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«Das Geld soll vom Bund kommen, nicht von den Passagieren»

Die Preise bei der SBB steigen ab Dezember.
Die Preise bei der SBB steigen ab Dezember.Bild: KEYSTONE
Interview mit Pro-Bahn-Chef Kurt Schreiber

«Das Geld soll vom Bund kommen, nicht von den Passagieren»

Kurt Schreiber, Vorstandspräsident von Pro Bahn Schweiz, bezeichnet die heute angekündigte Tariferhöhung von 2,9 Prozent als überrissen. Er fordert den Bund auf, tiefer in die Tasche zu greifen.  
02.05.2014, 14:3101.08.2014, 16:19
Rafaela Roth
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Kurt Schreiber, Vorstandspräsident von Pro Bahn Schweiz, findet den SBB-Preisaufschlag nicht gerechtfertigt.  
Kurt Schreiber, Vorstandspräsident von Pro Bahn Schweiz, findet den SBB-Preisaufschlag nicht gerechtfertigt.  Bild: KEYSTONE

Herr Schreiber, sämtliche Bahn- und Buspreise sollen um 2,9 Prozent steigen. Sind Sie heute zufrieden mit der SBB?  
Die Begeisterung hält sich in Grenzen.  

Der Verband öffentlicher Verkehr (VÖV) begründet die Preiserhöhungen mit nötigen Investitionen im Regionalverkehr. Der Zürcher in der überfüllten S-Bahn sieht aber nicht ein, wieso er wegen dem jurassischen Regionalbus mehr für sein Billett bezahlen soll.
Das ist verständlich. Doch die Bahn braucht eine gewisse Solidarität. Die Schweiz ist eine Solidaritätsgemeinschaft. Dafür müssen die anderen Kantone Zürich im Gegenzug auch wieder mal etwas gewähren. Die Durchmesserlinie von Altstetten über den Hauptbahnhof nach Oerlikon ist ein Beispiel dafür.  

«Genau deshalb sollte Frau Leuthard tiefer ins Bundes-Portemonnaie greifen.» 

Die Schweizer sind ja schon mit ihren Steuerabgaben solidarisch mit der SBB. 
Ja. Genau deshalb sollte Frau Leuthard tiefer ins Bundes-Portemonnaie greifen. Das Geld soll vom Bund kommen, nicht von den Passagieren. Leuthard aber beharrt auf einer 50/50-Kostenaufteilung von Bund und Passagieren. Angemessen wäre eine Aufteilung von 60/40. Der Ausbau und die Instandhaltung des Regionalverkehrsnetzes sind wichtig, aber der Bund soll vermehrt dazu Beiträge leisten. 

Kurt Schreiber 
Der 70-Jährige ist seit drei Jahren Vorstandspräsident von Pro Bahn Schweiz. Die Pro Bahn vertritt die Kundeninteressen bei Bahn, Tram, Bus
und Schiff und setzt sich für mehr Qualität im öffentlichen Verkehr ein. Schreiber ist pensionierter 2. Säule-Unternehmensberater und lebt mit seiner Frau in Au, Zürich. (rar) 

Der VÖV rechnet vor, dass 2015 rund 90 Millionen fehlen würden, wenn jetzt die Preise nicht steigen. Wo ist das ganze Geld von den Tariferhöhungen zwischen 2010 und 2012 hin?  
Es gab Kantone, die schlichtweg Zechprellerei betrieben. Die SBB stellte in gewissen Regionen Material bereit, die Kantone versprachen eine Kostenbeteiligung, die jedoch von den Kantonsparlamenten danach nicht genehmigt wurde. So fehlt der SBB heute Geld.  

Welche Kantone waren das?  
Das soll Ihnen die SBB selber sagen.  

«Diese Erhöhung ist nicht fair und entspricht nicht dem von uns geforderten Augenmass.»  

Hat sich das Volk diese Preiserhöhung mit dem Ja zur FABI und damit zum Ausbau des Schweizer Schienennetzes selber eingebrockt?  
Nein, das hat überhaupt nichts damit zu tun. Die FABI-Vorlage bemüht sich um eine faire Aufteilung der Kosten. Diese Erhöhung ist nicht fair und entspricht nicht dem von uns geforderten Augenmass.  

Welche Erhöhung wäre fair gewesen? Der Verband öffentlicher Verkehr bezeichnet die Preiserhöhung als «moderat». 
Ein Ausgleich der Teuerung wäre fair gewesen, etwa 1,8 Prozent. Die heute kommunizierten 2,9 Prozent bedeuten 100 Franken mehr für ein GA. Wenn der Kunde dank der Teuerung im nächsten Jahr 100 Franken mehr Lohn bekommt, ist er zufrieden, wenn nicht, tut es weh im Portemonnaie. 

Werden der SBB die Kunden davonlaufen? 
Wenige vielleicht. Der Grossteil wird bleiben. Wir sind auf den ÖV angewiesen.  

«Preiserhöhungen sollten nicht als Rechtfertigungsgrund für Angebotsausbauten herangezogen werden.»

Höhere Kosten nimmt man für besseren Service in Kauf. Stimmt der Service der SBB? 
Der heutige Service ist angemessen. Mit einigen Abstrichen. Die unbegleiteten Regionalexpress-Züge, in denen es teilweise eine Toilette für 400 Personen gibt und keine Reservationen für Gruppen möglich sind, sind einer davon. Zudem rechtfertigt das Angebot in der ersten Klasse nicht die Preisdifferenz von 70 Prozent. Und wenn ich im Zug nicht arbeiten kann, weil nur noch Stehplätze übrig sind, fällt ein grosses Argument zur Bahnnutzung weg. 

Was erwarten Sie von der SBB, um die Preiserhöhung zu rechtfertigen?  
Die SBB macht das Möglichste, um Preiserhöhungen zu vermeiden. Meine Erwartungen richten sich viel eher an den Bund, denn er und die Mehrheit des Parlaments drängen dazu, noch effizienter zu werden, was je nach Situation Dienstleistungsabbau bedeutet. Gerade das darf nicht eintreten. Mehr Service trägt dazu bei, dass noch mehr und freiwillig auf das öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen wird. Das bringt Mehreinnahmen. Deshalb sollen Preiserhöhungen nicht als Rechtfertigungsgrund für Angebotsausbauten herangezogen werden. 

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