Die SP jubelt. Nachdem sie von 1995 bis 2014 jedes Jahr Mitglieder verloren hat, kann die Linkspartei zum ersten Mal wieder einen Anstieg verzeichnen. 1000 neue Mitglieder kamen laut SP 2016 dazu, das entspricht einem Anstieg von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Gesamtzahl der Mitglieder belief sich damit per Ende Jahr auf rund 31'000. Der Trend setze sich in diesem Jahr fort, sagt Mediensprecher Michael Sorg.
Man habe viel in Mitglieder-Gewinnungsaktionen investiert, begründet Sorg den Anstieg. Und zwar sowohl ganz klassisch in Beizen-Touren, Telefonanrufen und Standaktionen als auch in Werbung in sozialen Medien – Letzteres gezielt nach Grossereignissen, in denen bürgerliche, nationalistische Tendenzen ins Gewicht fielen: Die Parlamentswahlen in der Schweiz im Jahr 2015, die Brexit-Abstimmung, die Wahl Donald Trumps. Gerade diese habe der Partei innert kürzester Zeit 400 Neueintritte beschert, 80 seien es allein in der ersten Woche nach der Wahl gewesen, sagt Sorg. Das seien doppelt so viele wie in einer normalen Woche.
Der Politologe Michael Hermann hält den Anstieg bei der SP für bemerkenswert. Schliesslich war «die Erosion der Milizkultur, die Abnahme des politischen Engagements, der dominante Trend der letzten Jahre».
Im Anstieg erkennt er zwei verschiedene Phänomene: Erstens bedeute der Mitgliederzuwachs, dass die Partei mit ihrer Themensetzung und ihren Werbemethoden offenbar wieder vermehrt Leute ansprechen könne. Mehr Mitglieder heisse allerdings nicht zwingend mehr Wähler. «Es ist ja nach wie vor nur ein kleinster Teil derjenigen, die wählen, auch Parteimitglied», sagt Hermann. «Ausserdem bedeutet Mitglied zu sein noch lange nicht, die Bereitschaft zu haben, sich für die Partei zu engagieren.»
Zweitens, sagt Hermann, sei der Zuwachs eine Reaktion auf einen Trend: Der Aufstieg des Rechtspopulismus habe in vielen Bereichen zu einer Re-Politisierung geführt. Medien seien wieder politischer, Experten würden bei politischen Themen Stellung beziehen – ein Kulturwandel finde statt: «Eine klare Position zu haben galt lange Zeit als uncool, das hat sich geändert», sagt Hermann.
«Die Entwicklungen, die jetzt stattfinden, schrecken die Menschen auf, politisieren sie, sodass sie sagen: ‹Jetzt muss man Haltung zeigen, und jetzt muss man für die eigenen Ziele kämpfen.›», fügt Hermann an.
Davon profitieren momentan vor allem die linken Parteien: «Während sich bei der SVP eine Sättigung einstellt, weil der Druck für die Konservativen abgenommen hat, ergibt sich aus dem Trend zur nationalistischen Schliessung und dem Aufstieg der Rechtspopulisten eine neue Dringlichkeit für Linke, sich zu engagieren», sagt Hermann.
In den Jahren zuvor sei der Zuwachs der SP stagniert, weil die Ziele der Linken – gesellschaftliche Liberalisierung und ein stabiler Wohlfahrtsstaat – mehrheitlich erreicht worden seien.
Die SP habe zwar nach wie vor versucht, sich mit sozialen Themen zu positionieren, profitiere nun aber auch vom Trend zur Abgrenzung wie dem Brexit, die entlang der Achse progressiv – konservativ lägen. Interessant sind also die Effekte der Niederlagen der Linken, nicht deren Siege.
Das zeigt auch die Ablehnung der USR III: Zwar stärkt das Ergebnis die Position der SP im Parlament und hebt das Ansehen der Partei in der Öffentlichkeit (Hermann: «Sie hat gegen das Establishment gewonnen und kann nicht mehr so leicht als abgehoben und volksfern gebrandmarkt werden.»), doch mehr Mitglieder, als generell bei Abstimmungen, gewann die SP dadurch laut Sorg nicht.
Auch bei den Grünen und Grünliberalen fallen die zwei Phänomene – der Trend zu vermehrtem politischem Engagement und das Gewinnen von Mitgliedern – zusammen, wenn auch nicht in der gleichen Deutlichkeit wie bei der SP: Die GLP verzeichnete Mitte vergangenen Jahres 3800 zahlende Mitglieder – «ein kleiner Aufwärtstrend», wie Generalsekretär Michael Köpfli feststellt. Grünen-Generalsekretärin Regula Tschanz sagt, letztes Jahr sei es gerade punkto Spenden besonders gut gelaufen. 2016 habe die Partei eineinhalb Mal so viel Spenden eingenommen wie budgetiert.
Auch Tschanz zeichnet die Kampagnenarbeit und die Wahl Trumps als verantwortlich für die Entwicklung. Bezifferbar ist der Zuwachs bei den Grünen allerdings nicht, die aktuellste Mitgliederzahl bleibt jene aus der Publikation «Der Bund kurz erklärt» vom Jahr 2014. Damals waren es 7500.
Aussagekräftig wäre eine Zahl aber ohnehin nicht, findet Tschanz, schliesslich würden sich bei den Grünen auch viele Nicht-Mitglieder engagieren, da die Partei nach wie vor den Charakter einer Bewegung habe.
Ähnlich klingt es bei Operation Libero. Die Bewegung verzeichnet momentan 1027 Mitglieder und etwa 3000 Aktive. Ereignisse wie die Trump-Wahl und der Brexit seien spürbar gewesen – wenn auch nicht bezifferbar, sagt Kommunikationschef Silvan Gisler.
Von diesen Grossereignissen profitiere aber auch die SVP, sagt Generalsekretärin Silvia Bär. Gerade nach dem Brexit habe die Partei «viel mehr Neuanmeldungen als sonst» verzeichnet. Beziffern kann die SVP diese Entwicklung allerdings nicht. Bär sieht keine Sättigung, räumt aber ein, dass man aus den vielen Rückmeldungen der Basis in den letzten Monaten einen grossen Frust über die Nichtumsetzung der MEI feststellen konnte. «Dies führte wohl dazu, dass gewisse Wähler diesen Kreisen jetzt nicht mehr die Stimme geben mochten», sagt Bär.