Der Däne ist reich. Eine Geldschleuder der dänischen Wirtschaft. Und überdies sehr attraktiv. Der Däne wird gerade in Zürich gestalkt. Denn die Zürcher Privatbank Weyer will an sein monumentales Vermögen. Das ist die kleine Geschichte, die an diesem Tag zu Film gemacht werden muss.
Wir befinden uns nämlich am drittletzten Drehtag von «Private Banking», dem grossen Schweizer TV-Zweiteiler, der im Winter auf SRF ausgestrahlt werden wird. Letztes Jahr war’s «Gotthard», heuer «Private Banking». Nichts Historisches also. Zürich heute. Im Jahr vor der Aufhebung des Bankgeheimnisses. Ein dynastisches Drama rund um eine fiktive Privatbank namens Weyer, die vom Patriarchen an die schöne, kühle Tochter geht.
Bettina Oberli führt Regie. Ja, die Bettina Oberli mit den idyllischen Emmentaler «Herbstzeitlosen», einem der grössten Hits der Schweizer Filmgeschichte. Und mit dem bösen, düsteren Heimatthriller «Tannöd». Als nächstes dreht sie im Jura eine Liebesgeschichte im Schatten eines Windrades.
Doch jetzt, in «Private Banking», will sie die Stadt, will toughes, reiches Zürich mit bissigen jungen Bankerinnen und Bankern. Und ein komplexes, abgründiges Familiendrama, das sich auf der Folie delikater Gesellschaftstrukturen entwickelt. Erfindet Bettina Oberli hier eben mal das Genre des Schweizer Bankenfilms? Wieso gibt’s das eigentlich nicht schon lang? Okay, in der Romandie wird gerade eine ganze Banker-Serie gedreht. Das Thema liege, sagt Oberli, logischerweise bereits seit längerer Zeit in der Luft.
Endlich spielt mal wieder was in Zürich. Nicht in Luzern wie der «Tatort» oder in Aarau wie der «Bestatter». Und das Zürich von heute spielt selbst eine wichtige Rolle. Gefühlte 150 Jahre nach den Filmen «Strähl» (2004), «Snow White» (2005), «Mary & Johnny» (2011) oder der Schoggisoap «Lüthi & Blanc».
Das Zürich für die Szenen mit dem Dänen ist wie der Däne selbst reich, mondän und irgendwie betörend Old School. Paradeplatz, Bahnhofstrasse, Kronenhallenbar, das Café Metropol mit seiner Arkade, die an den Markusplatz in Venedig erinnert. Nicht das Zürich der durchgentrifizierten Hipster-Grümscheliquartiere.
«Es geht um Geld», sagt Oberli, «da müssen wir auch Geld zeigen. Die Bahnhofstrasse ist ja ungefähr die teuerste Strasse der Welt. Läge sie in Russland, so wäre sie wahrscheinlich aus Gold. Wir Schweizer zeigen diesen Reichtum aber lieber nicht. Deshalb war es eine Herausforderung, Orte zu finden, an denen klar wird, wie unfassbar reich dieses Land ist.»
Die Passanten ums Metropol sind begeistert, eine alte Frau fragt: «Was passiert denn da?» «Kennen Sie ‹Die Herbstzeitlosen›?», würde ich gerne fragen, und sie würde mit einem Leuchten im Gesicht antworten: «Aber ja! Das ist einer meiner Lieblingsfilme! Den schau ich mir jedes Jahr mindestens viermal an!» Doch da ist sie bereits verschwunden.
Leider haben zwei japanische Touristinnen in fantastisch avantgardistischen Trainingsanzügen keine Lust, schnell als Statistinnen aufzutreten. Dafür findet sich ein meist blondköpfiges Statistinnen-Rudel aus Däninnen und Schwedinnen mit ein paar eher kahlen Herren darunter.
Der Tag ist fröstelig, es regnet leicht, der Aussendreh macht hungrig. In einem kleinen Zelt auf dem Bürkliplatz gibt es Zitronenrisotto, Schmorbraten in Rotweinsauce und Brownies. Filmcatering stellt man sich irgendwie bescheidener vor. Neben dem Dänen, der Peter Mygind heisst und den wir aus der dänischen Politserie «Borgen» um die fiktive Ministerpräsidentin Birgitte Nyborg kennen, sitzt der 31-jährige Basler Schauspieler Marc Benjamin. Er spielt einen, der Kunden für die Weyers aquiriert. Den Dänenstalker also. Und er hat Angst. Denn vor ihm liegt eine Liebesszene.
«Ah! Du wirst geknallt!», ruft Mygind begeistert. Mygind spielte in «Borgen» den neoliberalen, quotenfixierten Chefredakteur Michael Laugesen, der andauernd seriösen Recherche-Journalismus zugunsten von Boulevard-Brunz verhindern wollte. «Als ich Laugesen war, hörten die Leute auf, mit mir zu reden, und die Taxifahrer in Kopenhagen wollten mich nicht mehr fahren», sagt er.
