für Blinde vorgestellt.
Der Blindenbund, der «1 Mass – 50 Rezepte» in Zusammenarbeit mit dem Berner Küchenprofi Philippe Berthoud realisiert hat, hat seine Mitglieder und Sponsoren in die «Kantine im 5i» in Zürich geladen. Ganz nach dem Geschmack von Betriebsleiter Urs Dubach: «So voll ist es sonst nicht», lacht er mit Blick auf den gefüllten Saal, bevor Berthoud erklärt, wie man kocht, wenn man nichts sieht.
Die wichtigste Zutat: ein Joghurtbecher à 180 Gramm. Er dient als Masseinheit für alle Gerichte. Wenn etwas im Kochbuch in Gramm angegeben ist, sind es Dinge, die wie etwa ein Steak an der Theke bestellt werden. Andere Portionen werden in «Prise» oder «handvoll» angegeben – wobei nicht ins Gewicht fällt, ob man grosse oder kleine Finger hat.
Der Autor weiss, worauf es in der Praxis ankommt: Philippe Berthoud bietet seit zwei Jahren Kochkurse für Blinde an. Die Hitze im Herd oder Ofen stellen Sehbehinderte an Geräten ein, an denen sie die Anzeige ertasten können. Auch die Zeit, die ein Gericht garen muss, messen sie mit entsprechenden Uhren. Und wenn sie Zutaten in eine Auflaufform füllen, hilft der sensiblere Tastsinn dabei, dass nichts daneben geht.
Dass es bis dato noch keine entsprechende Literatur gab, hat ihn erstaunt. «Man fragt sich: Was ist die Grundlage? Wie kochen die? Dass es da nichts gibt ...», beschreibt er die Situation, die er damals vorfand. «Die ersten Kurse waren noch mit Gramm-Angaben, dann bekam ich aber Feedback», erklärt er. Immer wieder habe er sich gefragt, wie man die Abläufe vereinfachen kann. «Da ist mir der Joghurtbecher als Masseinheit in den Sinn gekommen.»
Die Präzision, mit der seine blinden Kursteilnehmer zu Werke gingen, hat Berthoud beeindruckt. «Als Sehender kannst du dir gar nicht vorstellen, wie die kochen. Und das noch in einer fremden Küche. Am Ende habe ich gesagt: Ich habe mehr von euch gelernt als Ihr von mir. Es ist wirklich so!» Die Frage, ob es einem seiner Kurse schon mal Feuer gab, beantwortet er lachend: «Ja, ich war ja auch noch da.» Nein, Feuer gab es nicht. Blinde und Sehbehinderte lassen nichts anbrennen!
In diesem Moment unterbricht eine blinde Dame das Gespräch. Sie will Berthoud sagen, wie sehr ihr rote Linsensuppe mit Kokosmilch gemundet hat, die neben weiteren Gerichten aus dem Kochbuch verköstigt werden. Schon bei dessen Kochvorführung war zu spüren, wie dankbar, gleichzeitig aber auch patent diese Leute sind, denen die Sehkraft abhanden gekommen ist oder die nie eine hatten.
Als Berthoud am Ende noch Bücher signiert, sind alle satt und fröhlich. Urs Dubach von der «Kantine im 5i», der Blindenbund und seine Mitglieder sowie die Kinder, die mit deren Hunden spielen. Es stimmt wohl, was am Anfang der Veranstaltung gesagt wurde. «Kochen ist ein wichtiger Teil des Lebens, der Selbstständigkeit und der Kultur.» Da passt es, dass auch die Sonne vom blauen Himmel lacht.