Was Albert Rösti sagt, ist ungewöhnlich deutlich. Das Verhalten von Bundespräsidentin Doris Leuthard bei der Kohäsionsmilliarde erinnere ihn «an die Königshäuser von früher», hält der SVP-Präsident fest: «Die Königin sagt, wo die Reise hingeht.»
Er habe «völliges Unverständnis» dafür, wie sie einen Staatsbesuch als Erfolg zelebriere, an dem sie 1.3 Milliarden Franken Steuergelder weggebe, ohne dafür «die geringste Gegenleistung» zu bekommen. «Sie tat das mit einem Strahlen über das ganze Gesicht. Nur: Was gibt es da zu strahlen? Leuthard gab das beste Pfand für die weiteren Verhandlungen aus der Hand.»
Der Besuch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hallt auch zehn Tage später nach. «Es braucht jetzt einen Stop-Knopf für Leuthard und einen Start-Knopf für Ignazio Cassis», sagt SVP-Nationalrat Roland Büchel, abtretender Präsident der Aussenkommission. «Leuhard ist nicht Aussenministerin. Sie machte zu viel. Cassis muss jetzt übernehmen.»
Verärgert über Leuthard ist vor allem auch die FDP. Hinter den Kulissen sind harte Worte zu hören. Die Bundespräsidentin habe Cassis desavouiert. Sie befinde sich gerade auf ihrer grossen «Doris-Leuthard-auf-Wiedersehen-Tour» und habe alles getan, um noch das Bild mit Juncker in Bern zu bekommen. Ein Insider sagt, Leuthard hätte vor dem Besuch zwingend die Schnittmenge aus der Politik des alten und des neuen Aussenministers ausloten müssen.
Indirekt einigermassen deutlich wird FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann. Er nutzt dazu das Stilmittel der Frage. «Haben Bundespräsidentin Leuthard und Vizepräsident Alain Berset Herrn Juncker tatsächlich das mitgeteilt, was der Gesamtbundesrat beschlossen hat?», will er wissen. «Oder haben sie gewisse Dinge verschwiegen?»
Portmann denkt an den Zeitplan des Rahmenabkommens: «Wie kommt es, dass Herr Juncker davon spricht, es sei im Frühling bereit? Will die Mehrheit des Bundesrates nicht vielleicht zuwarten, bis Entscheide zum Brexit vorliegen?» Oder er thematisiert das Mandat: «Will vielleicht eine Mehrheit eine Anpassung des Verhandlungsmandates, eine Art Reset?» Fragen stellt er auch zur Kohäsionsmilliarde: «Will vielleicht eine Mehrheit eine neue Kohäsionsmilliarde klar mit der Erwartung verbinden, dass die Schikane-Politik der EU gegen die Schweiz nicht wiederkehrt?» Sollten Leuthard und Berset dies nicht eingebracht haben, wie es die Mehrheit erwartete, «haben sie ein Powerplay in der Regierung gespielt und Aussenminister Cassis desavouiert».
Anders schätzt man die Situation bei Mitte-Links ein. Exponenten sagen hinter vorgehaltener Hand, Leuthard habe das Zepter aus zwei Gründen übernehmen müssen: Weil das Dossier bei der EU auf Präsidentenstufe angesiedelt sei und vor allem auch, weil sich Ignazio Cassis vor der Verantwortung gedrückt habe. An den Von-Wattenwyl-Gespräche vom 10. November überliess er, vor dem Gesamt-Bundesrat, Doris Leuthard das Wort.
CVP-Präsident Gerhard Pfister kontert den Vorwurf, Leuthard habe Cassis desavouiert. «Man kann natürlich eine Verschwörungstheorie aufbauen – und auch noch selbst die Antwort darauf geben», sagt er. «Daraus spricht der Frust der FDP über die Rolle, die ihr zurückgetretener Bundesrat spielte.» CVP-Nationalrätin Kathy Riklin sagt: «Das Mandat für das Rahmenabkommen war zu eng gefasst. Jetzt wird anscheinend das ganze Spektrum angeschaut.
Im Aussenministerium (EDA) betont man, die These von SVP und FDP sei so falsch wie jene von Mitte-Links, Cassis habe sich versteckt. «Der Besuch fand 23 Tage nach seinem Amtsantritt statt», sagt Medienchef Jean-Marc Crevoisier. Cassis habe sich seit Beginn mit der Kohäsionsmilliarde beschäftigt. «Er hat seine Verantwortung wahrgenommen und mit den Bundesräten Johann Schneider-Ammann und Simonetta Sommaruga einen Antrag unterschrieben. Das Dossier Kohäsionsmilliarde war aber schon vor seinem Antritt Gegenstand von Diskussionen und Entscheiden – im Juni und September.»
Zudem habe Cassis in den Gesprächen mit Juncker «insistiert, dass die EU in der institutionellen Einigung um den Marktzugang Öffnung und Flexibilität beweisen» müsse. Crevoisier: «Juncker entgegnete, die EU sei dazu bereit. Das wiederholte er vor den Medien.» (aargauerzeitung.ch)