Am liebsten redet Mygind vom «Knallen»: «Kurz nach der Schauspielschule spielte ich in der Spitalserie ‹Riget› (‹Geister›) von Lars von Trier mit. Da war diese Sexszene: Eine heisse Krankenschwester sitzt auf mir, aber während wir ficken, kriecht unter dem Bett ein Monster hervor und beginnt, meine Hand aufzufressen. Ich bin also die ganze Zeit zwischen Extase und Todesangst! Haha!» Aha. Marc Benjamin sieht noch kein bisschen entspannter aus.
«Ich erinnere mich», fährt Mygind ohne jede Rücksicht auf Benjamins Schamgefühle fort, «wie ich mal in einem Film einen Traum spielen musste. Ich träum also, dass ich auf Hawaii bin, und eine heisse Hawaiianerin reitet mich. Dann kommt Bill Gates und sagt: ‹Hallo, Sie sind doch mein neuer Boss!›»
«Ich sage: ‹Bitte ziehen Sie sich wieder an, wir drehen doch erst in zwei Stunden! Und es reicht, wenn Sie oben ohne sind, unten tragen Sie doch so ein Hawaiiröckchen, da sieht man eh nichts.› Sie sagt: ‹Dann kann ich keine Sexszene drehen, ich mach’s nur echt.› – ‹Aber ich nicht!›» Am Ende sass sie sauer, unmotiviert, aber angezogen auf Mygind drauf.
Marc Benjamin fragt: «Vielleicht dürfte ich für die Szene wenigstens ein Tattoo tragen? Oder vorher etwas Alkohol trinken?» Bettina Oberli, die sonst am Set sowas wie ein geschickt in Sanftmut verstecktes Kraftwerk aus Nachdruck und Präzision ist, schaut streng.
«Ich trink ja gern, aber nicht beim Dreh», sagt Mygind, «ich erinnere mich allerdings, dass es früher beim dänischen Fernsehen in der Kantine einen Zapfhahn mit Gratisbier gab, alle tranken schon ab 9 Uhr früh. Aber den gibt’s nicht mehr.» «Dafür braut das dänische Fernsehen jetzt eigenes Honigbier. Und der Honig kommt von Bienen, die sie auf dem Dach züchten», sagt Oberli.
Mygind, der als Sohn eines steinreichen dänischen Plastikfabrikanten (Mygind sagt «Pleeestic») das Rich-Kid-Internat in Zuoz besuchte, ist nur die eine dänische Facette von «Private Banking». Die andere ist der Wahldäne David Sandreuter. Der Deutsch-Engländer mit Schweizer Wurzeln lebt seit vielen Jahren in Kopenhagen, ist Teil des dänischen Serienwunders und ergänzt neben Bettina Oberli und Thomas Ritter das Drehbuchautorentrio hinter «Private Banking». Die helvetisch-dänische TV-Brücke existiert aber schon länger, die Romands lassen sich für ihre Serien schon seit gut 20 Jahren von den Dänen beraten.
Zwei Monate dauert der Dreh für die insgesamt 180 Minuten von «Private Banking», übers Budget gesprochen wird nicht, erfahrungsgemäss dürfte es ungefähr in der Nähe eines doppelten Fernsehfilms liegen, also bei gut drei Millionen Franken, kein Vergleich mit den zwölf Millionen für «Gotthard», aber es wird hier ja auch kein Tunnel gegraben, sondern einzig Geld gescheffelt. Und dies tendenziell von Bünzlis.
«Eine Schweizer Privatbank», sagt Bettina Oberli, «ist nicht ‹Wolf of Wall Street›, das sind nicht die coolen New Yorker, das sind ganz biedere, spiessige, staubige Verwalter, einfach ganz bünzlige Erscheinungen, überhaupt nicht spektakulär. Und gerade weil das alles so unspektakulär ist, funktioniert es eben wahrscheinlich auch, dass so viel Geld von so vielen ausländischen Vermögen in die Schweiz kommt.»
Nach der Mittagspause gibt es einen gruppentherapeutischen «Hug» für alle. Wir stehen im Kreis an der Limmat, umarmen uns, und Mygind, der nach nur zwei Drehtagen für eine kleine, aber natürlich perfekt ausgefüllte Gastrolle wieder abreisen muss, singt laut für alle «Love Is in the Air». So, wie wir das von Hugh Grant gerne hätten, aber niemals kriegen werden.
Und dann geht’s an den Paradeplatz, der Däne soll bei Türler Schmuck oder eine Uhr kaufen. «Was war da eigentlich früher? Vor den ganzen Banken?», fragt Marc Benjamin. Ein Schweinemarkt. 1838 eröffnete das Hotel Baur en Ville, und der Platz wurde zum Postkutschenzentrum. 1859 kam die Confiserie Sprüngli hinzu. 1873 die erste Bank.
Von Schweinen zu Bankern also. Eine einleuchtende Pointe.
Private Banking wird im Winter 2017 im Schweizer Fernsehen gezeigt.