Der Gründer von Ash-Sham Care – einer in Syrien aktiven Hilfsorganisation – traute seinen Augen kaum, als er sein Konterfei vergangenen Monat auf der «Blick.ch»-Front entdeckte: Das Boulevard-Blatt vermutete, dass Oscar Bergamin ein «amerikanischer Spion» sei, der «offiziell mit seiner Non-Profit-Organisation Syrern hilft» und «inoffiziell auf Twitter IS-Gefechtsstellungen auffliegen lässt».
Aus Frust über den IS, der ihm den Weg zu Hunderten notleidenden Syrern versperrt, hatte Bergamin am Abend zuvor die Koordinaten eines IS-Bunkers auf Twitter veröffentlicht. US-Medien sowie der Telegraph nahmen die Geschichte auf.
Einen Tag nach seinem Artikel liess der «Blick» Bergamin Stellung nehmen: «Nein, ich bin kein Spion», sagte er. Die Wellen um die Berichte und Gerüchte legten sich entsprechend schnell. «Der Tweet war unüberlegt», sagt Bergamin heute.
Für Oscar Bergamin hat die Geschichte gröbere Konsequenzen: Einerseits gaben ihn IS-Anhänger per Twitter zur Jagd frei, andererseits kosten sie den Hilfswerkgründer jetzt seine Beziehungen zur Postfinance.
Jabhat al nussrah order his members in aleppo to capture @oscarbergamin
at any cost
— usama ni (@usamani1) 26. September 2014
In einem Brief vom 17. Oktober, der watson vorliegt, schreibt die Postfinance: «Aufgrund von kürzlich in schweizerischen und internationalen Medien publizierten Berichten über die Aktivitäten von Ash-Sham Care haben wir die Geschäftsbeziehung überprüft und sind zum Schluss gekommen, dass Postfinance bei einer Weiterführung der Geschäftsbeziehungen erhebliche Reputationsrisiken drohen könnten».
Oscar Bergamin ist empört: «Dass die Postfinance unserem Hilfswerk wegen einem Bericht in einer Boulevardzeitung das Konto sperrt, kann ich nicht fassen», sagt er. Auf seine Anrufe bei der Postfinance reagiert zunächst niemand. Als Bergamin ein Treffen vorschlägt, um die Projekte von Ash-Sham Care persönlich vorzustellen, lehnt Postfinance ab.
«Die Postfinance verfügt über die aktuelle Jahresabrechnung sowie alle nötigen Unterlagen über unsere Aktivitäten», ereifert sich Bergamin. Ash-Sham Care sei vom Finanzdienstleister selber auf Seriosität überprüft worden.
Auf die Anfrage von watson schiebt Postfinance das Bankgeheimnis vor. Auf die Frage, ob die Kontoauflösung aufgrund des Blick-Artikels erfolgte, heisst es lediglich: «Falls Postfinance Hinweise darauf hat, dass das Verhalten, ein bestimmtes Geschäftsgebaren oder eine extreme Gesinnung eines Kunden oder einer Kundin unsere Reputation gefährden könnte, wird diese Geschäftsbeziehung überprüft und wenn nötig beendet.»
Dies könne beispielsweise der Fall sein, wenn das Verhalten eines Kunden illegal sei, sich am Rande der Legalität befinde oder bei unethischen bzw. unmoralischen Praktiken des Kunden.
Ob sie Bergamin nun damit eine «extreme Gesinnung» unterstellt – Oscar Bergamin ist vor vielen Jahren zum Islam übergetreten und war Mitglied des Islamischen Zentralrats Schweiz – oder ob sie Beweise für ein illegales oder unethisches Verhalten von Ash-Sham Care hat, will die Postfinance nicht weiter kommentieren.
Den Schaden hat das Hilfswerk. «Ein Postkonto ist praktisch für die Spendenakquise», sagt Bergamin. Viele Spender würden den klassischen Post-Einzahlungsschein benutzen.
Ash-Sham Care («Ash-Sham» ist arabisch für Syrien) verfolgt Projekte im Bereich humanitäre Nothilfe und Wiederaufbau. Gerade wurden der Non-Profit-Organisation zwei Millionen Euro zur Finanzierung durch den von den Amerikanern initiierten und von Deutschland und den Arabischen Emiraten getragenen «Syria Recovery Trust Fund» zugesprochen.
Ash-Sham Care will eine Landwirtschafts- und eine Mädchen-Schule in Al Altarib im Distrikt Aleppo aufbauen. Vor kurzem hat Ash-Sham Care zudem das Schulbuch «Jamil & Jamila» für und über Flüchtlingskinder im syrischen Camp Bab as-Salaam herausgebracht.