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Die ersten Coronafälle: Erste Covid-19-Betroffene erinnern sich zurück

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«Ich fürchte mich, jener zu sein, der das Virus ins Land brachte» – Betroffene erzählen

Der 25. Februar 2020 war der Beginn eines traurigen Kapitels, welches in die Schweizer Geschichte eingehen wird. «SRF-Dok» machte sich auf die Spuren von Covid-19 sowohl in der Schweiz als auch in unseren Nachbarländern.
25.02.2021, 21:5226.02.2021, 08:14
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Der «DOK»-Film beginnt mit Aufnahmen eines beleuchteten, unterirdischen Tunnels und dem Zitat des französischen Schriftstellers Albert Camus «Es gab auf der Erde ebenso viele Seuchen wie Kriege. Und trotzdem: Beides traf die Menschen stets unvorbereitet».

Trotz der frühzeitigen Warnung des chinesischen Arztes Li Wenliang hatte man am Anfang in Europa kaum Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus getroffen. Am 30. Januar wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zwar der internationale Notstand ausgerufen. Man hatte aber von Einreisebeschränkungen gegenüber China abgeraten.

So kam es dazu, dass einem bis Mitte März Einschränkungen an europäischen Flughäfen fremd waren. «Das ist sicher etwas, bei dem die Welt versagt hat», sagt Daniel Koch, der später noch den Übertitel «Mr. Corona» erhalten wird, im Nachhinein. Man habe die Ausbreitung ausserhalb von China total unterschätzt.

«Solange sich das Ganze in China abspielt, schenkt man dem Thema nicht so viel Bedeutung. Wenn es dann in deiner Nähe stattfindet und keiner weiss, wie man es heilen kann, bringt es einem dann zum Nachdenken», erinnert sich die Tessinerin Elena Merlini zurück. Als die Meldungen einer seltsamen Lungenerkrankung aus Wuhan die Runde machten, ging Merlini noch normal zur Arbeit, ins Restaurant und schaute sich den Fasnachtsumzug mit Tausend anderen in Bellinzona an.

Elena Merlini erinnert sich an die Zeit vor Corona.
Elena Merlini erinnert sich an die Zeit vor Corona.bild: srf dok

Der erste Fall der Schweiz

Nachdem in Europa bereits zahlreiche Fälle des Coronavirus aufgetaucht sind, erreicht das Virus am 25. Februar auch die Schweiz. «Im Grunde genommen haben wir einen solchen ersten Fall erwartet», sagt Koch an der Pressekonferenz vor einem Jahr.

Trotzdem fühlt sich der erste Coronafall der Schweiz heute noch schuldig dafür. «Ein Jahr später fürchte ich mich immer noch davor, derjenige zu sein, der das Virus ins Land geschleppt hat», sagt der erste bestätigte Patient, der anonym bleiben möchte. Nach ein paar Tagen war er wieder genesen.

In der Zwischenzeit infizierte sich auch die Tessinerin Elena Merlin mit dem Coronavirus, die an einer Immunschwäche leidet. Bei ihr aber gehört das Coronavirus nicht nach zwei Tagen der Vergangenheit an. Aufgrund ihres schlechten Zustandes musste sie während zwei Wochen intubiert werden. «Ich wusste selbst nicht, dass ich so stark erkrankt war», erinnert sich die Tessinerin mit Tränen in den Augen.

Nach fünf Wochen im Spitalbett begann für Merlini die Reha-Therapie, bei der sie erst einmal wieder laufen lernen musste. Den Kampf gegen das Coronavirus hat sie geschafft. Doch die Angst bleibt. «Man weiss nicht, ob die Antikörper tatsächlich vor einer weiteren Ansteckung schützen. Wenn nicht, frag ich mich, wie es beim nächsten Mal ausgehen wird? Schaff ich es ein zweites Mal? Wird es mich umhauen?»

Elena Merlin in der Reha.
Elena Merlin in der Reha.bild: srf dok

Die erste Welle hatte das Tessin mit voller Wucht getroffen. Am 13. März machte das Tessin die Grenzen zu. Die Spitäler waren am Anschlag. Das Worst-Case-Szenario war bereits nach zwei Wochen überschritten. «Wenn man sowas aus China hört, denkt man, man könne es besser. Stattdessen müssen wir erkennen, dass die Chinesen es genauso gut können und wir genauso machtlos sind wie sie», sagt der medizinische Direktor eines Spitals in Locarno.

