Brüssel hat gehustet, und die Schweizer Medien rufen den Grippealarm aus. Diesen Eindruck erhielt man am Mittwoch angesichts der Reaktionen auf ein «vertrauliches» Papier von EU-Juristen, das dem Schweizer Fernsehen «zugespielt» worden war. Demnach soll der «Inländervorrang light», mit dem der Nationalrat die Zuwanderungsinitiative der SVP umsetzen will, für Brüssel schon zu «heavy» sein. Er widerspreche in verschiedenen Punkten dem Freizügigkeitsabkommen.
Wie es der «Zufall» will, hat die Staatspolitische Kommission (SPK) des Ständerats genau einen Tag zuvor erstmals das Dossier behandelt. Konkrete Beschlüsse gab es noch nicht, ausser dass die Initiative mit den im Verfassungsartikel 121a enthaltenen Höchstzahlen, Kontingenten und einem «harten» Inländervorrang nicht umsetzbar ist. Auch für die Ständeräte haben die bilateralen Verträge und damit die Personenfreizügigkeit Vorrang vor einer konsequenten Umsetzung.
Allerdings verlangen einige Mitglieder der kleinen Kammer eine Verschärfung der nationalrätlichen Vorlage. So sollen Arbeitgeber ihre offenen Stellen nicht nur den Arbeitsämtern melden, sondern mögliche Bewerber auch anhören. In Brüssel werden solche Erwägungen haargenau verfolgt. Wer glaubt, das Papier sei zufällig «durchgesickert», ist deshalb naiv. Die Publikation via SRF garantiert vielmehr grösstmögliche Reichweite und Beachtung.
Brüssel gibt der Schweiz damit den Tarif durch. Der Aargauer FDP-Ständerat Philipp Müller spricht von «Säbelrasseln». Aber eigentlich lässt die EU ihre Muskeln spielen. Sie gibt den Politikern in Bern klar zu verstehen, dass die Schweiz keine einseitigen Massnahmen ergreifen soll.
Konkret werden zwei Punkte bemängelt. Zum einen darf sich der Inländervorrang nicht auf Schweizerinnen und Schweizer beschränken, er muss auch hierzulande ansässige EU-Bürger umfassen. Das allerdings ist so vorgesehen. Heikler ist der andere Kritikpunkt. Als dritte Stufe des Inländervorrangs light soll der Bundesrat Massnahmen ergreifen können, wenn aufgrund der Zuwanderung schwerwiegende wirtschaftliche und soziale Probleme entstehen.
Ohne Einwilligung der EU aber darf der Bundesrat nichts unternehmen. Das hat der Nationalrat beschlossen. Nur wenn der Gemischte Ausschuss zustimmt, in dem Vertreter von Schweiz und EU über Probleme bei der Anwendung der bilateralen Verträge beraten, soll der Bundesrat handeln. Für Brüssel aber geht bereits dies zu weit. Demnach darf der Gemischte Ausschuss gar nichts beschliessen, was den freien Personenverkehr in irgend einer Form verletzt.
«Wir haben hier tatsächlich ein verfahrensrechtliches Problem», räumt die Basler Europarechtlerin Christa Tobler gegenüber dem «Blick» ein. Konkrete Folgen wird das EU-Papier nicht haben. Es handelt sich um ein juristisches Gutachten. Am Ende entscheiden die politischen Gremien. Der Spielraum für die Schweiz aber wird noch kleiner, als er ohnehin schon war.
Es ist nicht das erste Mal, dass die EU versucht, via Schweizer Medien den politischen Prozess in Bern zu beeinflussen. Vor einem Monat wurde den EU-Korrespondenten ein Dokument zugespielt, in dem die EU-Kommission ihre Bedenken zum Inländervorrang light zum Ausdruck brachte. Und im Februar machte ein EU-Vertreter, der in der Brüsseler Hierarchie weit oben steht, in einem vertraulichen Gespräch klar, dass die vom Bundesrat geplante Schutzklausel nicht akzeptabel sei.
Das Powerplay wirkte, die Schutzklausel ist heute kein Thema mehr. Und auch bei den weiteren Beratungen im Parlament wird die EU nichts durchgehen lassen, was die Personenfreizügigkeit gefährdet. Eine wichtige Rolle spielen dabei die anstehenden Brexit-Verhandlungen. Die britische Regierung scheint einen «harten» Austritt aus der Europäischen Union zu favorisieren. Für die EU ist es deshalb oberstes Gebot, das kleinste Zeichen von Schwäche zu vermeiden.
Was sind die Auswirkungen auf die weitere Behandlung des Dossiers in der Schweiz? Gegen aussen geben sich die ständerätlichen SPK-Mitglieder unbeeindruckt. Der Solothurner CVP-Ständerat Pirmin Bischof meinte gar, die Umsetzung der Initiative werde jetzt «noch härter ausfallen». Solche Aussagen darf man nicht zum Nennwert nehmen. Am Ende wird der Ständerat höchstens einige Retuschen am Inländervorrang light anbringen.
Zu einer seriösen Kraftprobe mit der EU fehlt es in der Schweiz an Willen und Mut. Das Thema Zuwanderung wird deshalb eine Baustelle bleiben. Das zeigt auch der Eiertanz um die Kontingente für Erwerbstätige aus Drittstaaten. Der Bundesrat hat sie am Mittwoch für 2017 erhöht, von aktuell 6500 auf 7500. Wirtschaft und Kantone sind nur halbwegs zufrieden, doch die Landesregierung beruft sich auf den verfassungsmässigen Auftrag, die Zuwanderung zu begrenzen.
Und auch die Hoffnungen, die EU möge die dogmatische Linie bei der Personenfreizügigkeit in absehbarer Zeit aufweichen, erhielten am Mittwoch einen Dämpfer. Die deutsche Regierung beschloss Massnahmen, die sich jedoch auf den Zugang zu Sozialleistungen beschränken. Eine direkte Einschränkung der Zuwanderung dürfte auf absehbare Zeit kein Thema sein.
Ich vermisse die Zeit, wo Journalisten noch mit richtiger Feldarbeit Missstände aufgedeckt haben, und nicht das Netz nach Pressemitteilungen durchstöbert haben.
So eine unglaublich plumpe Instrumentalisierung! Shame on you!
Wir sind selber schuld, wenn wir uns das bieten lassen.
Wir sollten endlich die ultimative Abstimmung durchführen :
Wollen Sie die Bilateralen ( mir der dazugehörigen Personenfreizügigkeit) beibehalten ?