Der Kampf von Hans-Rudolf Merz war zum Scheitern verdammt: «An diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch die Zähne ausbeissen», warnte der damalige Finanzminister 2008 all jene, die forderten, die Schweiz müsse ihre Bankkundendaten an ausländische Steuerbehörden weitergeben.
Kurz darauf knickte die Schweiz ein und beerdigte das Bankgeheimnis für Ausländer. Nun ist es so weit: Nächstes Jahr werden erstmals Kundendaten mit den EU-Ländern und weiteren Staaten ausgetauscht. Name, Adresse, Geburtsdatum, Kontonummer, Kontostand und Steuernummer von Bankkunden mit ausländischem Pass gehen automatisch an die Steuerbehörden von deren Heimatländern.
Ziel des Automatischen Informationsaustauschs (AIA) ist es, Steuerhinterziehung zu verhindern. Die Massnahme betrifft aber nicht nur die Drogenbarone, Steuerkriminellen und Diktatoren mit Konten in der Schweiz, die im Zentrum der Schwarzgeld-Debatte standen. Auch Migranten in der Schweiz droht Ungemach, falls sie in ihrer Heimat ein Konto oder Haus haben, das sie den Schweizer Steuerbehörden bislang verheimlicht haben.
Denn: Wer in der Schweiz steuerpflichtig ist, muss hier seinen Lohn und all seine Besitztümer versteuern – auch wenn sie sich im Ausland befinden. War es bisher möglich, dass ein nicht-deklariertes Konto in Spanien jahrzehntelang unentdeckt blieb, kommt es mit dem AIA fast zwangsläufig ans Licht. Auch das Haus in Kroatien dürfte dem Steueramt nicht entgehen, sofern dazu etwa ein Hypothekarkonto existiert.
SP-Nationalrat Cédric Wermuth spricht von einer tickenden Zeitbombe: «Ich treffe immer wieder Migranten, die aus allen Wolken fallen, wenn sie hören, dass sie ihr Haus in der Heimat hier in der Schweiz angeben müssten.» Oft gehe es nur um kleine Beträge. «Trotzdem handelt es sich um Steuerhinterziehung – und das ist kein Kavaliersdelikt.» Auf seinem Blog machte der Politiker auf das Thema aufmerksam und forderte Betroffene auf, aktiv zu werden und die Situation zu «bereinigen».
Die Migranten-Sektion der Gewerkschaft UNIA organisiert regelmässig Informationsabende zum AIA – und wird regelrecht überrannt. «In Genf kamen kürzlich rund 600 Personen, wir hatten nicht einmal für alle Platz», so Gewerkschaftssekretärin Marilia Mendes. Laut ihrer Einschätzung haben viele Zuwanderer nicht deklarierte Vermögen oder Einkünfte in der Heimat – neben Häusern und Konten etwa auch Renten oder Lebensversicherungen. Oft wüssten sie aber schlecht über ihre Rechte und Pflichten Bescheid.
Fliegt die Steuerhinterziehung auf, müssen die Betroffenen die hinterzogenen Steuern zurückzahlen – und dazu im Normalfall nochmals eine Busse in derselben Höhe. Es gibt allerdings einen Ausweg: Seit dem Jahr 2010 haben Steuersünder in der Schweiz die Möglichkeit, sich einmal im Leben straflos selber anzuzeigen. Dann müssen sie lediglich die fälligen Steuern für die letzten zehn Jahre bezahlen.
Die Zahl der Personen, die von diesem Recht Gebrauch machen, ist vor der Einführung des AIA sprunghaft angestiegen: Letztes Jahr haben zahlreiche Kantone einen neuen Rekord an Selbstanzeigen verzeichnet. In Zürich etwa sind rund 2100 neue Fälle eingegangen. Mehrere hundert davon betrafen ausländische Liegenschaften und Konten im Ausland.
Bereits jetzt sei klar, dass die Zahl der Selbstanzeigen dieses Jahr «vor allem wegen der Einführung des AIA» nochmals höher sein werde, sagt Roger Keller, Sprecher der Zürcher Finanzdirektion. Mit gutem Grund: Wer sich bis Ende Jahr noch meldet, ist in Zürich aus dem Schneider.
Dies ist aber nicht zwangsläufig in allen Kantonen so: Weil die Rechtsgrundlage für den AIA mit den EU-Ländern und weiteren Staaten dieses Jahr in Kraft trat – und verheimlichte Konten im Ausland nun sowieso auffliegen – müssen die Steuerbehörden Selbstanzeigen in solchen Fällen streng genommen nur bis Ende 2016 akzeptieren. Viele Kantone geben auf Anfrage aber wie Zürich an, Kulanz walten zu lassen.
Für Wermuth ist das gerade bei kleinen Beträgen nur «fair». Besser sei es, mehr Energie bei grossen Steuerbetrügern und Off-Shore-Firmen zu investieren.
Auch SVP-Nationalrat Thomas Matter, ein Gegner des AIA, sagt: «Ein Italiener, der von den Eltern ein Haus in der Heimat geerbt hat, verheimlicht dieses vermutlich nicht aus krimineller Energie vor den Schweizer Steuerbehörden.»
Viel gravierender ist aus Matters Sicht aber eine andere Auswirkung des AIA: «Auch Auslandschweizer, die etwa vorübergehend in Brasilien bei Nestlé arbeiten, könnten schwerwiegende Konsequenzen zu spüren bekommen», befürchtet er. Brasilien gehöre zu den korruptesten Ländern der Welt und packe Steuerhinterzieher mit wesentlich härterer Hand an als etwa die Schweiz.
«Expats könnten inhaftiert oder enteignet werden, wenn sie zum Beispiel vergessen, ihr ZKB-Konto anzugeben», so Matter. Daran hätten die Mitte-Links-Politiker nicht gedacht, als sie der Abschaffung des Bankgeheimnisses zugestimmt haben.