Der erste Fall Europas ohne direkte Verbindung nach China

Im Nachbarland Italien stellte man bereits am 21. Februar den allerersten Coronafall in Europa fest. Die Ärztin Annalisa Malara erinnert sich zurück, als sie besorgt über den Zustand eines 38-jährigen sportlichen Mannes war, der wegen einer leichten Lungenentzündung ins Spital kam.

Abgesehen von Atembeschwerden hatte er keine weiteren Beschwerden. Doch seine Blutwerte waren dramatisch. Weil der Patient keine direkte Verbindung zu China hatte, sah man sich nicht gezwungen, den Patienten auf das Coronavirus zu testen. Malara machte es trotzdem, obwohl sie keine Befugnis dazu hatte.

Annalisa Malara testete ihren Patienten ohne Erlaubnis auf das Coronavirus.
Annalisa Malara testete ihren Patienten ohne Erlaubnis auf das Coronavirus. bild: srf dok

Der Test fiel positiv aus. Es war der erste Fall in Europa eines Patienten ohne direkte Verbindung nach China. Der Zustand des Patienten verschlechterte sich rapide. Drei Wochen lang lag er im Koma. Genau zum Zeitpunkt, als seine Tochter zur Welt kam, wachte er auf. Sein Vater hatte es nicht geschafft.

Keine Befugnis für einen Coronatest? «Die WHO hat alles falsch gemacht, was man falsch machen kann», sagt der Professor für Mikrobiologie Andrea Crisanti. Die WHO riet zu diesem Zeitpunkt, nur Leute mir respiratorischen Symptomen zu testen.

Der italienische Professor Crisanti warnte frühzeitig mit einer umfassenden Studie davor, dass die Anzahl asymptomatischer Personen sehr hoch ist. Nachdem die italienische Gemeinde Veneto Ende Februar komplett abgeriegelt wurde, entschied man sich für ein Experiment, welches in Europa noch unbekannt war. Man testete die gesamte Bevölkerung auf das Coronavirus. 3 Prozent war positiv. Fast die Hälfte war symptomfrei. Trotzdem können diese Personen das Virus aber sehr effizient übertragen.

Der Mikrobiologie Andrea Crisanti.
Der Mikrobiologie Andrea Crisanti.bild: srf dok

Des Weiteren besagt Crisantis Studie, dass die Übertragung eigedämmt werden kann, wenn man alle Personen mit und ohne Symptome isoliert. Konkret würde das bedeuten, dass es keine Lockdowns bräuchte, wenn man die Tests korrekt einsetze.

Der Ausruf der Pandemie

Lockdown – ein Begriff, den auch unser Nachbarland Deutschland kurz darauf kennenlernte. Am 29. Januar wollte sich ein Mitarbeiter eines Unternehmens mit Fertigungsstätten in Wuhan auf das Coronavirus testen. Er habe sich mit einer chinesischen Mitarbeiterin getroffen, die sich zu diesem Zeitpunkt in München befand. Es war der erste bestätigte Coronafall. Die Frau, die selbst keine Symptome hatte, steckte weitere acht Mitarbeiter an.

Erst zu diesem Zeitpunkt ist bekannt geworden, dass es sich beim Coronavirus um eine Mensch-zu-Mensch-Transmission handelt. Einen Monat später – am 11. März – hatte die WHO die Pandemie ausgerufen.

Die ganze Sendung des eineinhalbstündigen «SRF-DOK»-Films kannst du dir hier anschauen.

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36 Kommentare
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PHILIBERT
25.02.2021 23:16registriert Januar 2021
Niemand würde derjenige sein wollen, der das Virus in die Schweiz gebracht hat - aber man kann dieser Person auch gar keinen Vorwurf machen...
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Terraner
25.02.2021 23:00registriert April 2020
Eindrückliche Doku, welche zeigt wie lange sich das Virus verbreitet, bis wir davon in den Spitälern etwas bemerken.

Wenn wir das Problem bei den Spitaleinlieferungen und Todesfälle sehen ist es viel zu spät zum reagieren. Darum wirkt es auch immer so als ob die Massnahmen wenig bringen. Sie sind einfach immer viel zu spät.

Das Virus war schon im Abwasser von Italien vorhanden, bevor man in China etwas davon bemerkt hatte.
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Coffeetime ☕
26.02.2021 03:21registriert Dezember 2018
Ich fand die Doku sehr beeindruckend. Und sie wirft weitere Fragen auf: Rolle der WHO z.B.
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