Mit Getöse hat Christoph Blocher am letzten Freitag seinen Abgang aus dem Nationalrat inszeniert. Die Resonanz in den Medien war entsprechend gross. Weit weniger beachtet wurde ein Anlass vom Samstag: Die Neue Europäische Bewegung Schweiz (Nebs) wählte ein neues Präsidium: Auf die Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder folgte eine Doppelspitze mit dem Zürcher SP-Nationalrat Martin Naef und dem Waadtländer Publizisten François Cherix.
In den 1990er Jahren spielten die Nebs und ihre Vorgängerorganisationen eine wichtige Rolle in der Debatte um das Verhältnis zwischen Schweiz und EU. Parallel zur schwindenden Akzeptanz eines EU-Beitritts ging es in den letzten Jahren auch mit den «Euroturbos» bergab. Derzeit zählt die Organisation rund 3000 Mitglieder, unter denen sich viele «Karteileichen» befinden dürften. Wegen der gesunkenen Zahlungsmoral der Mitglieder musste Markwalder Ende letzten Jahres mit einem Bettelbrief zu finanzieller Unterstützung aufrufen.
Seit dem Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative wittert die Nebs Morgenluft. «Der 9. Februar hat uns neue Mitglieder gebracht», sagt Christa Markwalder gegenüber watson. Den Gegnern der Initiative habe es an Engagement gefehlt, räumt die FDP-Nationalrätin ein. Man dürfe eine Verschlechterung im Verhältnis zu Europa aber nicht hinnehmen. Die Nebs habe hier eine wichtige Aufgabe: «Wir dürfen das Terrain nicht den Isolationisten überlassen.»
Markwalder spielt dabei auch auf Christoph Blocher und sein «Komitee gegen den schleichenden EU-Beitritt», kurz «EU No», an. Mit dieser Truppe will der SVP-Vordenker gegen die Einbindung der Schweiz in die EU durch einen Rahmenvertrag kämpfen. Rund fünf Millionen Franken hat Blocher budgetiert, die er nötigenfalls aus dem eigenen Sack bezahlen will. Angestrebt wird eine Mitgliederzahl von 30'000. Das sei «ganz klar realistisch», sagte alt Nationalrat Ulrich Schlüer, der als Sekretär des Komitees tätig ist, gegenüber Radio SRF.
Die Gründung von «EU No» erstaunt auf den ersten Blick, denn mit der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) existiert bereits eine bewährte Anti-EU-Kampforganisation. Für den Berner Politikberater Mark Balsiger aber handelt es sich um einen «cleveren Schachzug» von Christoph Blocher: «Für ihn macht es Sinn, ein breit abgestütztes Vehikel ausserhalb des Parteiensystems aufzubauen.» Die Auns habe in den letzten Jahren an Schlagkraft eingebüsst und werde heute als «Seitenwagen der SVP» wahrgenommen, so Balsiger.
Mit der Wahl des St. Galler SVP-Nationalrats Lukas Reimann zum neuen Auns-Präsidenten dürfte sich daran so schnell nichts ändern. Ihrem ideologischen Gegenstück, der Nebs, könnte ein ähnliches Schicksal drohen, denn das neue Ko-Präsidium besteht aus zwei Sozialdemokraten. Nach Christa Markwalders Rücktritt gibt es kaum noch bürgerliche Exponenten. «Es besteht die Gefahr, dass die Nebs als linke Gruppe verortet wird», sagt Mark Balsiger.
Mit der neuen Konstellation seit dem 9. Februar könne sie aber Schwung gewinnen, glaubt der Politikberater: «Ein Teil der Schweizer Bevölkerung betrachtet einen EU-Beitritt als valable Option.» Die Parteien hätten bei dieser Frage zurückbuchstabiert, selbst SP und Grüne wollen sich nicht mehr offen zu einem Beitritt bekennen. Die Nebs habe die Chance, sich zu profilieren, nicht zuletzt Nationalrat Martin Naef, dem Deutschschweizer im Präsidium. Obwohl er in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist, traut ihm Balsiger dies zu. Naef sei «einer der gescheitesten Köpfe im Parlament».
Christa Markwalder ist überzeugt, dass ihre Nachfolger sich profilieren werden. Das Einstehen für eine EU-Mitgliedschaft sei nach wie vor aktuell: «Faktisch sind wir heute schon Passivmitglied.» Christoph Blochers Kampf gegen sein «Feindbild» EU dagegen sei nicht im Interesse des Landes: «Abschottung schadet unserem Wohlstand und unserer Wettbewerbsfähigkeit.»