SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann hatte sich gut vorbereitet. Auf ihrem Pültchen lagen Karteikarten, mehrere, voll geschrieben mit Notizen, in unterschiedlichen Farben markiert. Auf diese Karten blickte Steinemann immer wieder, presste dann den Zeigefinger und den Daumen zusammen und begann Hände schwingend zu argumentieren. Über Dossiers, Zahlen, Statistiken.
Doch das Publikum hatte wenig Verständnis für die Voten der Nationalrätin. Es sassen dort Schüler einer Berufsschule, ein Psychiatriepflegefachmann, der Vertreter einer Behindertenorganisation. Und insbesondere waren auch Brigitte Obrist und Daniel Dini im Publikum. Als Betroffene, sprich als IV-Rentnerin und als Sozialhilfebezüger, waren sie am Freitagabend zu Gast in der Sendung, um jenen Menschen ein Gesicht zu geben, über die Steinemann so dossierfest referierte.
Aber genau dies war Steinemanns Problem. Mit ihrem Dossier konnte sie in der Sendung nicht punkten. Geradezu grotesk wirkte es, wenn Obrist oder Dini persönliche Details aus ihren Leidensgeschichten Preis gaben und Steinemann danach wieder aus ihren Notizen zitierte.
Dass die Diskussion hitzig werden würde, war angesichts des Themas schnell klar: Schnüffeln im Sozialstaat. Sollen IV-Bezüger mittels GSP-Tracker überwacht werden oder geht das zu weit? Für einmal lud SRF-Moderator Jonas Projer einzig Frauen in die vorderste Reihe. Nebst Steinemann waren dies CVP-Nationalrätin Ruth Humbel, SP-Nationalrätin Silvia Schenker und Grünen-Nationalrätin Christine Häsler.
Nach der Rüge des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der kritisierte, dass es in der Schweiz bei der Überwachung von IV-Bezügern an einer gesetzlichen Grundlage fehlt, muss das Parlament eben dieses Gesetz jetzt neu ausarbeiten. Vergangene Woche sprach sich der Ständerat dafür aus, dass Sozialdetektive Ton- und Bildaufnahmen von Verdächtigen machen und sie mit GPS-Tracker orten dürfen.
Bis das Gesetz im Frühling in den Nationalrat kommt, läuft die Debatte und die Uneinigkeit ist gross.
Einzig in einem Punkt waren die vier Frauen in der Arena gleicher Meinung: Grundsätzlich muss der missbräuchliche Bezug von IV-Leistungen verhindert werden. Doch dass dabei in fremden Gärten herum geschnüffelt oder das Auto getrackt werden darf, geht den linken Politikerinnen zu weit. Vor allem weil sich in den letzen Jahren zeigte, dass sich nur ein kleiner Teil der verdächtigen Personen nach einer Überwachung als Betrüger herausstellte.
Doch geht es nach Nationalrätin Steinemann, soll es für IV-Bezüger keine Gnaden geben. Sie wirkte geradezu immun auf die Voten von Studiogast Obrist, die erzählte, dass bei ihr anonyme Meldungen von Nachbarn dazu geführt haben, dass ihr die IV gekürzt wurden.
Auch nicht hören wollte Steinemann, wie Psychiatriepflegefachmann Roger Freiburghaus von seinen Patienten erzählte. Dass diese im Kanton Bern alle drei Jahre von der Invalidenversicherung neu überprüft würden und sich jedes Mal davor fürchteten. Dass er nicht versteht, warum psychisch kranken Menschen so zusätzlich Angst gemacht wird.
Schnell drehte Steinemann nach den Voten aus dem Publikum den Rücken zu den Gästen und fixierte wieder ihr Pult. Sie erklärte, dass es eben nicht so einfach sei. Der Staat müsse sich nicht nur um IV-Bezüger kümmern, sondern auch um Asylsuchende, um Flüchtlinge, um Arbeitslose. Die Politik fordere von der Wirtschaft, den Gewerblern und Privatpersonen, all diese Leute zu integrieren. Das sei keine einfache Aufgabe.
Doch, fand Freiburghaus. Würde sich die Politik diesen relevanten Fragen annehmen, statt über unsinnige Gesetze zu debattieren, wären diese Aufgaben schon zu schaffen, sagte er und erntete dafür Szenenapplaus.
Ein weiterer Gast, Julien Neruda, Geschäftsführer der Behindertenorganisation Inclusion Handicap, betonte, dass IV-Bezüger keineswegs arbeitslos sein wollten. Nur sei heutzutage die Arbeitsbelastung hoch und der Druck von der Gesellschaft auf Invalide gross. Unter diesen Voraussetzungen sei es deswegen nicht einfach, einen Job zu finden.
Steinemann hingegen sah das anders. Von wegen sei heute die Arbeitsbelastung höher. Früher habe man mehr gekrampft als heute und das erst noch ohne Institutionen wie die Invalidenversicherung. Und sowieso: Woher all diese Invaliden plötzlich herkommen, verstehe sie nicht. SP-Nationalrätin Schenker musste dann daran erinnern, dass eine psychische Erkrankung etwas ist, wo eine Diagnose und ein langer Leidensweg dahinter steckt.
Den Nagel auf den Kopf traf Schenker, als Steinemann zum wiederholten Mal in ihren Notizen versank und von ihren Dossierkenntnissen sprach. In einer spitzen Bemerkung schob Schenker ein, dass es hier eben nicht um Dossiers, sondern um Menschen geht.