Die neuen Zahlen sind beunruhigend: Im vergangenen Jahr haben die Fälle im Bereich von Menschenhandel wieder zugenommen. 233 Fälle hat die Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) im vergangenen Jahr betreut. 102 Fälle kamen neu dazu. 131 Fälle aus den Vorjahren beschäftigten die Fachstelle zusätzlich.
Die meisten Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden und sich 2016 an die FIZ gewandt haben, kommen aus Ungarn und Thailand. Nigeria steht erstmals an dritter Stelle, was die Hauptherkunftsländer der Ausgebeuteten betrifft.
Für die FIZ-Sprecherin Rebecca Angelini ist besonders alarmierend, dass viele von Menschenhandel betroffene Frauen Asylbewerberinnen sind. «Von den Frauen, die vergangenes Jahr neu von uns betreut wurden, waren 15 Prozent Asylbewerberinnen.» Doch diese Zahlen würden nur die Spitze des Eisberges zeigen, sagt Angelini. Wie viele Frauen von Menschenhändlern unter Druck gesetzt werden, kann niemand sagen. Es gibt keine verlässlichen Aussagen dazu.
Die Geschichten ähneln sich: Migrantinnen, oft aus Westafrika, oft aus ärmlichen Verhältnissen, oft noch jung bis sogar minderjährig, werden bereits auf der Flucht nach Europa ausgebeutet, sexuell missbraucht und verkauft. Um sich die Überfahrt von Libyen nach Italien leisten zu können, müssen die jungen Frauen ihren Körper verkaufen.
In Europa angekommen, werden sie mit einem fiktiven Schuldenbetrag erpresst. Um diesen zurückzubehalten, zwingt man sie zur Prostitution. Später gelingt ihnen vielleicht die Flucht in die Schweiz. Oder sie werden von einem Zuhälter hierher vermittelt. Sie stellen ein Asylgesuch und leben in einer Sammelunterkunft. Dort werden sie weiter unter Druck gesetzt, auf dem Strich anschaffen zu gehen.
Die meisten Frauen, die von der FIZ betreut werden, arbeiten im Sexgewerbe. «Auch in anderen Gewerben, wie in der Bau- oder Hausarbeitsbranche, werden Menschen ausgebeutet. Hingegen wird in diesem Bereich noch nicht so stark ermittelt wie im Sexgewerbe», sagt Angelini. Dass sich heute mehr Frauen an die FIZ wenden, sei darum grundsätzlich ein gutes Zeichen. Das zeige, dass heute Menschenhandel häufiger entdeckt werde. «Die Stellen an der Front, also die Polizei und andere Behörden, sind heute besser auf das Thema sensibilisiert als noch vor ein paar Jahren.»
Für das Bundesamt für Polizei (Fedpol) ist die Zusammenarbeit mit zivilen Organisationen wie der FIZ sehr wichtig. «Denn wer Opfer von Menschenhandel geworden ist, kommt meist nicht von sich aus zur Polizei», sagt Fedpol-Sprecherin Lulzana Musliu. Auch bis die Fälle dann zur Anzeige gebracht werden können, sei es oftmals ein schwieriger und komplizierter Vorgang. Dies aus den unterschiedlichsten Gründen: Weil beispielsweise die Bereitschaft der Opfer fehle, gegen die Täterschaft vorzugehen. Oder weil das Opfer keine Aussagen gegen den Täter machen möchte, weil es negative Konsequenzen fürchtet.
2016 wurden 125 Anzeigen im Zusammenhang mit Menschenhandel eingereicht. Doppelt so viele wie im Vorjahr. In wie vielen Fällen es zu einer Verurteilung kam, ist noch unklar. Die aktuellen Zahlen dazu sind noch nicht publiziert. Generell kann jedoch gesagt werden, dass in den vergangenen Jahren nur rund 30 Prozent der Anzeigen in eine Verurteilung resultiert haben.
Dass neuerdings häufiger Frauen aus dem Asylbereich von Menschenhandel betroffen sind, ist auch für das Fedpol ein ernstzunehmendes Problem. Im Jahr 2016 hat das Staatssekretariat für Migration dem Fedpol 73 Fälle potentieller Opfer von Menschenhandel im Asylbereich gemeldet. Im Vorjahr waren es nur 32 Fälle. Sprecherin Musliu sagt: «Aufgrund der grossen Migrationsbewegungen von letztem Jahr gehen wir aufgrund von Analysen von Europol davon aus, dass diese Fälle in den nächsten Jahren zunehmen werden.»
Deshalb ist für Angelini von der FIZ wichtig, dass nun auch die Politik handelt. Problematisch findet sie, dass es im Asylbereich noch keine greifenden Strukturen gibt, um Frauen, die von Menschenhandel betroffen sind, zu helfen. Sie sagt: «Dringend nötig ist, dass asylsuchende Opfer Zugang zu staatlich finanziertem Opferschutz haben. Asylbewerberinnen, die von Menschenhandel betroffen sind, müssen in speziellen Unterkünften betreut werden.»