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Du willst nur das Beste? Voilà:
Am
Abstimmungssonntag konnte der Bundesrat aufatmen, und das nicht nur, weil das Volk bei allen vier Vorlagen in seinem Sinne entschieden
hat. Mit dem Nein zur Durchsetzungs-Initiative wurde auch ein neuer
Konflikt mit der Europäischen Union (EU) abgewendet. Denn das Abkommen
über die Personenfreizügigkeit, das seit Annahme der
Masseneinwanderungs-Initiative vor zwei Jahren auf dem Prüfstand
steht, verbietet die Ausweisung von EU-Bürgern bei Bagatelldelikten.
«Es ist
erfreulich, dass das komplizierte Verhältnis zwischen der EU und der
Schweiz nicht noch komplizierter wird», sagte eine Sprecherin der
EU-Kommission am Montag in Brüssel. Das Volk scheint sich dieser
Gefahr bewusst gewesen zu sein. Dies zeigt ein kaum beachteter Aspekt
in der zweiten SRG-Trendumfrage zur DSI: Das populärste Argument für
ein Nein waren demnach die wachsenden Schwierigkeiten bei den
Verhandlungen mit der EU, und nicht etwa die von den Gegnern betonte
Rechtsstaatlichkeit oder die mögliche Ausschaffung von Secondos.
Knacknüsse gibt es
auch so genug. Noch immer steht nicht fest, wie der Bundesrat den
neuen Zuwanderungsartikel in der Verfassung umsetzen will.
Nach fast zwei Jahren des erfolglosen Antichambrierens in Brüssel
legte er sich im letzten Dezember auf eine Schutzklausel fest, die er
notfalls einseitig einführen will. Allgemein wird erwartet, dass er
am kommenden Freitag die entsprechende Botschaft
präsentieren wird. Letzte Woche führte die Landesregierung zu
diesem Thema eine Klausursitzung hinter verschlossenen Türen durch.
Man darf davon
ausgehen, dass die Köpfe der fünf Männer und zwei Frauen geraucht haben. Denn das Verhältnis zur EU ist seit Dezember komplizierter geworden. Grund ist die Abstimmung über einen
möglichen Austritt Grossbritanniens aus der EU (Brexit) vom 23.
Juni. Die EU-Kommission hat der Schweiz klar gemacht, dass sie vorher
mit keinerlei Zugeständnissen rechnen kann, da diese nur den
Brexit-Befürwortern nützen könnten.
Bleibt der Bundesrat
seiner Linie treu, wird er am Freitag eine einseitige Schutzklausel
präsentieren und damit den nächsten Konflikt mit Brüssel
riskieren. Dies liess ein ranghoher EU-Diplomat einen Tag vor der Bundesratsklausur in einem Gespräch mit
Schweizer Korrespondenten in Brüssel durchblicken. Die Schweiz werde
beim Personenverkehr noch deutlich weniger bekommen als die
bescheidenen Konzessionen, die die EU dem britischen Premierminister David
Cameron gemacht hat. Der Diplomat sprach von «Cameron mit fünf Minus».
«Ein Land, das
Mitglied bleiben und nach allen Regeln spielen will, muss natürlich
einen besseren Deal erhalten als ein Land ausserhalb der Union»,
sagte der Diplomat. Die Schweiz müsste folglich alle direkten
Einschränkungen der Zuwanderung vergessen, denn die Briten konnten
nur Abstriche bei den Sozialleistungen herausholen. «Wenn die
Schweiz noch weniger erhalten soll als Cameron, was bleibt da übrig?» fragte die NZZ fast schon resigniert.
Damit nicht genug:
Sollte die Schweiz vor dem Brexit-Referendum öffentliche Vorschläge
machen – zum Beispiel eine einseitige Schutzklausel –, sähe sich
die EU zu «harten Antworten» gezwungen, sagte der Brüsseler
Diplomat gemäss der «Aargauer Zeitung». Derartige Kraftmeiereien
sind Teil des Geplänkels, und der hohe Beamte liess durchblicken,
dass die EU nach der Abstimmung zu Gesprächen bereit wäre,
insbesondere wenn die Briten für den Verbleib in der EU votieren.
Es ist jedoch wenig
wahrscheinlich, dass der Bundesrat nochmals
zuwarten wird. Denn im Februar 2017 läuft die dreijährige Frist zur
Umsetzung der SVP-Initiative aus, ein Entscheid ist überfällig. Die
totale Kraftprobe mit Brüssel wird er aber auch nicht riskieren.
Gemäss der «SonntagsZeitung» wird er diese Woche die einseitige
Schutzklausel als Lösung präsentieren, dem Parlament aber sogleich «deren Sistierung schmackhaft machen».
«Der Bundesrat
macht seinen Job und vertraut auf die Weisheit des Parlaments»,
meint der Zürcher SP-Nationalrat Martin Naef, Präsident der Neuen
Europäischen Bewegung Schweiz (NEBS). SP und FDP haben angekündigt, dass sie die Schutzklausel ablehnen werden. Naef hält
es für «sehr denkbar», dass dies bereits in der vorberatenden
Kommission der Fall sein wird, sei es durch Rückweisung oder
Streichung. «Es gibt keine strukturelle Mehrheit für eine
Schutzklausel», sagt Naef mit Verweis auf die SVP, der sie nicht weit genug geht.
Vor der
Brexit-Abstimmung dürfte kaum etwas gehen. Die Drei-Jahres-Frist
lasse sich nicht einhalten, glaubt Naef: «Sie ist
nicht sakrosankt.» Zuvor muss das Parlament noch über ein
dringlicheres Dossier befinden, die Ausweitung der
Personenfreizügigkeit auf das neuste EU-Mitglied Kroatien. Der
Bundesrat hat das entsprechende Protokoll nach der Abstimmung vom 9. Februar 2014 auf Eis gelegt. Bis Ende
Jahr muss die Schweiz es jedoch ratifizieren, sonst wird sie aus dem
EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 ausgeschlossen.
Es wäre keine
Überraschung, wenn der Bundesrat am Freitag nebst der Schutzklausel
die Unterzeichnung des Kroatien-Protokolls ankündigen würde.
National- und Ständerat müssten es bis zur Juni-Session im Eiltempo
absegnen, damit im Falle eines Referendums im November abgestimmt und
die Frist bis Ende Jahr eingehalten werden könnte. Ob es zu einem
Referendum käme, ist unklar. Martin Naef ist für diesen Fall zuversichtlich: «Die Abstimmung kann gewonnen werden.»
Kroatien vor und die Schutzklausel nach den Sommerferien – so dürfte der parlamentarische Fahrplan der nächsten Monate aussehen. Optimisten glauben nach wie vor, dass mit Brüssel eine Lösung möglich ist, wenn auch ohne Kontingente und Inländervorrang, wie es die Masseneinwanderungs-Initiative verlangt.
Allenfalls wird die Schweiz die Zuwanderung bei «schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Probleme» temporär einschränken können, basierend auf einen Ausnahmeartikel im Personenfreizügigkeitsabkommen. Eine dauerhafte Beschränkung, wie von der SVP gefordert, ist aber unrealistisch.